Schlagwort: Atlantis (Seite 2 von 2)

Mary Renault: Die Maske des Apoll (1966)

Ruhiger, genau beobachtender, aber zu braver Historienroman

Die Handlung des Historienromans „Die Maske des Apoll“ von Mary Renault entwickelt sich rund um den Versuch Platons, im Syrakus des Tyrannen Dionysios II. unter Mithilfe von Dion, dessen Verwandten und Anhänger Platons, den Idealstaat zu errichten. Der Protagonist ist dabei ein reisender Theaterschauspieler, der das politische Geschehen beobachtet und dessen Auswirkungen am eigenen Leibe zu spüren bekommt.

Mary Renault kann sich gut in die Zeit und die besonderen Umstände hineindenken und verblüfft mit ihrer genauen Kenntnis des antiken griechischen Theaters; wer sich dafür interessiert, kommt in jedem Fall auf seine Kosten. Vorkenntnisse in diesem Bereich sind von Nutzen, um jede Anspielung zu verstehen. Auch Platon und seine Philosophie werden ganz gut getroffen, ebenso alles andere. An zwei Stellen kleidet Mary Renault die Philosophie Platons etwas gewagt in neutestamentliche Worte. Die Person des Platon wird zu sehr idealisiert. Der Roman ist in einem antiquiert wirkenden, ruhigen Stil geschrieben, der fern von dem Aktionismus moderner Pageturner seinen eigenen Charme entwickelt.

Doch der Roman ist zu brav geraten. Es fehlt das Besondere, der Biss. Vielleicht ist der Biss in bezug auf das antike Theater gerade eben noch vorhanden; in bezug auf Platon, seine Philosophie und dessen Versuch, den Idealstaat zu verwirklichen, fehlt er jedoch gewiss.

In Kapitel 12 (S. 261) könnte es eine Anspielung auf Platons unvollendete Darstellung von Atlantis geben, wo von einer unvollendeten Schrift Platons die Rede ist; doch das bleibt eine Vermutung, auf den Inhalt der Schrift wird nicht eingegangen.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon 14. Februar 2012)

Thomas Mann: Joseph und seine Brüder (1933-43)

Weltanschauliches Groß-Epos der Humanisierung mit jüdisch-christlicher und politischer Schlagseite

Der Roman „Joseph und seine Brüder“ ist das große weltanschauliche Epos von Thomas Mann. Anhand der bekannten biblischen Episode entfaltet Thomas Mann mehrere große und kleine Themen, die das weltanschauliche Denken des Autors reflektieren. Dabei greift Thomas Mann weit über den engeren Kulturkreis des jüdischen Mythos hinaus.

Hauptthema 1: Mythen

Das ganze Buch handelt von Mythen und ist selbst ein Mythos, es zeigt wie Mythen entstehen, sich entwickeln, und in anderen Mythen aufgehen. Immer wieder und wieder werden Mythen erzählt und immer neu erzählt, dabei variiert und kombiniert. Der Leser erfährt sehr praktisch und am eigenen Leib, was Mythen sind. Das ganze Buch ist in einer episch-altertümelnden Sprache gehalten, die eine sehr glaubwürdige Atmosphäre des Mythischen schafft. Allein das ein Meisterwerk von Thomas Mann.

Mythen sind nichts, was wir ablegen könnten. Sie liegen unserer Kultur zugrunde, ob wir wollen oder nicht. Entweder wir leben die Mythen, oder die Mythen leben uns. Es gibt kein Entrinnen. Zwischen Religion und Mythologie wird hier übrigens nicht unterschieden.

Literarisch geschickt erweitert Thomas Mann den Horizont der Mythen weit über den engeren Kreis des jüdischen Mythos hinaus. Neben der Mythologie der Griechen, der Ägypter, der Babylonier, der Sumerer oder auch der Etrusker (sehr viel verdankt Thomas Mann hier offenbar Egon Friedell) lässt Thomas Mann aber auch teils witzige literarische Reminiszenzen an Form und Inhalt einfließen, u.a. an Goethes Faust, Dante, Karl May, Schneewittchen oder den Golem. Vor allem aber fließt auch der christliche Mythos ein. Je mehr Vorbildung der Leser mitbringt, desto mehr wird er das Werk genießen können.

Wie so viele, so hat auch Thomas Mann in diesem Roman die Erscheinung des Pharao Echnaton in Verbindung mit dem Eingottglaube der Israeliten gebracht. Ein weiterer geschickter und sehr mythischer Topos ist, dass die jeweiligen Vaterfiguren der Geschichte zeitweilig an die Stelle Gottes treten, indem sie milde und belehrend-erziehend wirken: Jaakob, der Karawanenführer, Petepre, der Gefängnisdirekter, Pharao.

Schon hier sei gesagt, dass das Thema Mythen von allen Themen dieses Romans das Gelungenste ist, während die Behandlung der anderen Themen an schweren Defiziten leidet, wie wir unten zeigen werden.

Hauptthema 2: Mythenentwicklung hin zum Humanen

Thomas Mann sieht im jüdisch-christlichen Mythos eine fortschreitende Entwicklung zum Humanen. Der gottessorgende Mensch fühlt den Drang zur Milderung und zur Überwindung althergebrachter Sitte und Weisung. Diese Entwicklung geschieht im Selbstgespräch mit Gott und aus innerem Fühlen und Drängen heraus.

Zwar lässt Thomas Mann ein einziges Mal auch das platonische Thema kurz anklingen, dass Dichtung auch wahr sein müsse, doch sieht er dieses Kriterium darin erfüllt, dass sie von Gottessorge getragen ist (S. 1245-1247). Wahrheit ist demgemäß gar keine Wahrheit im eigentlichen Sinne, sondern das richtige Einfühlen in die Gottessorge, ein gefühliges Ins-Reine-Kommen mit sich selbst und Gott, ein höchst irrationaler Vorgang. Jaakobs Milde wird explizit einem „Wahrheitseifer“ als das Bessere gegenübergestellt (S. 1259).

Der Gott Thomas Manns ist kein rationaler Gott. Er entwickelt sich mit den Menschen mit, lässt sich von Luzifer und Menschen verführen, veranstaltet mit der Menschheit ein großes Gottesspiel, über das man lachen sollte, und am Ende wendet er alles entstandene Leiden doch immer zum Guten. Es ist offensichtlich, dass sich Thomas Mann dem so verstandenen jüdisch-christlichen Mythos auch persönlich verpflichtet fühlt.

Sehr glaubwürdig ist Thomas Manns Schilderung des menschlichen Haderns und Leidens, und der menschlichen Schwäche und Erniedrigung, die aber auch Kraft und Erneuerung aus geistigen Quellen erfahren kann.

Hauptthema 3: Judentum und Christentum

Thomas Mann unternimmt alles, um zu zeigen, dass der jüdische Mythos den christlichen Mythos vorbereitet und praktisch bereits enthält, von der Dreifaltigkeit bis hin zur leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Hier entfaltet Thomas Mann seine ganze sprachliche und erzählerische Meisterschaft, und spielt brilliant mit Worten wie „Ich bin’s“, „Auferstehung“, „leeres Grab“, oder „Sohn Gottes“.

Schließlich gestaltet Thomas Mann in dem Verhältnis von Gottessohn Joseph zu seinen „alten Brüdern“ andeutungsweise auch seine Vision vom wünschenswerten Verhältnis zwischen Christentum und Judentum. War das Gottesspiel auch böse, so war es doch ein Spiel zum guten Zweck, über das man lachen sollte, und allseitige Bitte um Vergebung ist angesagt.

Nebenthema: Erwählung und Leiden

Joseph ist der Erwählte, der Ausgesonderte. Der Liebling und der Schöne. Als solcher ist er naiv und offenherzig, muss für seinen „Frevelmut“ aber büßen durch den Neid der Nichterwählten. Er ist erwählt, muss dafür aber viel leiden, um zum Ziel zu kommen. Er erreicht das Besondere, aber der Segen geht dennoch nicht auf ihn und seine Nachkommen über, sondern auf einen anderen.

Nebenthema: Ökonomie

Anhand von Josephs Wirtschaftssystem in Ägypten zeigt Thomas Mann, wie er sich die Organisation der Ökonomie in seiner Zeit vorstellt (um die Seite 1284):

  • Volksfürsorge für Ärmere.
  • Reichere werden enteignet, Bodenreform.
  • Der Eigentumsbegriff wird relativiert und an die Bewirtschaftung gekoppelt.
  • Eine Flat-Tax für alle.
  • Die Tempel werden geschont, weil das Volk es nicht verstehen würde.

Nebenthema: Klimawandel

Wissenschaftlich völlig korrekt deutet Thomas Mann die Möglichkeit einer zufälligen Aufeinanderfolge von sieben Dürrejahren nicht als Klimawandel, sondern als möglichen Zufall. Noch interessanter ist, dass Thomas Mann für einen Klimawandel die Sonnenflecke verantwortlich macht: „Das hat übergeordnete Gründe, es führt ins Kosmische und zu den Gestirnen, die zweifellos Wind und Wetter bei uns regieren. Da sind die Sonnenflecke – eine beträchtlich entlegene Ursache.“ (S. 1191)

Damit nimmt Thomas Mann eine Erkenntnis vorweg, zu der wir nach dem langen Irrtum der Treibhaus-Hypothese langsam wieder zurückkehren: Maßgeblich für Klimaschwankungen ist immer noch nicht der Mensch, sondern die Sonne.

Nebenthema: Atlantis

Thomas Mann akzeptiert offenbar im Gefolge des von ihm mit viel Zustimmung gelesenen Egon Friedell die pseudowissenschaftliche Annahme einer Urzivilisation namens Atlantis. Während zur gleichen Zeit manche Nationalsozialisten diese Vorstellung von Atlantis zum Herkunftsort der arischen Rasse umzudeuten versuchen, ist Atlantis für Thomas Mann der Herkunftsort sowohl der arischen als auch der semitischen Sprachen. Vermutlich bezieht sich folgendes Wort von Thomas Mann aus einem Vortrag von 1942 über seinen Roman auch auf diesen Sachverhalt: „Der Mythos wurde in diesem Buch dem Faschismus aus den Händen genommen und bis in den letzten Winkel der Sprache hinein humanisiert, – wenn die Nachwelt irgendetwas Bemerkenswertes daran finden wird, so wird es dies sein.“

Schwäche 1: Thomas Mann ignoriert den Kern unserer aufgeklärten Kultur

Thomas Mann konzentriert sich in seinem Roman „Joseph und seine Brüder“ allein auf das Mythische und die jüdisch-christliche Tradition. Den Kern unserer Kultur, die griechische Philosophie, übergeht er jedoch vollkommen. Damit muss Thomas Mann in vielerlei Hinsicht scheitern.

Philosophie bedeutet natürlich die Hinterfragung der Mythen, die Einführung der Herrschaft der Vernunft und die Frage nach der Wahrheit. Ohne das ist die menschliche Kultur seit über 2000 Jahren überhaupt nicht mehr denkbar, und Thomas Mann übergeht es vollkommen!

Damit gerät auch das zentrale Projekt, das Thomas Mann mit seinem Roman „Joseph und seine Brüder“ verfolgte, ins Zwielicht: Denn nicht aus innerem Fühlen und Drängen heraus haben sich die Mythen und Religionen humanisiert, sondern aus dem Drang zur Vernunft heraus. Es gibt keine Garantie dafür, dass das innere Fühlen religiöser Menschen immer in Richtung Humanisierung geht; das Pendel des Fühlens und Meinens kann auch wieder in die gegenteilige Richtung umschlagen. Nur die Vernunft, nur der Humanismus der klassischen Antike ist Garant und wahre Quelle der Humanisierung. Alles andere kann dazu nur eine vorübergehende Vorstufe sein.

Wir müssen feststellen: Thomas Mann war eben leider nur ein Dichter, aber kein Denker.

Schwäche 2: Theologisch verfehlt

Die nächste Schwäche hängt sehr eng mit Schwäche Nr. 1 zusammen: Denn ohne Philosophie und Rationalität ist Theologie gar nicht zu haben. Es ist zu bezweifeln, dass Thomas Mann mit seinem Werk im Denken von jüdischen, christlichen oder islamischen Theologen einhaken kann. Allzu leicht tändelt dieser Gott, und lässt seine Anhänger im Stich, die seine unwiderrufenen Weisungen von gestern noch befolgen. Allzu leicht löst sich für Thomas Mann das Problem des guten Gottes, der Leiden zulässt, auf. Humanisierung auf dem Wege der Theologie schön und gut, aber so geht es nicht.

Ja, schlimmer noch: Die ganze jüdisch-christliche Tradition mit all ihren Mythen wird seit über 2000 Jahren im Spiegel der griechischen Philosophie überliefert und gedeutet und mythologisch weiter entwickelt. Selbst unter rein mythischen Gesichtspunkten hätte Thomas Mann hier also versagt.

Hier ist Thomas Mann dem schwärmerischen Drang zum Wünschenswerten erlegen, der aber die Auseinandersetzung mit der Realität nicht ersetzen kann.

Schwäche 3: Störend ahistorisch

Ein historischer Roman muss historisch nicht genau sein, er ist ja Literatur. Wo aber die beabsichtigte Botschaft eines historischen Romans davon abhängt, wird historische Genauigkeit doch wichtig.

Thomas Mann versetzt eine fortgeschritten humanistische Denkatmosphäre in den Kontext einer religiös-patriarchalischen Stammesgesellschaft: Das funktioniert so leider nicht. Natürlich repräsentieren auch die Geschichten um Jaakob und Joseph ein Stück Humanisierung, aber in einem weit geringeren Maße und einem weit früheren Stadium der Humanisierungsgeschichte, als dass es passen würde. Man darf als Literat durchaus Dinge hinzuerfinden, aber nur, wenn es sich in den vorgegebenen Rahmen einpasst. Sobald dieser Rahmen gesprengt wird, kommt immer etwas entschieden Falsches hinein, eine unauflösliche Dissonanz. Aus dem vorgegebenen Rahmen, der überlieferten Geschichte, wird etwas herausgeholt, was nicht in ihr steckt. Dann hätte der Literat seine Gedanken besser im Rahmen einer anderen Vorlage entwickelt.

Beispiele: Wenn Jaakob und Joseph bei Vollmond am Brunnen sitzen, beschleicht den Leser das unabweisbare Gefühl, hier würde doch eher der väterliche Sokrates mit dem jungen Phaidros am Ufer des Ilissos sitzen, als der Patriarch einer religiösen Stammesgesellschaft mit seinem Sohn. Die Gedanken schweifen viel zu frei. Besonders deutlich wird das Unpassende, wo Thomas Mann hinzuerfindet oder weglässt. Niemals könnte ein echter Patriarch es ohne Blutzoll dahingehen lassen, dass sein Sohn mit einer seiner Ehefrauen schläft. Niemals könnte ein Patriarch eine solche Selbsterniedrigung hinnehmen, wie Thomas Manns Jaakob vor Esaus Sohn Eliphas. Hingegen übergeht Thomas Mann dezent, mit welchen und wievielen Frauen dieser Patriarch Jaakob zu schlafen pflegt.

Schwäche 4: Der Islam fehlt

Nicht nur das Christentum, auch der Islam geht auf die biblischen Patriarchen zurück, und gerade heute wären wir alle höchst interessiert daran zu wissen, wie Thomas Mann den Islam in seine Erzählung eingewoben hätte, so wie er das Christentum auch hineingewoben hat. Doch mehr als den folgenden Satz finden wir nicht: „Da nahm er die ägyptische Magd und zeugte mit ihr einen Sohn und nannte ihn Ismael. War aber ein abwegig Erzeugnis, nicht auf der Heilsbahn, der Wüste gehörig, …“ (S. 1129). Das ist zu wenig, und würdigt weder die Errungenschaften noch die Schwächen des Islam in angemessener Weise, noch gibt es uns Rat, wie wir mit dem Islam umgehen sollen.

Schwäche 5: Allzu linker Linksliberalismus

Thomas Mann wollte den Mythos aus den Klauen der Ideologie befreien und sprachlich für immer humanisieren, doch er hat ihn womöglich doch nur für eine weitere politische Ideologie in Dienst genommen. Das ganze Werk atmet den Geist eines altbackenen, allzu linken Linksliberalismus.

Da ist zunächst die typisch linksliberale weltanschauliche Schwammigkeit, der Verzicht auf Rationalität. Man möchte sich gerne in den überkommenen Mythen wiegen, aber sie glauben möchte man nicht mehr. Alles soll nur noch im übertragenen Sinn gelten, bis vom eigentlichen Sinn nichts mehr übrigbleibt. Man haust offenbar gerne in den Trümmern einer gefallenen Weltanschauung. Die Mühe, eine direkt glaubhafte, konsistente Weltanschauung zu ersinnen, wird geradezu verpönt, und durch ein Schwelgen in überlieferter Bildung ersetzt. Ordnung und Disziplin vor sich selbst sind nicht gefragt. Wahrheit wird nicht gesucht, sondern für gefunden geglaubt, und als Pseudo-Wahrheit in den Dienst einer Sache gestellt, die man längst für ausgemacht hält. Wahre Bildung ist das nicht.

Aber auch die ökonomischen Visionen Thomas Manns zeigen es: Das Eigentum soll relativiert werden, Reiche soll es nicht mehr geben, alle Menschen sollen ökonomisch gleich sein, der gute Staat sorgt für alle. Das ist beinahe schon kommunistisch, denn wo die herausragenden Männer zurückgestutzt werden und der Staat der Übervater ist, dort ist keine Freiheit mehr. Die ökonomische Schonung der Tempel entspricht natürlich einer Schonung der heutigen Kirchen: Hier kommt die weltanschauliche Schwammigkeit eines Festhaltens am Christentum mit dem linken ökonomischen Denken zusammen.

Wenn man bedenkt, dass sich die Kirchen in der Bundesrepublik zu finsteren Horten eines allzu linken Linksliberalismus, eines schwärmerischen Utopismus, entwickelt haben, die sich bis heute an ihre überkommenen Privilegien klammern und darin vom links durchwirkten BRD-Establishment, das früher einmal kirchenkritisch war, maßgeblich unterstützt werden, bis hin zur bedenkenlosen Einführung eines Islamunterrichtes in Zusammenarbeit mit verfassungsfeindlichen Islamverbänden, nur um das analoge Privileg des christlichen Religionsunterrichtes weiter rechtfertigen zu können – wenn man das bedenkt, dann war Thomas Manns Werk in diesem Punkt wahrhaft prophetisch und vielleicht auch unheilvoll wirkmächtig.

Womöglich ist es kein Zufall, dass Thomas Mann gerade zum Islam nichts zu sagen hatte. Denn zum Islam weiß der allzu linke Linksliberalismus bis heute nichts Vernünftiges zu sagen, und glaubt, ihn unverwandelt und ungesiebt in die bestehenden Strukturen einbeziehen zu können. Wie wenn der Patriarch am Brunnen mit seinen zwölf Söhnen sich nahtlos in unsere durch griechisches Denken aufgeklärte Gesellschaft fügen könnte. Nach dem von Thomas Mann vorgegebenen Muster der Ignoranz des griechischen Erbes kollidiert hier Wunschdenken mit Wirklichkeit.

Schwäche 6: Literarische Faux-pas

Teilweise belästigt Thomas Mann den Leser mit einer läppischen Intimität. Wenn man zum soundsovielten Mal von „Dudu dem Ehezwerg“, dem „Hutzel“, gelesen hat, dann hat man davon irgendwann genug und will es nicht mehr sehen.

Längen sind eine Stärke dieses Romans, der alles in buchstäblich epischer Breite darlegt. Doch der Leser atmete sichtlich auf, als die Liebeswehen von Potiphars Weib Mut-em-enet endlich vorüber waren, und die Geschichte wieder an Fahrt aufnahm: Wer diese harte Prüfung bestanden hat, der wird den Roman auch vollends zu Ende lesen.

Fazit

Trotz gravierender Schwächen ist Thomas Mann ein sprachliches Meisterwerk gelungen, das über Mythen und Menschen viel zu sagen weiß, und das zu lesen sich lohnt. Man darf dabei aber niemals vergessen, dass Thomas Manns Weltsicht eine schwere jüdisch-christliche und politische Schlagseite hat, die der kundige Leser in seinem eigenen weltanschaulichen Denken in vielfacher Hinsicht nachkorrigieren muss – dann kann dieses Werk ein Genuss sein.

Ohne diese Korrektur jedoch wird dieses Buch zur Quelle eines unheilvoll mythischen Denkens, zu einem unendlich tiefen Brunnenloch, aus dem die Dämonen der Vergangenheit in die Gegenwart hinaufsteigen können. Ob Thomas Mann das gewollt hätte? Wir glauben nicht: Denn mit Thomas Mann wissen wir, dass die Geschichten sich immer weiter spinnen, und wie sein Gott so hätte auch Thomas Mann inzwischen sicher längst wieder seine Meinung weiter entwickelt und würde jene bestraft sehen wollen, die am „Überständigen“ dieses Romans festhalten wollen: „Denn es ekelt den Herrn das Überständige, worüber er mit uns hinauswill“.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon 20. Juli 2014)

Umberto Eco: Das Foucaultsche Pendel (1988)

Gescheiterte literarische Verarbeitung verschwörungstheoretischen Denkens

Zentrales Thema des Romans „Das Foucaultsche Pendel“ von Umberto Eco ist die Leichtgläubigkeit von Verschwörungstheoretikern für Geheimgesellschaften und die von diesen gehüteten oder gesuchten oder enthüllten Geheimnisse. Geheimgesellschaften sind hier z.B. Templer, Rosenkreuzer, Jesuiten, Freimaurer. Geheimnisse sind hier z.B. der Gral, der Stein der Weisen, die Kabbala, Magie oder pseudo-wissenschaftliche Theorien wie Pyramidengeheimnisse, Hohlwelt und Erdströme. Diese Thematik wird anhand eines Lektoren-Trios in einem Mailänder Verlag entfaltet: Immer wieder kommen sie mit verrückten Autoren in Kontakt, die ihnen Manuskripte voller Verschwörungstheorien unterbreiten.

Das Buch beginnt mit einer furiosen Einleitung, in der der Autor etwas zuviel mit gebildeten Assoziationen brilliert; eine Stilart, die wohl für italienische oder französische Literatur typisch ist. Die ganze erste Hälfte des Buches besteht anschließend darin, in kaum zusammenhängenden Ereignissen die verschiedensten Geheimgesellschaften und Geheimnisse kennen zu lernen, und auch eine Reihe obskurer, typischer Charaktere einzuführen. Dazu entführt der Autor den Leser auch kurz nach Brasilien zu synkretistischen Kulten. Zu lange ist nicht erkennbar, wohin das alles führen soll.

Die zweite Hälfte des Buches besteht darin, dass die drei Lektoren alle diese Geheimgesellschaften und Geheimnisse aus Spaß nach der Methode der Leichtgläubigkeit der Verschwörungstheoretiker zu einem großen Ganzen verknüpfen: Ausgehend vom Verbot der Templer im Mittelalter würden seitdem verschiedene Abspaltungen der Templer unter verschiedenen Namen der verloren gegangenen Karte zu dem verloren gegangenen Geheimnis der Templer nachjagen: Über Francis Bacon und dessen wissenschaftlicher Utopie „Neu-Atlantis“, Athanasius Kircher, der Synarchie von Agartha, bis hin zu Freimaurern und den „Protokollen der Weisen von Zion“. Die ganze bekannte Geschichte wird nach diesem Muster umgedeutet. Als einer der Lektoren diesen „großen Plan“ einem Verschwörungstheoretiker erzählt und behauptet, er habe das Rätsel der Karte gelöst, wird aus der Phantasie Wirklichkeit: Die leichtgläubigen Verschwörungstheoretiker nehmen den aus Spaß ersonnenen „großen Plan“ ernst, sehen sich selbst als die Erben der angeblichen templerischen Gruppierungen, und versuchen, das vermeintliche Geheimnis der Karte zu erpressen.

Das Ende des Buches ist enttäuschend: Das große Finale in Paris ist frustrierend, weil nur destruktiv. Das eigentliche Geheimnis enthüllt der Autor erst einige Kapitel später: Dass es keine Geheimnisse gibt, und dass es Momente des Glücks im Leben gibt, die man erst hinterher als solche erkennt. So wahr es auch ist: Für ein Werk dieses Autors und bei diesem Thema hätte man sich etwas mehr erwartet; auch die Erkenntnis, dass das verschwörungstheoretische Denken unausrottbar ist, ist nicht sehr originell.

Zudem gibt es gegen Ende noch ein Kapitel, in dem etwas trocken versucht wird, in aller Kürze eine theoretische Grundlage für die Leichtgläubigkeit von Verschwörungstheoretikern nachzureichen (Kapitel 118, S. 795 ff.): (a) Die Verschwörungstheorie als Ersatz für den Glauben an Gott, als Erklärungsmuster. (b) Zentral ist das analogische, zu schnelle Schließen. (c) Je mehr Verschwörungstheoretiker einen Analogieschluss bekräftigt haben, desto leichter wird er geglaubt. (d) Verschwörungstheoretiker wollen überall Pläne und Zusammenhänge sehen und greifen Anregungen begierig auf. (e) Verschwörungstheoretiker kompensieren eigenes Versagen mit der Idee, dass sie Opfer einer großen Verschwörung wären. (f) Je mehr man etwas bestreitet, desto mehr wird es geglaubt. (g) Ein Geheimnis ist nur so lange interessant, wie es geheim ist, also darf es nie enthüllt werden bzw. der Inhalt zählt in Wahrheit gar nicht. – Entgegengehalten werden zwei Neins: (1) Das Bekenntnis der eigenen Unwissenheit. (2) Die Ablehnung, Verschwörungstheoretiker mit einer Erfindung zufrieden zu stellen.

Das Experiment, das der Autor mit diesem Buch versucht, ist interessant, aber letztlich gescheitert: Es ist der Versuch, die Leichtgläubigkeit von Verschwörungstheoretikern literarisch vorzuführen. Das scheitert aus zwei Gründen: (1) Wo das Buch literarisch ist, scheitert es, weil die Wirklichkeit die Satire leider überholt, und weil Argumente gegen Fiktionen auf nicht-fiktionaler Ebene eher überzeugen würden. (2) Wo das Buch sachlich eine theoretische Grundlage geben will, ist es zu trocken für ein literarisches Werk, und zu knapp für ein sachliches Werk. Neben dem erwähnten Theoriekapitel fiel dies auch bei der Besprechung der „Protokolle der Weisen von Zion“ auf: Der Autor will hier so intensiv aufklären, dass es nicht mehr literarisch wirkt. Es mangelt auch an sauberen Definitionen und Abgrenzungen: Insbesondere Pseudowissenschaft kann im Zusammenspiel mit wissenschaftlichen Irrtümern zum Verwechseln nahe an echter Wissenschaft liegen und ist ein Problem für sich, das eigentlich nicht in das Schema dieses Buches passt.

Fazit: Ein interessanter, sympathischer, literarisch anspruchsvoller Versuch, mit vielen gelungenen Stücken und Ideen und getragen von guten Intentionen, aber ein Versuch, der dem Thema aus fundamentalen Gründen nicht gerecht werden konnte.

Das Buch bearbeitet eine ganze Reihe von Nebenthemen:

Das Elend des Verlagswesen im Allgemeinen und das Unwesen der Zuschussverlage im Besonderen. Der Verlag der drei Lektoren ist zweigeteilt: Ein Verlag für die seriösen Werke, und ein Zuschussverlag im selben Haus, an den man die Verschwörungstheoretiker weiter vermittelt. Charakterstudien von Menschen, die teuer dafür bezahlen, dass ihr Buch gedruckt wird.

Die Zeit und der Geist von 1968. Treffen in Studentenkneipen, theoretische Diskussionen, Demonstrationen und Terrorismus. Dann der Wandel der 68er zu Esoterikern und Bürgerlichen, die ihre Ideale verraten bzw. auf esoterischer Ebene fortführen, wo sich deren Irrationalität umso deutlicher entlarvt.

Partisanen und Mitläufer der Faschisten in Italien am Ende des Zweiten Weltkrieges: Der Autor zeigt menschliches Verständnis für Mitläufer, was ein Klischee durchbricht, schweigt aber über die Verbrechen der Partisanen.

Atlantis wird zwar etwa dreimal kurz erwähnt, ist für den Autor aber praktisch immer nur eines von vielen Elementen in längeren Aufzählungen verschwörungstheoretischer Ideen. Dass Atlantis ursprünglich von Platon erwähnt wurde und dort einen seriösen Zweck hatte (ob erfunden oder nicht), bleibt im Gegensatz zu anderen Verschwörungstheorien unaufgeklärt. Ein möglicher Ort für das untergegangene Atlantis wird nicht angegeben. Die Seite 581 geht noch am ausführlichsten auf Atlantis ein: Dort ist Atlantis kein Ursprungs- sondern eher ein Durchgangsort der Menschheit, ein Glied in der esoterisch-pseudo-wissenschaftlichen Kette von Pangäa, Mu, Atlantis, Ägypten und den Kelten. Diese Darstellung von Atlantis entspricht dem Ansatz dieses Buches: Esoterische Verschwörungstheorien stehen im Mittelpunkt, das Problem der Pseudowissenschaft und wissenschaftlicher Irrtümer hingegen bleibt weitgehend unbeleuchtet.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon 08. September 2012)

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