Schlagwort: Kartographie

Andreas Kleineberg, Christian Marx, Eberhard Knobloch, Dieter Lelgemann: Germania und die Insel Thule – Die Entschlüsselung von Ptolemaios‘ „Atlas der Oikumene“ (2010)

Ein Lehrstück für die Interpretation antiker Texte

Mit „Germania und die Insel Thule“ hat das Berliner Team von Wissenschaftlern eine grundlegende wissenschaftliche Arbeit vorgelegt, die die von Ptolemaios überlieferten Koordinaten auf moderne Koordinaten umlegt.

Dabei mussten sie berücksichtigen: Die systematische Verschiebung von ganzen Ortsgruppen, weil der Ort, an dem sich die Koordinaten der anderen Orte orientieren, falsch bestimmt wurde. – Abschreibefehler über die Jahrhunderte. – Übertragungsfehler von germanischen Ortsnamen ins Lateinische, und von dort ins Griechische. – Art und Qualität der Quellen, aus denen Ptolemaios seine Kenntnisse schöpfte. – Antikes Messwesen und typische Messfehler. – Typische Irrtümer, denen Ptolemaios bei Schlussfolgerungen unterlegen sein könnte. – Entlarvung fälschlicher Benennungen von Orten in der Neuzeit nach verfehlten Lokalisierungen der Orte nach Ptolemaios. – Archäologische Kenntnisse über Orte und Wege in Germanien. – usw. usf.

Kurz: Für überlieferte Ortsangaben, die hinten und vorne nicht zur Wirklichkeit zu passen scheinen, die oft nach purer Phantasie aussehen, mussten die Autoren eine komplexe Abbildung auf die wirkliche Welt entwickeln, die jeden Ort im hier und jetzt lokalisierte und gut begründete, warum dieser Ort gemeint war. Wer nach Atlantis suchen wollte stünde vor keinen anderen Problemen und hätte keine andere Aufgabe zu lösen als eben diese.

Das Buch skizziert den angewendeten Algorithmus, führt ihn jedoch nicht bis ins letzte Detail aus, was schade ist. Es wird deutlich, dass am Ende doch keine rein algorithmische Mechanik angewandt wurde, sondern auch sehr viel gesunder Menschenverstand eingeflossen sein muss, um die einzelnen Orte zu lokalisieren. Dieses Vorgehen hätte präziser dargestellt sein können. Bei der Identifizierung der Insel Thule hätte man deutlicher machen sollen, dass kaum eine einzelne kleine Insel gemeint sein konnte, sondern nur Skandinavien als Ganzes. Die Aufschlüsselung und Interpretation der Quellen zu Thule ist aber ebenfalls überzeugend gelungen.

Fazit

Das Buch ist bedeutend unter zwei Gesichtspunkten: Zum einen ist es ein Lehrstück über die Interpretation antiker Texte; in diesem Fall besonders reizvoll, da auch die Mathematik mit hineinspielt. Zum anderen lässt sich vermuten, dass die sichere Lokalisierung so vieler Orte im germanischem Raum die römisch-germanische Archäologie revolutionieren wird.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 27. Januar 2011)

Dirk Liesemer: Lexikon der Phantominseln (2016)

Gute Idee, interessantes Thema, schön gemacht – zu Atlantis aber etwas einseitig

„Insel-Bücher“ gibt es ja inzwischen eine ganze Reihe: Abgelegene Inseln, vergessene Inseln, literarische Inseln – und jetzt Phantom-Inseln: Inseln, die tatsächlich einmal auf Seekarten (und sogar bei Google Earth!) verzeichnet waren, obwohl es sie nie gab.

Dahinter steckt immer eine interessante Geschichte, die etwas über die Menschen, die Zeiten und das Schicksal lehren kann. Aber auch die menschliche Erkenntnis wird herausgefordert: Wie sicher können wir uns unserer Weltkenntnis eigentlich sein? Um wem verdanken wir sie eigentlich? Wir wähnen uns im modernen Zeitalter des Satelliten, und doch beruht noch vieles auf Wissen von alters her.

Zu Platons Atlantis gibt es allerdings noch ganz andere Meinungen, die hier etwas zu kurz kommen. Es ist keineswegs so, dass Atlantis in der Antike gemeinhin als Erfindung galt, und so war es von Platon wohl auch nicht gemeint. Während wir ganz genau wissen, dass Atlantis im wörtlichen Sinn niemals existiert haben kann, könnte es sich immer noch um eine verzerrte historische Überlieferung handeln, hinter der ein realer Ort steht. Richtig ist allerdings, dass im Laufe der Geschichte eine ganze Reihe von Inseln für Atlantis gehalten und mit dem Namen „Atlantis“ auf den Karten verzeichnet wurden. Mehr zu Atlantis in dem Buch: Kritische Geschichte der Meinungen und Hypothesen zu Platons Atlantis: Von der Antike über das Mittelalter bis zur Moderne.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 20. September 2016)