Schlagwort: Tragödie

Dino Buzzati: Die Tatarenwüste (1940)

Großartige Parabel auf ein leer vertanes Leben auf dem Abstellgleis

Der junge Oberleutnant Drogo wird auf die einsam gelegene Festung Bastiani am Rande der Tatarenwüste abkommandiert. Eigentlich will er dort nicht lange bleiben, aber dann verlängert er seinen Aufenthalt immer wieder …..

Dino Buzzati hat mit der „Tatarenwüste“ die Lebensgeschichte eines Menschen geschrieben, der vom Schicksal auf ein Abstellgleis geschoben wird und es sich dort allzu leicht gemütlich macht – und auf diese Weise am wahren Leben vorbei lebt.

Immer wieder macht er sich neue falsche Hoffnungen und erfindet Ausreden und irrige Vertröstungen, um ein Leben im Stillstand zu rechtfertigen. Es fehlt ihm vielleicht auch der Mut, und er ist zu bequem. Aber auch seine Mitmenschen helfen tatkräftig dabei mit, ihn aufs Abstellgleis zu schieben. Und er lässt es gutmütig mit sich machen. Wirkliche Freunde scheint er nicht zu haben, die ihn ins wirkliche Leben zurückholen könnten.

Es ist ein sehr trauriges Buch, in dem jeder Leser die ein oder andere Facette seines Lebens wiederfinden wird. Wir alle haben schon auf die ein oder andere Weise mehr oder weniger lange in eine „Tatarenwüste“ geblickt. Was für die meisten von uns nur eine Facette des Lebens war, wurde hier zum Inhalt eines ganzen Lebens. Ein Leben kann auch grässlich schiefgehen, und Dino Buzzati führt es uns exemplarisch vor Augen. Eine gute Warnung.

Dino Buzzati hatte dieses Buch schon 1940 herausgebracht, es feierte aber nach 1945 Erfolge. Nach den langen Jahren des Krieges und der Diktatur, in denen man vieles aufschob, konnte das Leben endlich wieder losgehen. Insofern könnte man das Buch als Aufbruchsignal werten.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 18. Oktober 2019)

Mary Renault: Die Maske des Apoll (1966)

Ruhiger, genau beobachtender, aber zu braver Historienroman

Die Handlung des Historienromans „Die Maske des Apoll“ von Mary Renault entwickelt sich rund um den Versuch Platons, im Syrakus des Tyrannen Dionysios II. unter Mithilfe von Dion, dessen Verwandten und Anhänger Platons, den Idealstaat zu errichten. Der Protagonist ist dabei ein reisender Theaterschauspieler, der das politische Geschehen beobachtet und dessen Auswirkungen am eigenen Leibe zu spüren bekommt.

Mary Renault kann sich gut in die Zeit und die besonderen Umstände hineindenken und verblüfft mit ihrer genauen Kenntnis des antiken griechischen Theaters; wer sich dafür interessiert, kommt in jedem Fall auf seine Kosten. Vorkenntnisse in diesem Bereich sind von Nutzen, um jede Anspielung zu verstehen. Auch Platon und seine Philosophie werden ganz gut getroffen, ebenso alles andere. An zwei Stellen kleidet Mary Renault die Philosophie Platons etwas gewagt in neutestamentliche Worte. Die Person des Platon wird zu sehr idealisiert. Der Roman ist in einem antiquiert wirkenden, ruhigen Stil geschrieben, der fern von dem Aktionismus moderner Pageturner seinen eigenen Charme entwickelt.

Doch der Roman ist zu brav geraten. Es fehlt das Besondere, der Biss. Vielleicht ist der Biss in bezug auf das antike Theater gerade eben noch vorhanden; in bezug auf Platon, seine Philosophie und dessen Versuch, den Idealstaat zu verwirklichen, fehlt er jedoch gewiss.

In Kapitel 12 (S. 261) könnte es eine Anspielung auf Platons unvollendete Darstellung von Atlantis geben, wo von einer unvollendeten Schrift Platons die Rede ist; doch das bleibt eine Vermutung, auf den Inhalt der Schrift wird nicht eingegangen.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon 14. Februar 2012)