Schlagwort: Ironie

Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit (1511)

Rundumschlag quer durchs Leben, gelungen und doch irreführend

Erasmus lässt die personifizierte Torheit eine Lobrede auf sich selbst halten. Versteckt hinter der Maske der Torheit und der Ironie kann Erasmus die Fehler der großen und kleinen Leute durchsprechen. Teilweise ist das anregend und witzig und auch für die heutige Zeit oft gut getroffen.

Teilweise ist es aber auch sehr unübersichtlich: Dummheit als Hauptthema einer Arbeit eröffnet ein viel zu weites Feld, als dass noch ein gemeinsames Band hinter allem zum Vorschein käme.

Teilweise ist es auch irreführend. Die Torheit redet teils so überzeugend und doppelt-ironisch, dass der Leser an manchen Stellen wirklich nicht mehr wissen kann, was Erasmus nun selbst ernst meint, und was er nur ironisch meint. Weniger gebildete Leser werden so manchen Rat der Torheit ernst nehmen und ihn entweder als Provokation empfinden oder sogar gutheißen! Das zynische Klischee des Weisen, der am Leben vorbeilebt und von den Frauen verschmäht wird, das Klischee von den Frauen, für die man sich zum lächerlichen Narren machen müsse, um sie zu gewinnen, das Klischee vom erfolgreichen Toren und dem erfolglosen Weisen (leidvolle Erfahrungen von Erasmus?): Sie sind wenig hilfreich und polarisieren die Leser, statt zu differenzieren.

Teilweise ist so manches, was die Torheit als Torheit hinstellt, in Wahrheit gar nicht töricht, wodurch das Werk schiefe und halbwahre Aussagen trifft. Witz, Ironie und Höflichkeit als Dummheiten hinzustellen, ohne die die Welt nicht funktionieren würde, ist irrig. Ebenso irrig ist es, das „Ich weiß dass ich nichts weiß“ des Sokrates für töricht zu halten.

Gegen Ende des Werkes kommt Erasmus auf die Vernunftlogik des Glaubens zu sprechen, die in den Augen der Nichtgläubigen Torheit ist (Paulus: Wir sind Narren um Christi willen; Gott lässt die Weisheit der Weisen zuschanden werden und offenbart sich in Torheit). Dass die Worte des Paulus nicht vernunftfeindlich gemeint sind, sondern lediglich besagen, dass man mit derselben Vernunft zu anderen Schlüssen kommt, wenn man von anderen Voraussetzungen ausgeht (Jesus lebt, oder eben auch nicht), kommt nicht zum Ausdruck. Die Verwirrung zwischen Torheit und Vernunft ist perfekt.

Der eigentliche Wert des Werkes liegt vermutlich weniger in dieser oder jener Aussage, sondern in der Provokation selbst. Diese ist zweifelsohne in mehrfacher Hinsicht gelungen. Die Frage ist, ob Erasmus es mit der Provokation nicht übertrieben hat, und wohin die Provokation führen soll, da es doch teilweise an Klarheit mangelt. Unter diesem Gesichtspunkt verliert das Werk stark an Wert. Das „Lob der Torheit“ ist ein Querschläger, der schief und krumm in der Landschaft herumsteht, und viel Nebel verbreitet. Auch die heutigen Interpreten sind sich nicht völlig einig darin, was Erasmus eigentlich wollte, jeder sieht es wieder ein wenig anders.

Teilweise ist der Mangel an Klarheit auch dem Umstand geschuldet, dass Erasmus mit diesem Werk die politische Korrektheit seiner Zeit unterlief und unter der Maske der Torheit Dinge aussprach, die man nicht ungestraft sagen konnte. Erasmus soll durch dieses Büchlein das Aufbrechen von Tabus gelungen sein, so dass er als Wegbereiter der Reformation gilt.

Es finden sich interessante Reformgedanken zum Christentum, bis hin zu historisch-kritischen Denkweisen: Zum einen in der Feststellung, dass die Apostel einst kaum über das theologisch spitzfindige Wissen der Theologen aus Erasmus‘ Zeit verfügt haben werden, und was für einen Sinn es dann haben sollte? Zum anderen z.B. in der Feststellung, dass auch der Apostel Paulus die Altarinschrift für den unbekannten Gott in Athen zu seinen Gunsten zurechtbog. Beides erstaunliche Gedanken, die das scholastische Christentum massiv hinterfragen.

Die Anzahl der antiken Anekdoten, die Erasmus einbaut, ist erstaunlich. Die Interpreten sagen, die Torheit würde mit ihnen nur so um sich werfen, weil sie selbst sage, dass die Toren mit Zitaten nur so um sich werfen. Aber gleichzeitig kann Erasmus so seine Belesenheit beweisen, ohne selbst als töricht zu gelten.

Fazit

Eine geschickte und wirkmächtige, aber leider auch teils undurchsichtige Provokation, die das mittelalterliche Denken ordentlich durchschüttelte und bis an seine Grenzen in Richtung der Moderne dehnte. Nebenbei auch mancher Ratschlag, manche Einsicht der Lebensklugheit und Menschenkenntnis, die auch heute noch von Wert ist.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 11. Januar 2014)

Roger Willemsen / Michael Sowa: Ein Schuss, ein Schrei – Das Meiste von Karl May (2005)

Launige Dichtung verlebendigt und würdigt das Werk Karl Mays

Mit „Ein Schuss, ein Schrei – Das Meiste von Karl May“ hat Roger Willemsen eine herausragende literarische Leistung vollbracht: Während weniger gebildete Menschen Karl May verpönen, aktualisiert diese Dichtung das Werk Karl Mays auf eindrückliche und intelligente Weise! Sowohl sprachlich als auch inhaltlich landet Willemsen Vers um Vers einen Volltreffer nach dem anderen.

Die Reime sind launig gehalten und enden immer wieder in einer ironischen Pointe, in der Sprache und Inhalt sich zu einer lyrischen Überraschung vereinen. Es erinnert an Wilhelm Busch, Heinz Erhardt oder Loriot (zu denen sich auch Anspielungen entdecken lassen). Es ist eine Freude zu sehen, was Roger Willemsen hier mit der deutschen Sprache vollbringt. Den Leser erwartet ein einzigartiges Erleben nur durch das bloße Wort, wie es keine Comedy-Show bieten könnte.

Einige Beispiele:

Bagdad ist die Märchenstadt,
die so viel Charakter hat,
weil sich hier mit größter Dichte
komprimiert die Weltgeschichte.
Metropole eines Staats,
Hauptstadt eines Kalifats,
gab sie Türken, Kurden, Scheichs,
Stützen des Osmanenreichs,
ihren eignen Lebensraum.
Doch inzwischen: aus der Traum! …
Wir sehn auf wüster Bergeskuppe
Kara Ben Nemsis Reisegruppe,
sie nähert sich von Osten her
und trifft dabei auf Stoßverkehr
.

Nach beklemmenden Berichten
von Todeshatz und Standgerichten,
von Sklaventreibern, Sklavenjägern
wurde von Bedenkenträgern
darauf aufmerksam gemacht,
dass man Bürgerkrieg entfacht,
Menschenrechte schwer verletzt,
und sich selbst ins Unrecht setzt,
wenn man es nicht akzeptiert,
und entsprechend praktiziert:
Ob schwarz, ob gelb, ob rot, ob bleich,
vor Gott sind alle Menschen gleich
.

Und dieser Geist bringt Poesie
in Steppe selbst und in Prärie
denn die Karl-May’sche Ars Vivendi
passt auf Rothaut und Effendi
.

Aber auch inhaltlich überzeugt Roger Willemsen voll und ganz. Er deckt nicht nur die wesentlichen Werke von Karl May ab, sondern weiß zu allen Themen immer auch einen intelligenten Kommentar einzustreuen. Diese Kommentare haben oft Gegenwartsbezug, was die Aktualität Karl Mays unterstreicht.

Der ethische, humanistische Impuls, der Karl Mays Werk durchzieht, kommt keinesfalls zu kurz, und auch die Abstraktion in der symbolischen Chiffrenwelt des Spätwerkes wurde nicht vergessen. Auch die Kritik an Karl May wird thematisiert – und zurückgewiesen. Roger Willemsen singt das Lob Karl Mays, wie er es verdient hat.

Beispiele für den Gegenwartsbezug:

Es mehren sich in Windeseile
die Lügen und die Vorurteile,
und das dumpfe Meinen Vieler
war historisch oft stabiler
als die staatliche Verfassung
und der Wunsch nach Unterlassung.
Wer die Wahrheit so verpackt,
sucht die Meinung, nicht den Fakt
.

Doch will man einen Staat erneuern,
so muss man erst mal ein paar feuern:
die Chefs des Speichellecker-Chors,
und die der Ämter und Ressorts
.

Die Wirklichkeit wird nicht verneint,
nur ist sie selten, wie sie scheint:
Der Freund entpuppt sich als Verräter,
der Kamerad als Serientäter,
der gute Kerl kommt hinter Gitter,
ist aber eher Samariter.
Wo man Komplizenschaft erwartet,
ist längst schon alles abgekartet,
wo Wald sein soll, liegt eine Heide,
wo Wüste ist, wächst doch Getreide,
und statt dem Fluss liegt bloß ein Kiesbett.
Mach’s muslimisch, nenn es: Kismet!

Als ihm unerträglich schienen
seine schwedischen Gardinen,
lernte er: Das größte Glück
kehrt im Augenblick zurück,
da man sich aus seiner Zeit,
seinen Zwängen selbst befreit.
Ob Ehe, Haft, ob Tyrannei,
man geht und sagt: Ich bin so frei
.

Kurz: Jeder Freund der deutschen Literatur, jeder Karl-May-Fan kommt hier voll auf seine Kosten! Nur einige wenige Reime sind allzu geschüttelt: Es fällt nicht ins Gewicht.

Das Bändchen ist mit etlichen Bildern von Michael Sowa geschmückt, die in einem Quint-Buchholz-artigen Stil herrlich düster und geheimnisvoll sind. Manchmal einfach nur gut illustrierend, manchmal aber auch hintersinnig-comichaft karikierend.

Für Leser wie für Leserinnen
führt jede Reise stets nach innen,
Dampfrösser, Pferde und Kamele
erreisen auch die Menschheitsseele.
Von dieser kriegt man nie zu viel,
auch deshalb ist der Weg das Ziel.
Hier liegt des Werkes Quintessenz:
Erlösung krönt die Existenz
.

Der Verlag Kein & Aber hat sich allerdings einen dicken Faux-pas geleistet: Auf der Rückseite des Buches finden sich jene Verse abgedruckt, in denen die Kritik an Karl May wiedergegeben wird – ohne die direkt folgenden Verse zu zitieren, die diese Kritik wiederlegen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass dieses Büchlein sich diese Kritik zu eigen machen würde, was völlig falsch ist.

Warum hat der Verlag das getan? Glaubte der Verlag etwa, dass es mehr kaufwillige Karl-May-Kritiker als Karl-May-Fans geben würde? Das ist nicht anzunehmen. Bleibt nur der Verdacht, dass der Verlag den falschen Eindruck erweckte, um nicht in den Verdacht zu geraten, selbst zu den Karl-May-Fans zu gehören. Weil das in der „Blase“, in der sich dieser Verlag bewegt, nicht gut ankommt. Die Welt von Verlagen und Buchhandel ist durchsetzt mit linkslastigen Karl-May-Verächtern. Es ist die einzige Erklärung.

Mag er uns auch manchmal fern sein,
Winnetou muss nicht modern sein,
denn wir konzedieren neidlos:
Winnetou ist einfach zeitlos
.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand (2009)

Gelungener Schelmenroman zum 20. und 21. Jahrhundert

Der Roman „Der Hundertjährige der aus dem Fenster stieg und verschwand“ von Jonas Jonasson ist ein moderner Schelmenroman, eine gelungene Mischung aus „Forrest Gump“, dem „Taugenichts“ und „Ladykillers“. Unbekümmert schreitet der hundertjährige Alan Karlsson aus dem Altersheim in die Welt hinein und verwickelt sich in eine höchst amüsante Gaunerkomödie.

In Rückblenden erfährt man, dass Alan Karlsson ebenso unbekümmert duch das verrückte 20. Jahrhundert schritt und dabei an welthistorischen Weichenstellungen beteiligt war. Das Buch ist durch und durch ironisch und gnadenlos unpolitisch. Bierernste Moral oder Politische Korrektheit darf man nicht erwarten, doch das verleiht dem Buch einen gut Teil seines Reizes. Es wird sogar das Thema angeschnitten, dass die 1968er-Bewegung über Agenten aus dem Osten befeuert und gesteuert wurde. Allzu linke Leser dürften keinen Gefallen an diesem Buch finden.

An manchen Stellen hätte man erwartet, dass der Autor sich kürzer fasst, der Schluss zieht sich doch sehr. Vielleicht sollte man den Schluss aber auch als Parodie der geistigen Zustände am Anfang des 21. Jahrhunderts verstehen?

Zum Hörbuch: Der Vorleser Peter Weis ist großartig, viel besser als der Leser der gekürzten Fassung Otto Sander. Weis bringt die Ironie mit seiner gezielt nachlässig-nuscheligen Stimme immer wieder perfekt auf den Punkt.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 7. Juni 2013)