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Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit (1511)

Rundumschlag quer durchs Leben, gelungen und doch irreführend

Erasmus lässt die personifizierte Torheit eine Lobrede auf sich selbst halten. Versteckt hinter der Maske der Torheit und der Ironie kann Erasmus die Fehler der großen und kleinen Leute durchsprechen. Teilweise ist das anregend und witzig und auch für die heutige Zeit oft gut getroffen.

Teilweise ist es aber auch sehr unübersichtlich: Dummheit als Hauptthema einer Arbeit eröffnet ein viel zu weites Feld, als dass noch ein gemeinsames Band hinter allem zum Vorschein käme.

Teilweise ist es auch irreführend. Die Torheit redet teils so überzeugend und doppelt-ironisch, dass der Leser an manchen Stellen wirklich nicht mehr wissen kann, was Erasmus nun selbst ernst meint, und was er nur ironisch meint. Weniger gebildete Leser werden so manchen Rat der Torheit ernst nehmen und ihn entweder als Provokation empfinden oder sogar gutheißen! Das zynische Klischee des Weisen, der am Leben vorbeilebt und von den Frauen verschmäht wird, das Klischee von den Frauen, für die man sich zum lächerlichen Narren machen müsse, um sie zu gewinnen, das Klischee vom erfolgreichen Toren und dem erfolglosen Weisen (leidvolle Erfahrungen von Erasmus?): Sie sind wenig hilfreich und polarisieren die Leser, statt zu differenzieren.

Teilweise ist so manches, was die Torheit als Torheit hinstellt, in Wahrheit gar nicht töricht, wodurch das Werk schiefe und halbwahre Aussagen trifft. Witz, Ironie und Höflichkeit als Dummheiten hinzustellen, ohne die die Welt nicht funktionieren würde, ist irrig. Ebenso irrig ist es, das „Ich weiß dass ich nichts weiß“ des Sokrates für töricht zu halten.

Gegen Ende des Werkes kommt Erasmus auf die Vernunftlogik des Glaubens zu sprechen, die in den Augen der Nichtgläubigen Torheit ist (Paulus: Wir sind Narren um Christi willen; Gott lässt die Weisheit der Weisen zuschanden werden und offenbart sich in Torheit). Dass die Worte des Paulus nicht vernunftfeindlich gemeint sind, sondern lediglich besagen, dass man mit derselben Vernunft zu anderen Schlüssen kommt, wenn man von anderen Voraussetzungen ausgeht (Jesus lebt, oder eben auch nicht), kommt nicht zum Ausdruck. Die Verwirrung zwischen Torheit und Vernunft ist perfekt.

Der eigentliche Wert des Werkes liegt vermutlich weniger in dieser oder jener Aussage, sondern in der Provokation selbst. Diese ist zweifelsohne in mehrfacher Hinsicht gelungen. Die Frage ist, ob Erasmus es mit der Provokation nicht übertrieben hat, und wohin die Provokation führen soll, da es doch teilweise an Klarheit mangelt. Unter diesem Gesichtspunkt verliert das Werk stark an Wert. Das „Lob der Torheit“ ist ein Querschläger, der schief und krumm in der Landschaft herumsteht, und viel Nebel verbreitet. Auch die heutigen Interpreten sind sich nicht völlig einig darin, was Erasmus eigentlich wollte, jeder sieht es wieder ein wenig anders.

Teilweise ist der Mangel an Klarheit auch dem Umstand geschuldet, dass Erasmus mit diesem Werk die politische Korrektheit seiner Zeit unterlief und unter der Maske der Torheit Dinge aussprach, die man nicht ungestraft sagen konnte. Erasmus soll durch dieses Büchlein das Aufbrechen von Tabus gelungen sein, so dass er als Wegbereiter der Reformation gilt.

Es finden sich interessante Reformgedanken zum Christentum, bis hin zu historisch-kritischen Denkweisen: Zum einen in der Feststellung, dass die Apostel einst kaum über das theologisch spitzfindige Wissen der Theologen aus Erasmus‘ Zeit verfügt haben werden, und was für einen Sinn es dann haben sollte? Zum anderen z.B. in der Feststellung, dass auch der Apostel Paulus die Altarinschrift für den unbekannten Gott in Athen zu seinen Gunsten zurechtbog. Beides erstaunliche Gedanken, die das scholastische Christentum massiv hinterfragen.

Die Anzahl der antiken Anekdoten, die Erasmus einbaut, ist erstaunlich. Die Interpreten sagen, die Torheit würde mit ihnen nur so um sich werfen, weil sie selbst sage, dass die Toren mit Zitaten nur so um sich werfen. Aber gleichzeitig kann Erasmus so seine Belesenheit beweisen, ohne selbst als töricht zu gelten.

Fazit

Eine geschickte und wirkmächtige, aber leider auch teils undurchsichtige Provokation, die das mittelalterliche Denken ordentlich durchschüttelte und bis an seine Grenzen in Richtung der Moderne dehnte. Nebenbei auch mancher Ratschlag, manche Einsicht der Lebensklugheit und Menschenkenntnis, die auch heute noch von Wert ist.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 11. Januar 2014)

John Irving: Gottes Werk und Teufels Beitrag (1985)

Literarisch mäßiges Jubelbuch der linksliberalen Schickeria

Eine kleine Vorbemerkung um Missverständnisse zu vermeiden: Der Autor dieser Rezension ist cum grano salis für die rechtliche Freigabe der Abtreibung. Und damit zur Sache:

Dies ist ein politischer Roman, der der rechtlichen Freigabe der Abtreibung und der gesellschaftlichen Akzeptanz dafür das Wort reden möchte. Zu diesem Zweck werden dem Leser alle möglichen und unmöglichen Situationen vor Augen geführt, wie es zu einer ungewollten Schwangerschaft kommt, und dass eine Abtreibung sich jeweils als einzig vernünftige Lösung aufdrängt, weil alle Alternativen einfach nur absurd sind. Ständig droht auch der Gang zum Kurpfuscher, wenn kein professioneller Arzt sich der Sache annimmt. Soweit ist das Buch sehr aussagestark. Literarisch bewegt es sich jedoch nur auf mittelmäßigem Niveau, wie es bei politisch motivierten Romanen oft der Fall ist.

Die eigentlichen Probleme dieses Buches liegen aber in dem, was der Autor systematisch unterschlägt, verschweigt und nicht anspricht. Eine ethisch fundierte Aufarbeitung der Problematik findet sich in diesem Buch leider nirgends, obwohl sie gerade für ein Projekt wie dieses dringend angezeigt wäre. Über das hemdsärmelige Niveau des zupackenden Pragmatismus, der auf einen Blick zu sehen vermeint, was das Gute und Richtige ist, kommt das Buch nicht hinaus.

So einfach ist es mit dem Abtreiben aber dann doch wieder nicht, sofern und falls man z.B. davon ausgeht, dass dabei ein mit voller Würde ausgestatteter Mensch getötet wird; falls man wirklich (!) in diesem Bewusstsein lebt, z.B. als religiöser Mensch, wird die Sache ethisch nämlich verdammt schwierig, und eine Abtreibung erscheint dann oft eine ebenso absurde „Lösung“ zu sein wie alle anderen „Lösungen“. Oder aber man ist im Gegenteil überhaupt nicht der Auffassung, dass da ein mit voller Würde ausgestatteter Mensch getötet wird; aber in solche Gedankengänge begibt sich das Buch erst gar nicht hinein. Dieses Buch verhält sich gemäß dem bekannten Argument, dass jede Frau sich eine Abtreibung sehr genau überlege – aber wie eine solche Überlegung im Einzelnen aussieht, das bekommt man dann praktisch nie zu Gesicht, denn die Überlegung läuft (meistens, nicht immer) auf genau dem Niveau ab, das von diesem Buch hier markiert wird, was schade ist.

Zu akzeptieren sind die geschilderten Situationen, die zu ungewollte Schwangerschaften führen (Vernachlässigte Jugendliche, Vergewaltigung, Pubertät, andauerndes Verhältnis mit der Ehefrau eines Kriegsversehrten, Sex ohne Liebe usw. usf.), denn sie sind Teil der Realität. Traurig jedoch, dass dem Autor als einziges Gegenmittel der Gebrauch von Verhütungsmitteln einfällt, speziell von Kondomen, deren Zuverlässigkeit bekanntlich Grenzen kennt. Die Kultivierung der Menschen (damit ist keine katholische Sexualmoral gemeint, sondern die Entwicklung selbstbestimmter Charaktere in geordneten Verhältnissen) wäre von einem kultivierten Autor ebenfalls zu erwähnen gewesen. Nicht, dass das eine Patentlösung wäre, eine solche gibt es nicht, aber die Kultivierung der Menschen ist ein wichtiger Beitrag zur Einhegung des Problems. Spätestens mit Aids hat sich das Buch in diesem Punkt ohnehin völlig überholt, es stammt unmittelbar aus der Zeit vor dem Beginn der öffentlichen Wahrnehmung von Aids.

Nebenbei finden sich kleine politische Seitenhiebe linksliberaler Provenienz. Der eine mogelt sich z.B. um den Wehrdienst herum und gilt als clever und klug, der andere opfert seine Beine im Krieg gegen die Feinde der Demokratie und gilt als naiver Depp. Niveau geht anders, kann man da nur trocken sagen.

Fazit

Alles in allem handelt es sich leider um ein literarisch mäßiges, politisches Jubelbuch der satten, linksliberalen Middle- und Upperclass-Schickeria, die sich hier in ihren Halbwahrheiten selbst feiert, statt Horizont zu gewinnen. Konservative Abtreibungsgegner hingegen werden durch die genannten Schwachstellen abgestoßen und bekommen praktisch keine echte Gelegenheit, Anknüpfungspunkte für ein Nachdenken und Umdenken zu finden. Aber wäre nicht genau das ein Zeichen guter Literatur gewesen?

Bewertung: 2 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 24. August 2012)

Tommaso Campanella: Die Sonnenstadt (1602)

Campanellas Sonnenstadt als Brutstätte sozialistischen Denkens

Der Text „Die Sonnenstadt“ (La città del Sole), oft fälschlich als „Sonnenstaat“ übersetzt, ist das politische Programm eines praktizierenden Sozialrevolutionärs aus dem Jahr 1602, veröffentlicht 1623. Es ist keine satirische Schrift wie die „Utopia“ des Thomas Morus, der seiner Zeit ironisch den Spiegel vorhalten wollte und nicht ernsthaft an die Verwirklichung seiner Ideen dachte. Und es ist auch keine Wissenschaftsvision wie das „Neu-Atlantis“ von Francis Bacon, wo der Schwerpunkt auf noch zu machenden Erfindungen liegt. Campanella zählt an Techniken und Methoden nur auf, was die Renaissance bereits zu bieten hatte, bis hin zur Idee der Flugmaschinen.

Lupenreiner Sozialismus

Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen die sozialen Verhältnisse, die in herzlich naiver Weise einen lupenreinen Sozialismus propagieren. Es ist für den modernen Leser ganz und gar erstaunlich, wie exemplarisch die einzelnen Aspekte des Sozialismus in dieser Schrift Punkt für Punkt abgehandelt werden:

Niemand besitzt etwas für sich, alle bekommen das Ihre von den Beamten zugeteilt. Die Menschen seien durch Besitzlosigkeit zum Gemeinsinn befreit. Die Familie ist aufgelöst. Geschlechtsverkehr findet ausschließlich zur Triebbefriedigung und zur Fortpflanzung statt, wobei die Partner von Beamten ausgewählt werden. Die Kinder werden gemeinschaftlich erzogen. Liebe spielt sich nur auf platonischer Ebene ab, Eifersucht gäbe es nicht.

Es gibt keine schweren Verbrechen, da die Menschen zu höchstem Edelsinn befreit seien. Eine Erbsünde, d.h. eine grundsätzliche Verstricktheit des Menschen in das Böse, gäbe es nicht, sondern Fehler und Verbrechen seien immer eine Folge falscher Erziehung, falscher gesellschaftlicher Verhältnisse usw. und damit grundsätzlich beseitigbar.

Die Herrscher gäben ihr Amt freiwillig ab, wenn sich jemand fände, der weiser ist als sie. Die Menschen strebten alle voller Eifer nach Bildung und Pflichterfüllung für die Gemeinschaft. Eigeninitiative ist nicht vorgesehen. Individuelle Begabungen sind darauf angewiesen, von Beamten erkannt und gefördert zu werden.

Kritik

Es ist kein Zufall, dass Campanella Aristoteles grundsätzlich ablehnt und schmäht. Ein realistischer Einwand des Aristoteles, der stellvertretend die ganze Kritik an solchen sozialistischen Blütenträumen repräsentiert, dass nämlich der Eine immer darauf warte, dass ein anderer die Arbeit für ihn tue, wird kurz abgetan. Der Realist Aristoteles wird von Campanella als Pedant verschrieen.

Damit wird auch deutlich, dass Campanellas Naivität nicht verzeihlich ist. Manche meinen ihn entschuldigen zu müssen, weil er ein so früher Denker sei, dass er noch nicht wissen konnte, wie der Sozialismus an der Realität scheitern wird. Doch dies ist unzutreffend. Man hat dies schon immer gewusst und wissen können.

Da ist es auch keine Entschuldigung, dass die spanische oder kirchliche Herrschaft zu seiner Zeit nach einer Revolution schrie. Eine Revolution muss keine sozialistische Revolution sein, wenn sie z.B. humanistisch orientiert ist und Athen und Rom vor Augen hat, was der Zeit Campanellas nicht ferngelegen hätte.

Herkunft der sozialistischen Ideen

Was aber hatte Campanella dann vor Augen, wenn nicht Athen oder Rom? Woher kommen überhaupt seine sozialistischen Ideen? Es wird deutlich in seinen Worten von den vielen Gliedern des einen Gemeinwesens, einem Wort des Apostels Paulus, das das ideale Zusammenwirken aller Gläubigen in der heiligen Gemeinschaft der Kirche beschreibt. Campanellas Sonnenstadt folgt ganz offensichtlich dem christlich-religiösen Ideal der idealen Gemeinschaft der Gläubigen unter einer perfekt funktionierenden Hierarchie! Wahrhaft aufklärerisches Denken sieht anders aus.

Selten hat sich die These, dass der Sozialismus eine säkularisierte Wendung des christlich-religiösen Glaubens ist, so bestätigt gefunden wie hier. Hier bei Campanella sind wir ganz dicht dran an der originalen Brutstätte der sozialistischen Ideen.

PS 29-SEP-2013: Die Rezension macht zu wenig deutlich, dass der sozialistische Charakter auch durch Übernahmen aus Platons Politeia zustande kommt. Damit hat Campanella die liberale Wende Platons in dessen späteren Werk Nomoi ignoriert, es liegt eine typische Fehlinterpretation Platons vor.

Einige bemerkenswerte Einzelaspekte

Völlig befremdlich ist die Ausgestaltung der Strafen in der Sonnenstadt; sie sehen alles andere als zivilisiert aus, sondern erinnern an archaische Stammestraditionen: Es gibt die kollektive Steinigung, Verbrennen, Todesstrafe ohne vorherige Diskussion, für die Wahrheitsfindung nutzlose Mindestanzahlen von Zeugen, und unbeweisbare Anklagen fallen auf den Ankläger zurück. Im Übrigen gilt das Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn.

Bei Campanella sieht man sehr eindrücklich, wie Astrologie und Astronomie noch eine gemeinsame Wissenschaft bilden. Neue Erkenntnisse über Himmelsmechanik und Zeichendeutung gehen hier noch Hand in Hand. Gegen Ende schweift der Text sogar vom Thema der Sonnenstadt ab und verliert sich in astrologischen Prophezeiungen über die Zukunft Europas.

Hat die Sonnenstadt etwas mit Platons Atlantis zu tun? Nein.

Der Stadtgrundriss der Sonnenstadt mit ihren sieben Mauerringen auf einem Hügel, die den sieben Planeten zugeordnet sind, gleicht verblüffend der Stadt Ekbatana, wie sie von Herodot beschrieben wird, nicht jedoch Platons Atlantis, das drei Ringe von Wasser und Land um einen Hügel herum aufweist. Der Tempel in der Mitte hat nichts mit Platons Atlantis zu tun, ebenso wenig der Kult der Sonnenstadt. Wasserringe tauchen auch keine auf, lediglich Burggräben, was etwas völlig anderes ist.

Auch sonst weist nichts auf Atlantis: Keine rechteckige Ebene, keine Lage am Rande einer Ebene, kein schwarz-weiß-rotes Gestein, keine zwei Quellen, keine Gründungslegende mit fünf Zwillingspaaren, und auch kein Sittenverfall gefolgt von einem Angriff auf den Rest der Welt. Campanella macht zwar zahlreiche Anleihen bei Platon, jedoch nur bei dessen Staatsutopie Politeia, nicht aber bei dessen Atlantisdialogen. Zumal Atlantis bei Platon ja auch nicht positiv sondern negativ gezeichnet wird.

Eindeutig erkennbar sind Anleihen bei der Utopie des Thomas Morus, vor allem was die Rahmenhandlung betrifft. Dabei ist die Utopie des Thomas Morus selbst wiederum eine Karikatur der britischen Insel, nicht aber der Insel Atlantis. Es wäre also schlicht falsch zu behaupten, Campanella hätte sich zu seiner Sonnenstadt von Platons Atlantis inspirieren lassen. Ein solcher Zusammenhang ist nirgends erkennbar.

Fazit

Für die Aufarbeitung und Präsentation des Textes mit Anmerkungen und Nachwort gibt es vier von fünf Punkten; ein Punkt Abzug für ein zu großes Verständnis für die gefährlichen Ideen Campanellas.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 27. Juli 2010)

Jules Verne: Von der Erde zum Mond / Reise um den Mond (1865/70)

Liebenswürdig erzählte Mondreise: Ein echter Jules Verne

Der zweiteilige Roman „Von der Erde zum Mond“ bzw. „Reise um den Mond“ von Jules Verne handelt davon, wie ein amerikanischer Verein von Artilleristen nach dem Ende des Bürgerkrieges seine Kräfte darauf verwendet, eine Aluminiumkugel auf den Mond zu schießen. Ein lebenslustiger Franzose kommt hinzu, und die Kugel wird zu einem wohnlichen Geschoss umgebaut, in dem drei sehr eigenwillige Charaktere die Reise zum Mond antreten. Wegen eines Berechnungsfehlers der Anfangsgeschwindigkeit und wegen der Begegnung mit dem „zweiten Mond“, dessen Existenz damals vermutet wurde, fällt das Geschoss nach einer ausführlich geschilderten Umrundung des Mondes wieder auf die Erde zurück, und alle sind wohlbehalten.

Dieser Roman entfaltet erneut das erzählerische Talent von Jules Verne, und der Leser gibt sich dem Strom der Ereignisse, Gedanken und Informationen gerne hin. Wieder werden die Nationen durch ihre Vertreter liebenswürdig charakterisiert, und wieder wird aus Technik und Naturwissenschaft alles aufgefahren, was man damals über Kanonen, Ballistik, Astronomie und natürlich den Mond wusste. Und das ist nicht wenig. Jules Verne hat seine Hausaufgaben wieder einmal gründlich gemacht und lässt uns alle daran teilhaben. Es ist auch interessant zu sehen wie Jules Verne elegant das Problem umschifft, dass man damals noch nicht wusste, was sich auf der anderen Seite des Mondes verbirgt.

Der Leser staunt, wieviel Jules Verne von der ziemlich genau einhundert Jahre später tatsächlich stattfindenden Mondfahrt bereits vorweggenommen hat. Selbst der Ort des Abschusses ist mit Florida so gewählt, wie es später tatsächlich geschah. Aber auch andere Details kommen einem seltsam bekannt vor. Selbst der Pragmatismus und die Begeisterungsfähigkeit der Amerikaner werden treffend dargestellt.

Der Roman ist halb als eine Satire auf den amerikanischen Charakter angelegt und vermittelt keine tiefere Botschaft. Auch die Handlung ist nicht sonderlich spannend: Denn im ersten Teil geht es um die planmäßige Errichtung der Abschusskanone, während im zweiten Teil die Mondreisenden weitgehend passiv den Ereignissen ausgeliefert sind. Dennoch lohnt die Lektüre. Zum einen wegen des liebenswürdigen Erzählstils. Zum anderen aber wegen der technischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, die man damals schon hatte, und die den Leser mitdenken lassen, was und warum etwas passiert.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 23. April 2023)

Dino Buzzati: Die Tatarenwüste (1940)

Großartige Parabel auf ein leer vertanes Leben auf dem Abstellgleis

Der junge Oberleutnant Drogo wird auf die einsam gelegene Festung Bastiani am Rande der Tatarenwüste abkommandiert. Eigentlich will er dort nicht lange bleiben, aber dann verlängert er seinen Aufenthalt immer wieder …..

Dino Buzzati hat mit der „Tatarenwüste“ die Lebensgeschichte eines Menschen geschrieben, der vom Schicksal auf ein Abstellgleis geschoben wird und es sich dort allzu leicht gemütlich macht – und auf diese Weise am wahren Leben vorbei lebt.

Immer wieder macht er sich neue falsche Hoffnungen und erfindet Ausreden und irrige Vertröstungen, um ein Leben im Stillstand zu rechtfertigen. Es fehlt ihm vielleicht auch der Mut, und er ist zu bequem. Aber auch seine Mitmenschen helfen tatkräftig dabei mit, ihn aufs Abstellgleis zu schieben. Und er lässt es gutmütig mit sich machen. Wirkliche Freunde scheint er nicht zu haben, die ihn ins wirkliche Leben zurückholen könnten.

Es ist ein sehr trauriges Buch, in dem jeder Leser die ein oder andere Facette seines Lebens wiederfinden wird. Wir alle haben schon auf die ein oder andere Weise mehr oder weniger lange in eine „Tatarenwüste“ geblickt. Was für die meisten von uns nur eine Facette des Lebens war, wurde hier zum Inhalt eines ganzen Lebens. Ein Leben kann auch grässlich schiefgehen, und Dino Buzzati führt es uns exemplarisch vor Augen. Eine gute Warnung.

Dino Buzzati hatte dieses Buch schon 1940 herausgebracht, es feierte aber nach 1945 Erfolge. Nach den langen Jahren des Krieges und der Diktatur, in denen man vieles aufschob, konnte das Leben endlich wieder losgehen. Insofern könnte man das Buch als Aufbruchsignal werten.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 18. Oktober 2019)

Jules Verne: Das Karpathenschloss (1892)

Provinzposse in Transsylvanien um Technik und Aberglauben

Thema dieses Romans ist die Wirkung von moderner Technik auf Menschen, die sie nicht kennen. Da sind zum einen die Bewohner eines rumänischen Dorfes, die bemerken, dass sich in dem nahe gelegenen, verlassenen Schloss plötzlich merkwürdige Dinge tun, die sie sich nicht erklären können. Aber auch ein durchaus aufgeklärter Graf, der hinzukommt, wird am Ende durch die moderne Technik getäuscht. Hineinverwoben ist eine tragische Geschichte um Liebe, Tod und Musik.

Die Geschichte selbst ist nicht sonderlich interessant und eher operettenhaft, man muss sich auf die farbige Schilderung der Dorfbewohner einlassen können und am Erzählen selbst gefallen finden, um dieses Buch zu lieben. Dann ist es aber ein schönes Stück Literatur.

Am Rande interessant ist, dass Vampire so gut wie nicht vorkommen. Jules Verne schrieb diesen Roman offenbar noch vor dem Hype um Dracula (1897). Außerdem interessant ist die Rolle der Juden in Rumänien, wie Jules Verne sie sieht: Sie treten entweder als fahrende Händler auf, die um Preise schachern, oder als Geldverleiher, die Wucherzinsen nehmen und auf diese Weise irgendwann ganz Rumänien in ihrem Besitz haben werden, so Jules Verne. Man könnte von einem „ökonomischen Antisemitismus“ sprechen; ein kultureller oder gar rassistischer Antisemitismus ist nicht zu sehen. Ganz am Rande werden auch Zigeuner als besonders abergläubische Menschen gezeichnet.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 06. März 2015)

Philipp Melanchthon: Glaube und Bildung – Texte zum christlichen Humanismus (16. Jhdt.)

Absolut lesenswertes Zeugnis eines wahren Humanismus

Philipp Melanchthon war ein in der Wolle gefärbter Humanist, der von Martin Luther sofort als Denker entdeckt wurde. Während Luthers Reformation, die von dem führenden Humanisten Erasmus von Rotterdam mit Recht als zu radikal abgelehnt wurde, stand Melanchthon unter dem teils ungünstigen Einfluss von Martin Luther und lehnte z.B. die Philosophie als schädlich ab. Melanchthon war unbestritten der eigentliche Denker der Reformation, während Luther eher der Macher war. Nach Luthers Tod befreite sich Melanchthon innerlich von Luthers Radikalität und gelangte wieder zu moderateren Auffassungen in bezug auf Philosophie und Religion.

Melanchthon hat zweifelsohne viel für die Verbreitung der humanistischen Bildung getan, und seine Schriften über Bildung sind eine wahre Wohltat in unserer heutigen Zeit. Dort liest man noch, wie die Sprache den Geist bestimmt, wie Sprache gebildet werden muss, um den Menschen zu bilden, dass die Bildung „aus der Hand kommt“, dass der Mensch erst durch eigenes Schreiben so richtig gebildet wird.

Das Verhältnis von Philosophie und Religion bestimmt Melanchthon – anders als zur Zeit Luthers – positiv: Philosophie und Glaube betreffen verschiedene Erkenntniswege, die sich nicht gegenseitig behindern, sondern ergänzen. Es gibt nichts, wovor die Philosophie Halt machen sollte. Nur wo die Philosophie glaubt, ohne die Religion auskommen zu können, setzt Melanchthon der Philosophie eine Grenze. Mehr kann man von einem religiösen Menschen eigentlich nicht verlangen.

Die Schule ist für Melanchthon das Abbild des Goldenen Zeitalters, der Ort des Lehrens und Lernens als heilige Tätigkeit unter philosophischen Geistern. Die griechische Sprache wird über alles gelobt. Alles in allem hat sich Philipp Melanchthon seinen Ehrentitel „Praeceptor Germaniae“, d.h. Lehrer Deutschlands, redlich verdient.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 31. Januar 2014)

Robert Silverberg: Gilgamesch The King (1984)

Gelungenes Sinuhe-Remake für die sumerische Kultur

Mit seinem Buch „Gilgamesch – The King“ hat Robert Silverberg eine Art Remake des Klassikers „Sinuhe der Ägypter“ von Mika Waltari vorgelegt. Wie dort auch läuft vor den Augen des Lesers eine Art psychedelischer Lebensfilm des Protagonisten ab, der gewissermaßen die Innensicht und die weltanschauliche Perspektive eines antiken Menschen nachzubilden versucht, von der Wiege bis zur Bahre. Auf diese Weise wird ein besonders intensiver Einblick in die jeweilige Zeit und Kultur gegeben. War es bei Waltari das alte Ägypten, ist es bei Silverberg die sumerische Kultur.

Das Remake ist gelungen: Wer nach der Lektüre nach Informationen über die alten Sumerer sucht, wird finden, dass Silverberg die wesentlichen Elemente dieser Kultur verarbeitet hat, und zwar gut verarbeitet. Historische Exaktheit darf man natürlich nicht erwarten, das ist nicht der Sinn der Sache, zumal die Forschung bei diesen frühen Kulturen immer noch sehr in Fluss ist. Es steht das Literarische und Menschliche im Vordergrund; in der alten Kultur spiegeln sich Einsichten, die sehr wohl auch für die Gegenwart gelten.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 29. Juli 2012)

Mary Taylor Simeti: On Persephone’s Island – A Sicilian Journal (1986)

Ingenious description of life and customs on Sicily

As a young student from New York Mary Taylor Simeti came to Sicily, fell in love, married and lived her life on the island as an expatriate. This means she is in the double-role of an insider and an outsider and thus the perfect reporter on atmosphere, life and customs on Sicily, far better than any journalist traveling around for some months.

The book is organized following the seasons of the year thus showing the close relationship of life on Sicily to nature. Farming, plants, flowers, climate, public holidays and harvesting are important parts of her life. But the author also writes about her husband’s family and how she integrated step-by-step into the Sicilian society. Greek mythology does not play a central role but it is interesting to see how the author makes practical use of otherwise only academically treated myths. Life with the silent presence of the Mafia is a topic as well as customs like Easter processions and the widely unknown virgineddu. As an American the author wonders how Sicilians organize themselves, such as concerning her children’s school or how to get entrance to a historical building on a military site.

The book covers the time of the 1970s and 1980s and shows many features of the time: The author came to Sicily to support Danilo Dolci driven by a somewhat romantic social idealism, then we read again and again how she marched in demonstrations against American missiles on Sicily, or against the Mafia, or to protect a natural reserve. The author declares to be glad that anti-communism lost its strength. Old fotographs on the Web site of her winery „Bosco Falconeria“ show the typical beards and clothings of leftist students around 1968. From today’s point of view (2013) this does not seem so political any more but rather like folklore of these times in a certain social milieu. All in all Mary Taylor Simeti did not strive for communism but lived a good life as owner of several houses in Palermo and Alcamo and of course the farm Bosco Falconeria near Palermo, and she lets us readers take part in the sufferings and rewards of such a Sicilian life. Thank you!

PS 18.11.2024

Being grown up in a rural area in southwest Germany, I observed some striking similarities: There is e.g. the religious procession of the local saints. Then, the harvesting with the help of he entire family. And even the technicalities of the fruit press are similar, only, that in Sicily it is all about olives, while in Germany is is about apples and pears. And of course, there is more sun than in the rest of the country. It seems that „southern Catholic provinces“ are everywhere the same.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 07. Februar 2013)

Ricarda Huch: Urphänomene (1946)

Vergewisserung der klassischen christlichen und humanistischen Bildungsinhalte inmitten der Doppelkatastrophe von Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus

Das Buch „Urphänomene“ von Ricarda Huch stellt die These in den Raum, dass es gewisse unverlierbare Grundtatbestände des Menschlichen gibt, eben die Urphänomene. Diese Urphänomene werden in einer Reihe von Kapiteln besprochen, deren Überschriften eine christliche Schlagseite deutlich werden lassen:

  • Familie.
  • Geburt und Tod.
  • Gott.
  • der gestirnte Himmel.
  • die Jungfrau mit dem Sohne.
  • Dreieinigkeit.
  • Satan.
  • der Gottmensch.
  • der Prophet.
  • Gewissen und Recht.
  • Freiheit.
  • Schönheit.
  • Musik.
  • Liebe.

Zu jedem Urphänomen wird eine lange Reihe von Mythen, Philosophien, Dichtungen und Überlieferungen aufgelistet, quer durch die Menschheitsgeschichte und quer über alle Kulturen hinweg. Der Schwerpunkt dieser Aufzählungen liegt aber eindeutig auf der westlichen Kultur, und hier wiederum deutlich mehr auf dem Christentum als auf der philosophischen Tradition.

Mehr als diese Aufzählungen wird praktisch nicht geboten. Die Autorin macht nichts aus diesen Aufzählungen und zieht keine neuen oder originellen Schlussfolgerungen. Es wird auch nicht versucht, abstrakte Gemeinsamkeiten hinter kulturellen Ähnlichkeiten zu suchen. Die Autorin bleibt recht oberflächlich bei der bloßen These der Urphänomene und bei bloßen Aufzählungen stehen. Das enttäuscht zunächst. Wer eine gute Allgemeinbildung hat, für den ist das meiste nichts neues. Welchen Sinn hat dieses Buch?

Der Sinn dieses Buches

Man muss Ricarda Huchs „Urphänomene“ von seinem Sitz im Leben her interpretieren. Die Autorin schrieb dieses Buch unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Jena in der Sowjetischen Besatzungszone. Es erschien 1946. Es geht in diesem Buch gar nicht darum, irgendetwas Neues oder Originelles auszusagen. Sondern es geht darum, sich der „alten“ Werte zu versichern, angesichts von Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus. Und diese „alten“ Werte sind eben die Urphänomene: Sie bestehen im Wesentlichen in den Elementen einer klassischen Bildung, d.h. einer christlichen und humanistischen Bildung.

Deshalb wird auch wenig erklärt. Das Buch liest sich vielmehr wie eine Checkliste, die in kurzen Stichworten eine Inventur durchführt. Und ja, es ist eine Inventur von zutiefst menschlichen Themen, die den Wurzelgrund einer klassischen Bildung ausmachen, und die kulturelle Gemeinsamkeit und Vertrautheit in einer Gesellschaft stiften. Ein solches Buch benötigt kein „Ergebnis“, sondern die Vergewisserung an sich ist bereits das Ergebnis.

Der moderne Leser kennt solche Aufzählungen von esoterischen Werken: Auch dort werden die verschiedensten kulturellen Phänomene aufgezählt, um sie dann assoziativ zu einer esoterischen Ideologie zu verschwurbeln. Nicht zufällig fand sich das gelesene Exemplar in den Regalen des anthroposophisch angehauchten Antiquariats BuchKultur Opitz in Konstanz am Bodensee. Doch eine solche Verschwurbelung geschieht hier nicht. Es geht nicht um neue Ergebnisse, es geht um eine Vergewisserung der Grundlagen.

Dass es um Vergewisserung geht, wird auch im Nachwort deutlich. Ein ewiger Kampf um die Wahrheit wird beschworen. Und vor falschen Propheten gewarnt. Diese falschen Propheten sieht die Autorin erstaunlicherweise in allen, die über das Christentum hinauswachsen möchten. Auf den Nationalsozialismus trifft diese Beschreibung kaum zu, denn der Nationalsozialismus kann kaum als ein Hinauswachsen über das Christentum beschrieben werden. Diese Beschreibung trifft viel eher auf den Sozialismus der sich soeben herausbildenden DDR zu. Damit ist das Buch „Urphänomene“ weniger eine Vergewisserung im Gefolge der moralischen Niederlage des Nationalsozialismus, als vielmehr eine Vergewisserung gegen den aufstrebenden DDR-Sozialismus.

Und das nicht ohne Grund: Als das Manuskript dieses Buches 1946 von Jena an den Atlantis-Verlag im Westen geschickt wurde, kam auf ungeklärte Weise ausgerechnet das Kapitel „Freiheit“ abhanden; es wurde erst in der dritten Auflage 1966 abgedruckt. Im Jahr 1947 musste Ricarda Huch dann selbst in den Westen fliehen, nachdem sie noch als Alterspräsidentin des Thüringer Landtages fungiert hatte:

Es sei dem Lande Thüringen beschieden,
Dass niemals mehr im wechselnden Geschehen
Ihm diese Sterne untergehen:
Das Recht, die Freiheit und der Frieden
.

Leider hat Ricarda Huch mit ihrer Definition der falschen Propheten und ihrer Lehren als Versuchen, über das Christentum hinauszuwachsen, jede Form des Hinausdenkens über das Christentum verdammt. Das ist schon sehr konservativ. Damit würden dann auch Friedrich der Große und Goethe zu den falschen Propheten zählen. Ebenso Thomas Mann. Aufgrund der Knappheit des Büchleins bleibt unklar, ob dies wirklich ihre Meinung war, oder ob diese Schärfe nur der klaren Abgrenzung gegen den Sowjetsozialismus geschuldet war.

Einzelnes

Die Einteilung in Kapitel ist ein wenig willkürlich. Die Ehelosigkeit ist im Kapitel zur Familie mit enthalten, statt in einem eigenen Kapitel abgehandelt zu werden, was sie durchaus verdient hätte. Neben dem gestirnten Himmel hätte man z.B. auch das Meer, Gebirge und endlose Ebenen als menschliche Urphänomene nennen können. Es fehlen natürlich auch Krieg und Frieden. Ebenso Vernunft. Und der Unterschied zwischen einem Gottmenschen und einem Propheten wird nicht ganz klar. Der philosophischen Tradition gemäß hätte man außerdem ein Kapitel über den Weisen schreiben müssen, aber dazu ist dieses Buch zu christlich.

Zum Thema Familie fällt auf, dass sich Ricarda Huch positiv zur patriarchal geführten Familie äußert. Diese würde funktionieren, weil der Mann als Oberhaupt der Familie Verantwortung übernimmt, während der Abbau der Vorrechte des Mannes zur Instabilität der Familie geführt hätte. Daran mag manches richtig sein, es erscheint aber sehr konservativ gedacht.

Das Kapitel zur Liebe ist sehr christlich gehalten. Auch hier wurde zu wenig Mühe darauf verwendet, Ähnlichkeiten in der philosophischen Tradition zu finden. So hätte man z.B. den guten Gott Platons nennen können, während das Christentum den Begriff Liebe teilweise überzieht und verkitscht. Generell gilt: Ordnung und Liebe gehören eng zusammen.

Das Kapitel zur Freiheit stellt allein auf die innere Freiheit im Sinne des Paulus ab. Um äußerliche, gar um politische Freiheit, geht es kaum. Man fragt sich, warum ein sozialistischer Zensor dieses Kapitel entfernt haben soll? Doch die Zensur achtet oft wenig auf intellektuelle Inhalte, sondern wendet sich gegen Plakatives und gegen Schlüsselworte. Und „Freiheit“ ist natürlich ein Schlüsselwort, das unerwünscht war. Deshalb wohl.

Absolut wertvoll und wider Erwarten doch noch etwas Eigenständiges findet sich im Vorwort: Hier philosophiert die Autorin darüber, dass das Weltbild des Einzelnen und das öffentliche Weltbild immer auseinanderfallen werden, und was das für Konsequenzen hat. Sehr interessant!

Zuletzt fällt auf, dass die wenigen lateinischen Sentenzen in diesem Buch nicht übersetzt werden. Daran sieht man, welchen Bildungsanspruch die Autorin gegenüber ihren Lesern hatte.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

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