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Wolfgang Koeppen: Das Treibhaus (1953) – Teil 2 der Trilogie des Scheiterns

Blick eines Enttäuschten auf den Politikbetrieb der jungen BRD

Der Roman „Das Treibhaus“ von 1953 ist der zweite Teil der „Trilogie des Scheiterns“ von Wolfgang Koeppen. Während sich der erste Teil „Tauben im Gras“ dem Leben und Treiben der kleinen Leute widmete, deren kleines Leben und seine Probleme teils durchaus tragikomische Züge trug, begegnen wir hier nun dem Bundestagsabgeordneten Keetenheuve, der tatsächlich alle seine Träume tragisch scheitern sieht.

Wir verfolgen in konzentrierter Form den Ablauf zweier Tage Keetenheuves in der neuen Bundeshauptstadt Bonn, und bekommen dabei – buchstäblich en passant – ein detailreiches Gemälde der Zustände und der Atmosphäre im damaligen Bonn vor Augen geführt. Die Bundeshauptstadt gleicht einem Treibhaus, in dem sich alle wie im Hamsterrad abmühen, doch in der trägen Atmosphäre kommt kaum ein Erfolg aller Mühen zustande.

Der lose verfolgte rote Faden der politischen Handlung des Romans ist kurz erzählt: Keetenheuve stimmt Bauvorhaben für Arbeiterwohnungen zu, obwohl er sie für zu klein hält. Der Parlamentarier Korodin von der Gegenpartei hofft insgeheim, den Gewissensmenschen Keetenheuve auf seine (christliche) Seite herüberziehen zu können, doch Keetenheuve ahnt nicht und wird es auch nie erfahren, dass ihm vom politischen Gegner diese geradezu menschliche Anteilnahme entgegen gebracht wird. Keetenheuve erhält eine exklusive Information, mit der er die Regierung in einer Parlamentsrede unter Druck setzen kann. Doch kurz bevor er die Rede hält, erfährt er, dass die Meldung längst durchgesickert ist. Außerdem wird ihm, der als Gewissensmensch und unbequem gilt, der Posten des Botschafters in Guatemala angeboten, um ihn dorthin abzuschieben. Keetenheuve widersteht dieser Versuchung.

Keetenheuve übersetzt lieber Baudelaire als dass er seine Arbeit macht. Er träumt von Pazifismus und sozialer Gerechtigkeit, doch die Realität der Verhältnisse zerstört diese Träume gründlich. Die BRD steuert die Wiederbewaffnung an, und die sozialen Verhältnisse können nur in kleinen Schritten verbessert werden. Zudem befindet sich die BRD im „Käfig“ einer höheren Macht (USA), und man weiß nicht, wohin dieser „Käfigträger“ einen führen wird. Ständig tritt das Angsttrauma Keetenheuves zutage, dass auch die neuen Verhältnisse letztlich nur den Keim zu einem neuen Nationalsozialismus und zu einem neuen Krieg in sich tragen könnten. Kriege kämen zustande, weil die Denker der Nationen nicht gut genug gedacht haben. – Soeben ist auch die Ehefrau Keetenheuves gestorben, die er aber innerlich schon lange vorher verloren hatte, weil die politische Arbeit ihm die Zeit stahl, sich um sie zu kümmern. Teilweise fühlt sich Keetenheuve wie ein Ausländer im eigenen Land.

Am Ende vergreift sich Keetenheuve an einem Mädchen der Heilsarmee und begeht anschließend Suizid, indem er von einer Rheinbrücke springt.

Wir lernen in diesem Buch wieder viel über die Sinnlosigkeit menschlichen Strebens. Sogar mehr als genug: Offenbar war Koeppen maßlos von der neuen BRD enttäuscht, und weil er vom Nationalsozialismus und vom Krieg traumatisiert war, befürchtete er das Schlimmste – zu Unrecht. Es ist definitiv mehr Sinnlosigkeit und mehr Tragik in diesem Buch als in „Tauben im Gras“. Wir lernen zudem etwas über die 1950er Jahre, und wir lernen etwas über den Politikbetrieb, wie er im Grundsatz heute nicht viel anders sein wird als damals.

Eines fällt auf: In diesem Roman spielen Juden und der Holocaust keine besondere Rolle. Sie kommen praktisch so gut wie nicht vor. Überhaupt wird in diesem Roman der Tod vor allem als Tod im Krieg thematisiert. Vom Tod durch Verfolgung ist eher nicht die Rede. Es handelt sich offenbar um eine damals selbst bei kritischen Geistern verbreitete, verzerrte Wahrnehmung.

Auch dieses Werk ist dicht geschrieben, und voller skurriler Assoziationen und surrealen Szenen, aber stilistisch ist es nicht mehr so genial wie „Tauben im Gras“.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 13. Juni 2018)

Wolfgang Koeppen: Tauben im Gras (1951) – Teil 1 der Trilogie des Scheiterns

Stilistische Sprachspiele im Geist der frühesten BRD

Wolfgang Koeppens „Tauben im Gras“ ist eine sich ständig abwechselnde Aneinanderreihung von kleinen Fortsetzungsepisoden aus dem Alltag der Menschen um 1950 in München, die sich innerhalb eines Tages von morgens bis abends ereignen und sich zunehmend miteinander verweben, bis die Verwicklungen einem Höhepunkt zustreben.

Gefolgt wird u.a. dem Tageslauf eines alten Amtmannes, der einen schwarzen amerikanischen Besatzungssoldat begleitet, der wiederum von einer Deutschen ein Kind erwartet, die wiederum abtreiben lassen möchte, deren Mutter wiederum Schande in der Verbindung mit einem Schwarzen sieht; eine Kommerzienratstochter, die mehrere Häuser besitzt, die in der damaligen Zeit aber niemand kaufen will, weshalb sie ihren Hausrat und Schmuck zu Pfandleihern tragen muss; Ihren Freund, einen inspirationslosen Schriftsteller; ein ratloser Psychiater; ein bekannter Schriftsteller und eine Gruppe amerikanischer Lehrerinnen auf Deutschland-Tournee; Straßenkinder; Huren; ein Kapellmeister; ein frömmelndes Dienstmädchen; ein übertrieben träumendes Dienstmädchen; und allerlei andere Leute.

Die Episoden sind sprachlich verschränkt, was in der einen Episode ein sinnvolles Wort war, ist in der angeschlossenen Episode ein absurder Kontrast dazu. Eingestreut werden immer wieder Schlagzeilen aus damaligen Zeitungen, die ebenfalls das Geschehen absurd kontrastieren. Koeppen spielt mit der Sprache, fast wie Arno Schmidt, aber nicht so extrem, aber mehr noch und absurder als Thomas Mann. Absurde Assoziationen lassen auch absurde und verdrängte Erinnerungen an die Vergangenheit 1914-1945 aufkommen.

Man sagt, wer die Atmosphäre in der damaligen BRD kennenlernen möchte, sollte diesen Roman lesen. Das stimmt wohl, auch wenn es nur ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit ist.

Weltanschaulich und moralisch vertritt das Werk die These, dass die Menschen und ihr Leben und Streben wie „Tauben im Gras“ erscheinen, ein bekanntes Zitat von Gertrude Stein: Zufällig und sinnlos. Auch das passt zur damaligen Atmosphäre. Die Menschen und die Gesellschaft haben kein Ziel und vegetieren vor sich hin. Der bekannte Schriftsteller, der in einem Vortrag die Kultur des Abendlandes beschwört, wird von niemandem verstanden.

Insofern dies eine Zustandsbeschreibung ist, ist es sehr treffend. Und das ist die Stärke des Romans. Insofern der Roman aber keine Perspektive bietet, und mögliche Perspektiven sogar ablehnt, ist der Roman ein Werk des Nihilismus, und damit abzulehnen. Die Sinnvernichtung und Sinnzerstörung, die sich lange vorbereitend 1945 einen vorläufigen Höhepunkt erreichte, wird durch diesen Roman leider bestätigt, statt dem etwas entgegen zu setzen.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 12. März 2018)

PS 07.10.2023

Im März 2023 entbrannte eine absurde Debatte um den Umstand, dass der Roman wiederholt das Wort „Neger“ verwendet. Das Wort „Neger“ war ein völlig wertungsfreies Wort der deutschen Sprache. Es war allgemein im Gebrauch, auch und gerade bei Gegnern des Rassismus. Erst etwa in den 1980er Jahren begann man damit, bewusst auf dieses Wort zu verzichten, weil es lautlich ähnlich wie das amerikanische N-Wort klingt. Man wollte also Missverständnisse vermeiden. Man verzichtete aber nicht deshalb auf das Wort, weil das Wort selbst abwertend gewesen wäre. Die englische Entsprechung zu „Neger“ ist auch nicht das N-Wort, sondern das Wort „negro“. Laut Wikipedia 2023 ist auch das Wort „negro“ an sich wertungsfrei.

Das Wort „Neger“ kommt im Roman in neutralen, in abwertenden und in positiven Kontexten vor. Man mache die Probe, und ersetze das Wort „Neger“ in abwertenden Aussagen durch das heute gebräuchliche „Schwarzer“, und man wird sehen, dass der abwertende Ton unverändert erhalten bleibt. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie auch das Wort „Schwarzer“ in den entsprechenden Kontexten von den Romanfiguren gehässig hervorgestoßen wird. Es ist nicht das Wort „Neger“, das den abwertenden Effekt erzeugt.

Leider haben gewisse Kreise seit den 1980er Jahren ganze Arbeit in Sachen Desinformation geleistet. Sie haben die Unwahrheit verbreitet, dass das Wort „Neger“ ein abwertendes Wort gewesen wäre. Sie vermeiden außerdem konsequent, das Wort explizit auszusprechen, und sprechen statt dessen ständig vom „N-Wort“. Damit vermischen und verwirren sie aber das neutrale deutsche Wort „Neger“ mit dem amerikanischen N-Wort, das schon immer eindeutig abwertend gemeint war. Solche verwirrten Meinungen sind heute im real existierenden Wissenschaftsbetrieb vorherrschend.

Auf diese Desinformation ist im März 2023 offenbar eine Ulmer Deutschlehrerin mit Migrationshintergrund hereingefallen. Sie glaubte tatsächlich, dass das Wort „Neger“ abwertend gemeint sei. Die „Urdeutschen“ wissen alle, dass das nicht der Fall ist, denn sie oder ihre Eltern haben das Wort bis in die 1980er Jahre völlig wertfrei benutzt. Aber die Deutschlehrerin mit Migrationshintergrund konnte das nicht wissen, weil sie und ihre Eltern in den 1980ern noch nicht in Deutschland lebten. (Oder sie verdrängte die Wahrheit, denn sie ist zugleich eine politische Aktivistin der bekanntlich recht einseitig ausgerichteten „Black Lives Matter“-Bewegung.) Also unterstellte sie dem Autor Wolfgang Koeppen und überhaupt der deutschen Gesellschaft insgesamt Rassismus. Sie mag es gut gemeint haben, aber sie hat natürlich vollkommen Unrecht.

Wir, die wir das Wort selbst noch wertfrei und deshalb völlig ohne Bedenken gebrauchten, kennen die Wahrheit aus eigenem Erleben. Aber man kann es auch belegen: Denn wenn man tatsächlich den Maßstab anlegen würde, dass das Wort „Neger“ wie das amerikanische N-Wort ein rassistisches Wort war, dann wären auch die edelsten Geister der letzten Jahrhunderte allesamt üble Rassisten gewesen, denn das Wort findet sich querbeet in der gesamten deutschsprachigen Literatur. Insbesondere auch erklärte Gegner des Rassismus gebrauchten natürlich das Wort „Neger“, um jene Menschen zu bezeichnen, die sie in Schutz nahmen.

Es macht Sinn, das Wort „Neger“ heute nicht mehr zu verwenden, um Missverständnisse zu vermeiden. Aber im nachhinein sämtliche historischen Verwendungen des Wortes für rassistisch zu erklären, ist einfach nur falsch.

PS 25.01.2024

Weil es schon länger her ist, dass ich das Buch gelesen hatte, und weil die öffentliche Debatte unter dem „N-Wort“ derzeit unterschiedslos sowohl das N-Wort als auch das Wort „Neger“ subsumiert, ist mir gar nicht aufgefallen, dass der Roman neben dem Wort „Neger“ an einigen Stellen tatsächlich auch das N-Wort enthält. Aber auch das ist völlig in Ordnung, weil der Roman an diesen Stellen ganz offensichtlich rassistische Sprache wiedergeben will, wie sie nun einmal ist.

An dem Umstand, dass ich irrigerweise dachte, die Debatte ginge ausschließlich um das Wort „Neger“, kann man erkennen, zu welchen unnützen Verwirrungen diese Sprechverbote führen. Abgesehen davon, dass sie einfach nur überflüssig sind und dazu führen, dass man gar nicht mehr weiß, worüber man eigentlich spricht, sind diese Sprechverbote auch noch kontraproduktiv: Denn durch das Sprechverbot erschafft man erst eine „Beleidigung“ für Schwarze, die es vorher nicht gab. Plötzlich gilt bereits die bloße Nennung des Wortes als Beleidigung, selbst wo der Kontext völlig klar macht, dass es nicht als Beleidigung gemeint ist.

Cora Stephan: Angela Merkel – ein Irrtum (2011)

Realismus ohne Zynismus: Angela Merkel ist eine Enttäuschung

Cora Stephan fasst den Irrtum gut in Worte, dem viele Wähler unterlagen: Man hatte erwartet, dass Angela Merkel endlich tabulos und vernünftig zu regieren beginnt, sobald sie die Fesseln der großen Koalition abgeschüttelt hat – doch es kam nichts.

Aus Merkel wurde Tina = „There Is No Alternative“. Keine höheren Ziele mehr, nur noch Durchwursteln. Keine Offenheit mehr, kein frischer Blick von Osten auf den verstaubten Westen, sondern Fortsetzung der Tabus. Keine „Eiserne Kanzlerin“, keine neue „Thatcher“, die das Land nach Jahren des Stillstandes wieder auf Zack bringt, sondern „Mutti“, die ganz Europa mit sozialer Wärme zudeckt und als Klimakanzlerin sogar die ganze Welt retten will – auf Pump und unter Entmündigung der Bürger versteht sich.

Eigentlich bringt Cora Stephan nichts neues, sie fasst die bekannte Misere aber gut in Worte, und das nicht aus „christlicher“ oder „neoliberaler“ Sicht, sondern aus der Perspektive einer maßvollen und vernünftigen Beobachterin, die von Merkel einfach nur das Abschütteln der ein oder anderen Lebenslüge der BRD erwartet hatte (Klima, Sozialstaat, Migration, Europa, deutsche Vergangenheit usw.).

Ganz nebenbei wird daran auch sichtbar, dass sich das politische Klima in Deutschland erheblich verändert hat: Der Bürger beginnt aufzuwachen, während manche Medien in ewiggestriger Abwehrhaltung überall Spießer und Nazis vermuten. Man kann Grüne, SPD, Linke, CDU, CSU und FDP einfach nicht mehr wählen. Die Bürger beginnen, die Freiheit zu entdecken.

Aber das tollste ist: Dieses Buch kam kurz vor Fukushima heraus! Das Verhalten von Angela Merkel während der Fukushima-Krise bestätigt die Thesen der Autorin 100prozentig.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Geschrieben Juli 2011)

Melanie Amann: Angst für Deutschland – Die Wahrheit über die AfD: wo sie herkommt, wer sie führt, wohin sie steuert (2017)

Demokratie-blinde Analyse der (leider) rechtsradikal gewordenen AfD

Melanie Amann hat zwar Recht: Die AfD (von heute) ist eine rechtsradikale Partei. Aber man kann die AfD nicht korrekt analysieren, ohne gleichzeitig den bedenklichen Zustand der BRD-Demokratie zu analysieren.

Der Gründungsimpuls der AfD war keineswegs Sarrazin. Der Gründungsimpuls der AfD war der Bruch von Staatsverträgen, Verfassung und Gesetzen durch die Merkel-Regierung, in „alternativloser“ Komplizenschaft mit den anderen etablierten Parteien, um den Euro zu „retten“. Unsere Demokratie war durch die „alternativlose“ Ununterscheidbarkeit der etablierten Parteien in immer mehr Politikfeldern schon davor in einer Krise, aber durch den formalen Bruch der demokratischen Grundregeln hatte unsere Demokratie nun einen echten Hau abbekommen: Und genau das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, genau das war der Gründungsimpuls, der Bernd Lucke und andere völlig seriöse Menschen zusammenbrachte, um die AfD zu gründen. Als liberal-konservative Partei.

Erst im Laufe der Zeit ist die AfD immer rechter geworden, bis sie schließlich die Grenzen zum Rechtsradikalismus überschritten hat (meiner Meinung nach war das im Sommer 2016, und nicht schon mit dem Abgang von Lucke). Heute schafft es die AfD nicht mehr, sich glaubwürdig von Antisemitismus abzugrenzen. Björn Höcke hält Reden im unverhohlenen Hitler-Duktus.

Und was den Islam anbetrifft, so ist die AfD schon längst von den Weisheiten Sarrazins abgewichen, der in seinem berühmten Buch auf S. 268 den folgenden klugen Satz schrieb: „Liberale Muslime wehren sich dagegen, ‚dem Islam‘ als solchem bestimmte Eigenschaften zuzuschreiben, und damit haben sie Recht. … Leider ist aber nicht zu bestreiten, dass unter den vielen teils uneindeutigen, teils widersprüchlichen Strömungen des Islam ein Gesellschaftsbild dominiert, bei dem die Trennung von Religion und Staat weitgehend noch nicht angekommen ist, die Gleichberechtigung der Geschlechter kaum existiert“. — Anders als Sarrazin lehnt die AfD von heute den Islam pauschal und radikal ab, und hat die die Solidarität mit Islamreformern aus ihrem Programm herausgestrichen. [PS 30.07.2023: Zum Islam hat Björn Höckes AfD-Fraktion im Thüringer Landtag Mitte 2016 eine Schrift veröffentlicht, die eine antihumanistische Haltung zum Thema Islam formuliert. Der Islam sei inhärent traditionalistisch, denn die „säkularen“ Ideen von Vernunft und Aufklärung könnten auf den Islam angeblich nicht angewandt werden. In islamischen Ländern habe der Islam seinen guten Platz, nur nach Europa gehöre er nicht. Auf dieser ideologischen Grundlage kann die AfD mit islamischen Traditionalisten und Islamisten weltweit kooperieren, während sie Islamreformer grundsätzlich ablehnt und auch keinen liberalen Islam in Deutschland möchte.]

Die AfD ist heute also rechtsradikal und damit abgehakt.

Die fundamentalen Probleme der BRD-Demokratie sind damit aber noch lange nicht abgehakt. Unsere etablierten Parteien brechen immer noch Staatsverträge, Verfassung und Gesetze. Unsere etablierten Parteien vertreten in vielen Politikfeldern immer noch eine derart einheitliche Meinung, dass andersdenkende Bürger praktisch keine Wahl bei der Wahl haben. Wer darin keine ernsthaften, fundamentalen und über kurz oder lang auch gefährlichen Probleme sieht, darf sich nicht Demokrat nennen.

Melanie Amann hat das falsche Buch geschrieben. Hier geht es schon lange nicht mehr um die AfD. Hier geht es schlicht um das Überleben der Demokratie in unserem Land. Aber dazu hat Melanie Amann nichts zu bieten. Und ja: Ich habe Angst davor in einem Land zu leben, das keine Demokratie mehr ist. Echte, berechtigte Angst.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 15.04.2017)

Martin Mosebach: Westend (1992)

Frankfurter Buddenbrooks: Leben und Fall zweier Familien im Westend 1945-1960

Der Roman „Westend“ hat gewisse Ähnlichkeiten zu Thomas Manns „Buddenbrooks“. Es wird das Leben und der Verfall zweier alteingesessener Frankfurter Familien von ca. 1945 bis 1960 beschrieben.

Handlung

Da ist zum einen die Familie Labonté, die aus zwei Tanten und dem elternlosen Großneffen Alfred besteht, den die beiden großziehen. Diese Familie repräsentiert die Tradition. Im Haus Labonté scheint die Zeit stehen geblieben. Vom Mobiliar über die Lieblingsbeschäftigungen der Tanten bis hin zur Haushälterin Fräulein Emig ist alles so wie zu Kaisers Zeiten, als die Welt „noch in Ordnung“ war. Man fühlt sich an Joseph Roths „Radetzkymarsch“ erinnert. – Zum anderen ist da die Familie Olenschläger-Has: Die verstorbene Patriarchin Olenschläger hat den Vetter Fred Olenschläger zum Verwalter des Familienvermögens bestimmt, von dem der Haupterbe Eduard Has nur Renten ausgezahlt bekommt.

Die Familie Labonté entwickelt sich bürgerlich und abwartend. Im wesentlichen sieht man Alfred älter werden und seine Beobachtungen machen. – Eduard Has hingegen treibt es toll: Er luchst dem Kunsthändler Guggisheim die Ehefrau Dorothée ab (bzw. sie läuft zu ihm aus gewissen Gründen über), baut mithilfe von Guggisheim eine bedeutende Sammlung expressionistischer Gemälde auf, und lässt die alte Familienvilla im Westend abreißen und durch einen modernen, kalten Glastempel ersetzen, in dem er die Sammlung aufhängt. Nebenher hat er ein Verhältnis mit Etelka, der verstoßenen Ehefrau des Schrotthändlers Kalkofen. In die Familie drängt sich mehr und mehr der steirische Architekt Szépregyi, der ein Verhältnis mit Has‘ Tochter Lilly beginnt.

Am Ende scheitert Has völlig: Er kann sich nicht mehr von Etelka lösen, Dorothée lässt sich von ihm scheiden, Fred Olenschläger jubelt ihm durch Winkelzüge soviel Schulden unter, dass er seine Gemäldesammlung wieder abgeben muss, und seine geliebte Tochter brennt mit Szépregyi durch.

Alfred hingegen muss erleben, wie seine heile Welt sturzartig in sich zusammenbricht, als jene der beiden Tanten stirbt, die ihn eigentlich geliebt hatte. Denn die verbliebene andere Tante – von der wir durch die Blume erfahren, dass sie einst für Hitler war – macht reinen Tisch: Der Haushalt in der Westend-Villa wird aufgelöst, alle vertrauten alten Möbel, Bilder und Haushaltsgegenstände verkauft, die Haushälterin entlassen, und die Tante zieht in ein Altersheim nach Kronberg, während Alfred allein und verlassen in der Mansarde der leeren Westend-Villa zurückbleibt.

Doch es gibt einen Lichtblick: Alle Verwicklungen scheinen darauf hinauszulaufen, dass Lilly am Ende Alfred zufällt, und Alfred entschlossen zugreift, und beide ein neues Leben beginnen können, losgelöst von den Trümmern der Vergangenheit. Dieses Happy End wird allerdings nur angedeutet. Und auch hier gilt: Es ist offenbar nicht reine Liebe, sondern Lilly fällt Alfred zu, weil sich anderes zerschlägt. Zudem ist Alfred überzeugt, dass Lilly flach und albern ist.

Zeitbezüge

Sehr interessant ist die Phase unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Wir erfahren von Bombennächten, Zerstörungen im Krieg, Einweisungen der Ausgebombten, dem neu aufblühenden Leben in den Ruinen, und nicht zuletzt auch von Vertriebenen: Schlesier sind zweimal ein Thema. Einmal in der Person der Kehrfrau Scharnhorst, eine verkniffene, Wagnersche Zwergenfigur. Und einmal bei der Suche nach einer Köchin, wo man zur Not auch eine Schlesierin nehmen würde … – Sie kommen also nicht gut weg, die Schlesier. Immerhin wird Eduard Has kräftig auf die Schippe genommen, als er Etelka gegenüber von „Pack aus dem Osten“ spricht, denn Etelka selbst kommt ebenfalls aus dem Osten, in ihrem Fall aus Zoppot in Westpreußen.

Zur Entwicklung des Westends erfährt man, wie die Menschen damals die historistische Architektur der alten Gründerzeit-Villen geringschätzten, und die Politik die Immobilienspekulation im Westend anheizte. Kunsthistoriker verachteten die Villen als eklektisch. Mancher schlug die Ornamente von der Fassade, warf seine alten Möbel hinaus, und schaffte sich Nierentische an. Geduldet durch die Politik bildete sich ein Straßenstrich, Villen verfielen, Gastarbeiter wurden einquartiert, Schimmel und Ratten breiteten sich aus: Man versuchte, die restlichen Bewohner zu vertreiben. Hochfliegende Pläne einer „Bürostadt Schubertstraße“ wurden geschmiedet. – Doch dann schwenkte die Politik unter dem Druck der Bürger um, und die Immobilienspekulation ging schief. Die Kunsthistoriker passten ihr Urteil flugs der Zeit an.

Wir lernen durch dieses Buch auch, dass es nicht erst die 1968er waren, die mit den Traditionen brachen und sich von ihrer Vorgängergeneration abwandten. Das geschah schon eine Generation zuvor! Die 1968er haben in diesem Sinne eher zu Ende geführt, was ihre Elterngeneration im Grunde auch wollte. Wie so oft war diese Jugendbewegung keine reine Jugendbewegung, sondern führte lediglich das aus, was die Elterngeneration ihr mit auf den Weg gegeben hatte, und rannte damit offene Türen ein. Der Bruch von 1968, er muss also mindestens 1945 angesetzt werden. – Aber auch die Nazis waren schon ein Bruch mit der Tradition und der Vergangenheit, auch hier schon eine Generation in Ablösung von einer verpönten Vergangenheit. Im Grunde muss man wohl das Jahr 1918 als das große Jahr des Traditionsbruchs ansetzen, und 1968 ist sozuagen die letzte Konsequenz von 1918.

Bürgerlichkeit

Interessant sind die verschiedenen Auffassungen von Bürgerlichkeit: Im Hause Labonté ist man ganz klar bildungsbürgerlich orientiert und hat eine Vorstellung von Weltanschauung. Um Geld geht es nicht. Man fühlt sich aufgeklärt und ist nur noch pro forma Mitglied in der Kirche. Labonté senior war Freimaurer und einst an der Gründung des Vereins für Feuerbestattung beteiligt. Die konservativen Tanten werden als „atheistische Beginen“ beschrieben. Bei der Haushaltsauflösung bekommen wir zu hören, welche Bücher in „solchen“ Haushalten üblicherweise zu finden sind:

  • Die Heine-Ausgabe von 1890.
  • Haeckels „Welträtsel“.
  • Die Novellen von Paul Heyse.
  • Brehms Tierleben.
  • Heykings „Briefe, die ihn nicht erreichten“.
  • Das Herrnhuter Gesangsbuch.

Auch Eduard Has prüft überall, wo er hinkommt, welche Bücher er dort vorfindet. Aber sie sind für ihn offenbar immer nur Statussymbol. Man sieht nirgends, dass er selbst liest, oder irgendeine innere weltanschauliche oder moralische Haltung hätte. Offenbar fährt er nach Bayreuth zu den Wagnerfestspielen. Eduard Has ist ein verwöhntes Kind, musste sich offenbar nie anstrengen, scheint auch kein schwieriges Studium oder dergleichen absolviert zu haben, war den Krieg über sicher in der Schweiz untergebracht, und ist völlig unstet in seinem Willen. Geld spielt in der Familie Olenschläger-Has eine große Rolle.

Einzelnes

Es gibt verschiedene Running Gags. So z.B. das Gemälde „Der Aufbruch des Ritters von Cronberg ins Heilige Land“ von Viktor Müller im Hause Labonté. Immer wieder spiegelt sich die Geschichte in der Betrachtung dieses Gemäldes, das am Ende im Städel landet. Man erfährt dabei einiges über die Kronberger Malerschule. Ebenfalls interessant sind wiederkehrende Überlegungen zum Charakter von Privatsammlern, deren Kunsthändlern, deren Verhältnis zueinander, und wie sich eine Sammlung entwickelt. Immer wieder taucht auch Frau Trumfeller, die Sekretärin von Fred Olenschläger auf. Eine Frau mit Haaren auf den Zähnen.

Sexualität wird im ganzen Buch offenbar nirgends unter der Perspektive von Liebe durchbuchstabiert. Es geht bei Sexualität immer um ein Geschäft von Geben und Nehmen bzw. um Unterwerfung oder gar Demütigung. Es hat den Anschein, als sei dies nicht nur die Auffassung der Protagonisten, sondern auch die Auffassung des Autors. Unpassenderweise spricht der Autor heute bei diesem Roman von „Liebesgeschichten“. Klar erkennbar wird die lieblose Haltung z.B. an dem geschäftsmäßigen Umgang mit Gefühlen durch Lilly, und vor allem an Alfreds Erfahrungen bei einer Prostituierten, die ihn zu der aufschlussreichen Überlegung führen, dass es wohl schwierig werden würde, dass Lilly sich zu so etwas herablässt: Denn das ist sein Ziel. Auch Eduard Has denkt nur in Termini von Eroberung und dergleichen. Die Frauen ihrerseits geben sich den Männern ebenfalls nirgends aus Liebe hin, sondern immer nur aus den verschiedensten gefühligen Berechnungen.

Fazit

Das Buch ist zweifelsohne interessant, sowohl was Frankfurt, die Geschichte der BRD und „das Leben“ im allgemeinen anbelangt, aber es ist leider auch sehr freudlos und eine zähe Kost.

Enttäuschungen, schließlich Enttäuschung vom Leben insgesamt, sind ein großes, etwas verborgenes Thema des Buches. Und wie sich die Protagonisten mit ihrer Enttäuschung im Leben einrichten. Wie sie sich mit Situationen und Verbindungen arrangieren, weil ihre Wünsche sich zerschlagen haben, und sie nun nach Schutz und dem kleineren Übel suchen.

Auch formal ist das Buch etwas problematisch. Schon der Einstieg ist ein hartes Brot, da etwas zusammenhang- und ziellos. Es dauert eine Weile, bis der Leser Orientierung findet, und die ein oder andere Perle erkennen kann. Es nerven die ständigen nahtlosen Übergänge zwischen den Handlungssträngen. Zudem sind einige auffällige Rechtschreibfehler zu beklagen.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 12. Mai 2019)