
Einblick in Denk- und Lebenswelt der Reichenauer Mönche um 824
Dieses Büchlein bietet sowohl die von Abt Heito verfasste Originalprosafassung der Vision des Mönches Wetti von 824 als auch deren dichterische Bearbeitung durch den jungen Walahfried Strabo, beides in Latein und Deutsch und mit Verweisen aufeinander, sowie einen ausführlichen Einleitungs- und Kommentarteil, der nichts zu wünschen übrig lässt.
Die religiöse Gelehrsamkeit und Frömmigkeit bis hin zum Aberglauben scheint damals eindeutig im Mittelpunkt gestanden zu haben, und weniger das, woran wir heute zuerst denken, wenn wir von der Gelehrsamkeit der mittelalterlichen Mönche sprechen (also z.B. Überlieferung antiker Texte, scholastische Philosophie, Astronomie, Medizin). Diese Art von Gelehrsamkeit drückt sich höchstens indirekt in der lateinischen Gewandtheit des Walahfried Strabo aus. Ebenfalls ein wichtiger Aspekt sind persönliche Beziehungen, z.B. zwischen Lehrer und Schüler (Walahfried Strabo und Wetti), zwischen Mönch und Abt (Walahfried Strabo und Heito und Erlebald), oder zwischen jungem Mann und Förderer (Walahfried Strabo und Grimald, Erzkapellan des Kaisers und später Abt von St. Gallen).
Aufgefallene Einzelaspekte:
- Die berühmte (aber recht kurze) Beschreibung der Reichenau.
- Unzucht unter Mönchen scheint ein großes Problem gewesen zu sein.
- Weltliche Äbtissinnen verdarben die ihnen unterstellten geistlichen Nonnen.
- Graf Gerold fiel im Kampf gegen die Heiden zur Verteidigung der Kirche und erhielt dafür das ewige Leben: Im Prinzip dasselbe wie der Dschihad im Islam.
- Bezüge zu Dante: Dante mag die Visio Wettini tatsächlich verwendet haben, einen großen Einfluss hatte sie jedoch offenbar nicht auf sein Werk.
- Verbreitet war offenbar eher die originale Prosafassung von Abt Heito, weniger Walahfried Strabos dichterische Fassung.
Bewertung: 5 von 5 Sternen.
(Erstveröffentlichung auf Amazon am 17. Februar 2020)