Schlagwort: Geschichte

Theodor Gomperz: Griechische Denker – Eine Geschichte der Antiken Philosophie (1896-1909)

Aufklärung über die Aufklärung anhand der griechischen Aufklärung

Das Werk

Obwohl Gomperz‘ dreibändiges Werk über die „Griechischen Denker“ in den Jahren 1896-1909 veröffentlich wurde, ist es dennoch erstaunlich modern: Der Grund dafür ist, dass der Verfasser politisch-weltanschaulich ein klassischer Liberaler war, der auch mit den neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit bestens vertraut war, die bis heute die Grundlage unseres naturwissenschaftlichen Weltbildes bilden: Evolutionstheorie, Psychologie, Religionskritik, Ethnologie, Ökonomie, Atomphysik und Astrophysik, bis hin zu den Gedanken, dass hinter den Atomen noch kleinere Teilchen stehen könnten oder dass es im Weltraum noch andere Planeten mit Leben geben müsste. Teilweise stand der Autor mit den Vordenkern der Moderne in persönlichem Kontakt, etwa mit Sigmund Freud oder dem Physiker Ernst Mach. Aber auch unter historisch-kritischen Gesichtspunkten ist Gomperz immer noch modern genug: Eine gläubige Verklärung der Antike findet sich bei ihm nicht, auch wenn er noch nicht jede Hinterfragung kennt, von der wir heute, 100 Jahre später, wissen.

Das Werk nimmt mit seiner Eindringtiefe in den behandelten Stoff eine Mittelstellung zwischen kurzer Einführung und tiefgehender Einzelabhandlung ein. Dadurch kann Gomperz etwas bieten, was es heute so nicht mehr gibt: Neben der Behandlung der großen und bekannten Denker wie Demokrit, Platon oder Aristoteles, geht Gomperz einerseits auch auf viele „kleinere“ Denker ein, von denen man sonst eher selten liest, so z.B. die Megariker, die Kyrenaiker und die Kyniker, oder Theophrast und Straton. Andererseits kann Gomperz so viel besser die Entwicklungszusammenhänge zwischen den Denkern aufzeigen, so z.B. die Einteilung der Vorsokratiker in die Ionischen Naturphilosophen, die Eleaten und spätere komplexere Denker, oder die Entstehung der Stoiker und Epikureer aus den Kynikern und Kyrenaikern, über die man nur selten liest. Gomperz breitet den ganzen Horizont vor seinen Lesern aus: Nicht nur Philosophen im engeren Sinne, sondern das ganze geistige Umfeld wird erfasst: Er beginnt mit Religion und Mythos, und vergisst nicht den wesentlichen Einfluss von Dichtern und Geschichtsschreibern. Gleichzeitig verliert sich Gomperz aber auch nicht in Teilproblemen, wie dies Spezialabhandlungen tun. Gomperz geht teilweise recht tief, bleibt dabei aber doch immer klar.

Gomperz bringt die Dinge auf den Punkt, und zwar ihren eigenen Punkt. Wo andere eher beschreiben als erklären, oder ihre moderne Ideologie in der antiken Philosophie wieder entdecken wollen, dort ist Gomperz ein Meister in der Kunst, den entscheidenden Punkt, die innere Motivation, die tiefere Triebkraft herauszuarbeiten, die hinter den antiken Entwicklungen steht. So erst werden Inhalte und Entwicklungen der antiken Philosophie wirklich verständlich.

Wer Gomperz lesen will, muss vor allem Geduld und Konzentration mitbringen. Pausen empfehlen sich. Notizen ebenfalls. Man wird später auch immer wieder noch einmal nachlesen, was Gomperz sagte, und dabei immer noch neues entdecken. Man hätte sich eine bessere Gliederung des Stoffes in einer Hierarchie von Unterkapiteln wünschen können, um dadurch einenn besseren Überblick und eine mnemotechnisch nützliche Wissensordnung zu haben. Besonders ungünstig ist die Kapiteleinteilung im dritten Band, aber auch im ersten Band ist z.B. das Kapitel über Demokrit und die Atomlehre ungünstig gehalten. Die Sätze sind manchmal etwas verwickelt und altertümlich, hier hilft lautes Lesen.

Der Inhalt

Das Hauptthema der Antike ist natürlich der Prozess der Aufklärung und die Gewordenheit unserer heutigen geistigen Welt. Gomperz weiß noch ganz genau, warum die Beschäftigung mit der Antike so wichtig ist, während der Zeitgeist uns weismachen will, die Antike sei von gestern.

Gomperz legt aber nicht nur die Entwicklung der Aufklärung in der Antike dar, sondern zeigt ständig die Zusammenhänge und Parallelen zur modernen Aufklärung und Wissenschaft auf. Er erklärt anhand der Antike die aufklärerischen Prinzipien von philosophischem und wissenschaftlichem Denken im allgemeinen, so dass der der Leser nicht nur die Schritte der Aufklärung der griechischen Denker kennenlernt, sondern auch selbst Schritt für Schritt aufgeklärt wird.

Man kann mit Fug und Recht sagen: Bei Gomperz lernt man das Denken selbst. Dazu gehört nicht nur exakte Berechnung und konsequente Logik, sondern vor allem auch die Fähigkeit der richtigen Einschätzung. Die Kunst des Abwägens. Das Maß der Erkenntnis. Das richtige Interpretieren anhand von Indizien. Man lernt auch, wie Dinge sich entwickeln, und dass vieles nur schrittweise voran geht, dass auch Irrwege nützlich sein können, usw.

Aus heutiger Sicht ist Gomperz erfrischend vernünftig und unideologisch. Die Lektüre dieser 100 Jahre alten Abhandlung ist eine wahre Labsal für die vom Zeitgeist geplagte Vernunft. Gomperz hat in vielen Punkten den richtigen, differenzierten Ansatz, er trifft an den entscheidenden Weggabelungen der Erkenntnis die richtigen Entscheidungen, während ein irriger Zeitgeist die falschen Abzweigungen nimmt und eine schiefe Ideologie entwickelt.

Die Sophisten werden von Gomperz korrekt als eine Stufe des Fortschreitens der Aufklärung gesehen; man darf dabei nur nicht vergessen, dass Sokrates die nächste, höhere Stufe ist: Nach der De-konstruktion kommt die Re-konstruktion. – Bei Platon ist Gomperz ungewöhnlich kritisch: Fast schon respektlos kritisiert er Platon als einen Denker des Absoluten, der in seiner absoluten Präzision oft genug absolut falsch lag. Auch wenn Gomperz hier nicht immer Platons Genialität voll erfasst hat, so ist sein respektlos kritischer Ansatz berechtigt und anregend. – Platon wird bei Gomperz einseitig Demokratie-kritisch und Tyrannen-freundlich gesehen. Hier und in anderen Punkten erliegt Gomperz dem Geist seiner Zeit. – Aristoteles erscheint bei Gomperz als ein Ausbund an Inkonsequenz und kompromisslerischem Pragmatismus. Was für die Philosophie im engeren Sinne eher fragwürdig ist, hat sich für Politik und Wissenschaft jedoch als Segen erwiesen: Hier hat Aristoteles mehr Erfolge bewirkt als Platon. Im letzten dürften sich beide Ansätze jedoch in der Mitte treffen, zumal Platon in den Nomoi bereits den Weg hin zu mehr Pragmatismus zu gehen begonnen hatte, und Aristoteles nicht zufällig ein Schüler Platons war. Diese Erkenntnis deutet sich bei Gomperz an, wird jedoch nicht in dieser Klarheit formuliert.

Der Autor

Erschreckend ist es zu lesen, wie Gomperz kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Auffassung vertritt, die Staaten Europas seien auf einem guten Wege des Friedens, der Freiheit und des Wohlstandes, und würden immer enger zusammenrücken; Krieg sei undenkbar geworden. Im Sinne des „Zauberberges“ von Thomas Mann ist Gomperz ein wahrer „Settembrini“, ein durchaus sympathischer aber vielleicht doch allzu optimistischer klassischer Liberaler mit etwas zu wenig Einfühlungsvermögen in das „absolute“ Denken Platons. Da es aber besser so als andersherum ist, verzeiht man ihm diese Schwäche gern.

Wer ein vernünftiges, rundes, schönes, klares, erhellendes, bildungsbürgerliches, vollständiges, gutes, menschenfreundliches Buch über die antiken Denker lesen möchte, das nicht angekränkelt ist von den Irrtümern unserer Zeit, sondern wesentliche und richtige zeitlose Einsichten als Basis für eigenes Weiterdenken vermittelt, der ist mit den „Griechischen Denkern“ von Gomperz bestens bedient. Sicher eines der Bücher, die man gelesen haben sollte.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 23. Juni 2013)

Heinrich August Winkler: Geschichte des Westens – Von den Anfängen in der Antike bis zum 20. Jahrhundert (2016)

Religion als Ursprung des Westens? No way!

Winkler baut die Entwicklung des Westens ganz auf Judentum und Christentum auf. Die Antike kommt bei ihm erst durch Hellenismus und römische Kaiserzeit ins Spiel, wegen des frühen Christentums. Stoische Philosophie ist bei ihm Beiwerk am Rande der eigentlichen Entwicklung, und fällt praktisch „vom Himmel“, ihre Herkunft bleibt tatsächlich unerwähnt. Platon, Aristoteles, Cicero: Kein Wort von ihnen.

Damit übergeht Winkler den wahren Wurzelgrund des Westens: Die griechisch-römische Antike! Es waren die griechischen Philosophen, die die erste Aufklärung in Gang brachten und humanistisches Gedankengut entwickelten. Der Aufstieg des Christentums drehte diese antike Aufklärung erst einmal wieder zurück und es folgte die dunkle Zeit des fundamental-religiösen Mittelalters. Die Religionen bedienten sich immer mehr an den antiken Denkern, und bauten sie in ihre Theologien ein, bis das antike Denken aus dem Schatten der Religion heraustreten konnte. Erst als man wieder begann, das antike Denken selbst und eigenständig zu entdecken, endete das Mittelalter und eine neue Aufklärung begann. Religionen wie das Christentum waren nicht die Quelle der Aufklärung. Es waren nicht die Religionen, die Demokratie und Menschenrechte hervorbrachten, sondern die Religionen mussten erst mühsam lernen, dass ihre religiöse Lehren mit Demokratie und Menschenrechten vereinbar sind. Das ist nicht antireligiös gemeint: Religionen können an der Aufklärung teilhaben und sie sich zu eigen machen, und so ihre Wahrhaftigkeit steigern, aber dass Aufklärung und Humanismus aus Religionen hervor gegangen wären, ist historisch einfach nur falsch.

Winkler sieht im Monotheismus den Anfang des Westens. Es ist jedoch grundsätzlich die Frage, ob der Monotheismus der traditionellen Religionen wie Judentum und Christentum wirklich einen entscheidenden Beitrag zur Entstehung des Westens geleistet hat. Griechenland und Rom jedenfalls waren polytheistische Gesellschaften, und sie waren es, die Aufklärung und Humanismus hervorbrachten. Den „philosophischen Gott“ der griechischen und römischen Philosophen mit dem Gottesbegriff der traditionellen Religionen gleichzusetzen und deshalb zu behaupten, der Monotheismus sei eine Grundlage des Westens, ist jedenfalls unzulässig. Nebenbei: Es ist auch sachlich falsch, eine direkte Verbindungslinie vom Monotheismus eines Pharao Echnathon zum Monotheismus des Judentums zu ziehen. Sie entstanden zwar beide aus demselben von Winkler richtig benannten, politischen Grund, jedoch mit großer Sicherheit völlig unabhängig voneinander.

Das Fundament von Winklers „Westen“ wird fundamental-religiösen Menschen sehr gefallen. Aber bereits ein aufgeklärt-religiöser Mensch wird sich über dieses Werk höchst verwundern müssen. Das Buch erscheint auch etwas simpel geschrieben. Gutwillige Rezensenten nennen es „flüssig geschrieben“. Ein klarer, einfacher Stil muss kein Fehler sein, aber wenn man komplizierte Themen mit allzu wenigen Strichen zu zeichnen versucht, gerät es zur Karikatur. Soll das Buch weniger gebildete Leser ansprechen und für den „Westen“ gewinnen? Fast könnte man meinen, das Buch würde sich bewusst an einfach gestrickte religiöse Menschen wenden, um sie für den „Westen“ zu gewinnen …

Der „Westen“ ist als Begriff zudem hochproblematisch und missverständlich. Denn die Sache, um die es geht, ist nicht für eine bestimmte Himmelsrichtung reserviert. Vielmehr geht es um Aufklärung und Humanismus, die überall aufblühen können. Demokratie und Menschenrechte sind für alle Menschen da, nicht nur für den Westen. Der Westen war nur schneller als andere.

Nicht alles an Winklers Denken ist falsch, es finden sich viele gute Einzelideen in einem teilweise recht seltsamen Rahmen eingespannt. Im Lauf der Lektüre fällt auf, dass Winkler Karl Marx am häufigsten zitiert. Es fällt schwer, Winkler einzuordnen. Welche verborgene Agenda hat er damit nur verfolgt? Welche politische Lobby freut sich über dieses Werk? Linke? Religiöse? Postmoderne Kulturrelativisten? Freimaurer?! Man ist ratlos. Winklers Werk muss als „eigenwillig“ im negativen Sinn eingestuft werden, es ist verkorkst und missglückt, so viele gute Einzelideen darin auch enthalten sein mögen. Wen immer Winkler überzeugen wollte: Mit diesem Buch stößt er nur ab.

Fazit

Heinrich August Winkler hat mit seiner „Geschichte des Westens“ ein seltsam verkorkstes Buch geschrieben, das den absonderlichen Versuch unternimmt, die Geschichte von Aufklärung und Humanismus ohne Platon, Aristoteles und Cicero zu erklären. Den wahren Ursprung des Westens verschleiert Winkler in einer unglaublich sträflichen Weise. Nein, so geht es nun einmal nicht. Deshalb schlechtestmögliche Note.

Bewertung: 1 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 21. Juli 2012)

Manfred Fuhrmann: Bildung – Europas kulturelle Identität (2002)

Fetter Bildungshappen mit erstaunlichen Defiziten

Mit seiner kurz gehaltenen Streitschrift „Bildung“ hat Manfred Fuhrmann eine weithin beachtete Debatte angefacht: Inwieweit gehört das Hergebrachte, die Tradition, die Geschichte und das Bewusstsein um Geschichtlichkeit und der Umgang mit ihm noch zur Bildung dazu, bzw. was steht auf dem Spiel, wenn wir es vernachlässigen?

Zu diesem Zweck skizziert Fuhrmann in äußerst dichter Form den Werdegang der europäischen Bildungsgeschichte von der Antike über das Mittelalter, Renaissance und Reformation, die Goethezeit, das 19. Jahrhundert und die 68er-Bewegung bis heute. Allein dafür hat sich die Lektüre schon gelohnt. Auch die daran anschließende Diskussion orientiert sehr grundlegend.

Problematisch ist Fuhrmanns Sicht auf die moderne Gesellschaft als Erlebnisgesellschaft, die sich nur noch in Strömungen des gehobenen oder trivialen Konsums von Kultur einteilen lasse. Denn völlig vergessen wird dabei, dass die europäischen Gesellschaften zu einem immer größer werdenden Anteil aus Menschen bestehen, die die überlieferte Kultur nicht etwa trivialisieren, sondern diese vielmehr – bis jetzt jedenfalls – überhaupt nicht zu ihrer Kultur zählen, nämlich ein großer Teil der Zuwanderer aus nichtwestlichen Ländern, insbesondere natürlich viele Muslime.

Und dadurch ist Manfred Fuhrmann auch eine mögliche Sinngebung für humanistische Bildung völlig entgangen: Die Integration dieser Zuwanderer in unsere westliche Gesellschaft. Denn die antiken Denker wurden in der islamischen Welt teilweise ebenfalls rezipiert, wodurch sich ein erstklassiger Anknüpfungspunkt für Integration in die westliche Kultur ergäbe, auf dem man aufbauen könnte. Außerdem kann nur in eine Kultur aufgenommen werden, wer sich über deren Werdegang definiert, und dazu muss man diesen kennen. Das gilt für Einheimische wie Zuwanderer gleichermaßen.

Ebenfalls befremdlich erschien mir, dass Manfred Fuhrmann die fehlenden Kenntnisse über Bibel und Christentum in den Mittelpunkt stellt. Meine Wahrnehmung aus der reformierten gymnasialen Oberstufe in Baden-Württemberg (um 1990 mit großem Latinum) ist rückblickend, dass man von der Bibel immerhin noch wusste, was man nicht wusste, aber bezüglich antiker Texte wusste man noch nicht einmal das. So habe ich z.B. von der Existenz der Gefallenenrede des Perikles, die für unsere westliche Welt von Bedeutung ist und von Karl Popper in seiner „Offenen Gesellschaft“ zitiert wird, erst lange nach dem Abitur durch eigenes Weiterlesen erfahren.

Wer sich für Bildung, für Identität, für Kultur, für Integration, für Humanismus, für Aufklärung, für Weltanschauung, für gesellschaftlichen Niedergang bzw. für gesellschaftliche Reformen interessiert, der sollte dieses Büchlein unbedingt lesen, und dann selbst weiterdenken.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 29. Juli 2011)

Jan Assmann: Weisheit und Mysterium – Das Bild der Griechen von Ägypten (1999)

Ein schönes, kenntnisreiches Büchlein – Anwendungsfall Atlantis

Dieses Büchlein überrascht zunächst durch seine Aufmachung: Obwohl ein Taschenbuch, hat es ein edles Cover mit Goldprägung. – Im Inneren erwarten einen dann kenntnisreiche Ausführungen von Assmann zum Beziehungsverhältnis zwischen Griechenland und Ägypten. Dabei pflegt Assmann seinen bekannt angenehmen Plauderton, der den Stoff gefällig präsentiert. Leider fallen dabei ein paar harte Fragen unter den Tisch, wie z.B. die Diskussion, ob wirklich alle griechischen Ägyptenreisenden auch tatsächlich in Ägypten waren.

Auch Platons Atlantis-Erzählung wird kurz angesprochen, um die Beziehungen der Griechen zu Ägypten zu verdeutlichen. Allerdings lässt Assmann zu Platons Atlantis viele Fragen offen und verfolgt so manchen Gedankenfaden nicht weiter. Wer in diesem Punkt wissen möchte, was man aus dem Wissen in Assmanns Büchlein in bezug auf Platons Atlantis machen kann, sei verwiesen auf: Franke: „Mit Herodot auf den Spuren von Atlantis“. – Empfehlung!

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 26. Januar 2007)

Jostein Gaarder: Sofies Welt – Roman über die Geschichte der Philosophie (1991)

Genialer Roman, geniale Philosophie-Einführung, nicht nur für Jugendliche

Die Grundidee von Jostein Gaarders „Sofies Welt“ ist genial: Philosophie wird nicht nur trocken abgehandelt, sondern auch gleich praktisch vorgeführt. Dabei ist dem Autor auch eine bemerkenswerte Buch-im-Buch-Konstruktion gelungen, die ihresgleichen sucht. Die Darlegung der philosophischen Ideen ist zudem sehr überzeugend und ausgewogen gelungen. Auch die Auswahl der dargestellten Philosophen geht in Ordnung und wird sinnvoll durch einen Gang in eine Buchhandlung und den Blick zum Sternenhimmel ergänzt. Die Story hat Esprit und saugt einen in sich hinein.

Wichtigster Schwachpunkt ist eine zu sanfte Kritik gegenüber Gottesglaube und Religion, die einen jungen Ministranten aus behütetem Hause kaum ins Grübeln bringen dürfte. – Gleich das nächste Problem ist die affirmative Übernahme des Zeitgeistes der 1980er Jahre, die mit den Stichworten „Öko“ und „Uno“ bezeichnet sei. Ein Philosoph ist eher linksliberal, so scheint es, während auf gesellschaftliche Ordnung bedachte Menschen eher keine Philosophen sind. Aber diese Ausfälle halten sich in Grenzen und haben teils ein inzwischen schon nostalgisches Flair an sich.

Zu Beginn des Romans hat man den Eindruck, dass zu wenig geschieht und zuviel über Philosophie doziert wird. Doch das legt sich schnell. – Schließlich scheint das Entkommen der beiden Hauptpersonen aus der Gedankenwelt des Majors nicht völlig überzeugend zu sein, da sie in einer Phantasiewelt landen; es wäre vielleicht besser gewesen, wenn sich Sofie und Alberto als Alter Egos von Hilde und dem Major herausgestellt hätten, dann wäre ihr Entkommen aus einer unterbewussten Existenz überzeugender gewesen.

Fazit: Genial mit kleinen Schwächen, ein guter Einstieg in die Philosophie nicht nur für Jugendliche, und eine verrückte, lesenswerte Geschichte. Lesen!

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 23. August 2012)

Jonas Grethlein: Die Odyssee – Homer und die Kunst des Erzählens (2017)

Umfassende Analyse zu Homers Odyssee, die viele Bezüge eröffnet

Jonas Grethlein hat mit „Die Odyssee – Homer und die Kunst des Erzählens“ eine Analyse zu Homers Odyssee vorgelegt, die den gebildeten Leser wirklich glücklich macht. Nicht nur, weil das Werk Homers unter verschiedensten Gesichtspunkten beleuchtet wird (Geschichte, Kunst, Literatur, Ethik, usw.), sondern auch, weil immer wieder sehr erhellende Bezüge zu alten und neuen Denkern, Literaten u.a. Autoren gezogen werden, die den Leser ungemein anregen und bereichern. Viele Fragestellungen der Homer-Forschung werden angesprochen und durch kluges Abwägen auf überzeugende Weise beantwortet.

Im Mittelpunkt von Grethleins Analyse steht das Erzählen als solches. Die Odyssee ist eine Erzählung, und sie handelt von Erzählungen, und im Modus des Erzählens sind erstaunlich viele Dinge möglich: Nicht nur die simple Kommunikation, sondern auch die Bildung einer Identität, das Wiedererkennen und Identifizieren, die Vorstrukturierung erst noch zu machender Erfahrungen, das Durchstehen schlimmer Leiden, die Verarbeitung eigenen Erlebens, die Aufhebung der Zeit, das Bilden von Beziehungen, die Erfahrung von Lust, usw.

Man lernt hier nicht nur etwas über die Odyssee, sondern über Literatur insgesamt, und man staunt einmal mehr, wie ein so reiches Werk wie Homers Odyssee ganz am Anfang der griechischen Literaturgeschichte entstehen konnte.

Etwas unterbelichtet bleibt die Frage, ob und inwieweit bereits Homer den Pfad gebahnt hat, der die griechisch-römische Welt zur Philosophie, zur Rationalität und zur Herausbildung demokratischer und republikanischer Staatsordnungen führte. Ein Verweis auf die „Dialektik der Aufklärung“ und deren These, dass die Konzentrationslager des Nationalsozialismus gewissermaßen Endziel und Gipfelpunkt von Rationalität und Aufklärung gewesen wären, erscheint unpassend; diese These hat sich nicht bewährt.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 30. September 2018)