Schlagwort: Patriotismus

Franziska Schreiber: Inside AfD – Der Bericht einer Aussteigerin (2018)

Authentischer Insider-Bericht einer moralisch integren Ex-AfDlerin

Franziska Schreiber ist vermutlich die erste Aussteigerin aus der AfD, die nicht nur Interviews gibt, sondern ihre traumatisierenden Erlebnisse in einem Buch verarbeitet hat. Sie kann authentisch berichten: Es ist wirklich schlimm geworden mit der AfD.

Der Leser erlebt mit diesem Buch alles noch einmal mit, wie es war:

Anfangs war die AfD ein legitimes und sogar notwendiges demokratisches Projekt: Durch die sogenannte „Euro-Rettung“ wurden und werden die europäischen Verträge (von Verfassungsrang) gebrochen und unfasslich hohe Summen Geldes völlig sinnlos zum Fenster hinausgeworfen. Zudem werden die europäischen Südländer ökonomisch geknebelt. Auch die chaotische und oft rechtswidrige Zuwanderungspolitik ist ein großes Problem. In der Integrationspolitik gibt es völlig falsche Weichenstellungen zum Aufbau von Parallelgesellschaften, von denen einige zudem undemokratisch, frauenfeindlich und kriminell sind. Die EU hat sich bürokratisch statt demokratisch und planwirtschaftlich statt marktwirtschaftlich entwickelt. Die demokratische Kritik von Karl Jaspers an der „Parteienoligarchie“ der BRD aus den 60er Jahren ist nach wie vor berechtigt. Und Franziska Schreiber erklärt in sehr beachtenswerten Worten, warum die ostdeutschen Bürger sich in der BRD nicht mitgenommen fühlen. Ein Kollaps des Systems steht zwar nicht bevor, aber dass die derzeit Regierenden aus ideologischer Selbstverklemmung viel dafür tun, dass es uns allen deutlich schlechter gehen wird, ist unübersehbar.

Aber leider verlief sich der hoffnungsfrohe und elektrisierende Aufbruch gegen den Mehltau des immer undemokratischer werdenden etablierten Politik- und Medienbetriebes ins Leere. Denn die neue Partei füllte sich immer mehr mit rechtsradikal motivierten Mitgliedern. Zweimal wechselte die Partei ihre(n) Vorsitzende(n) aus (Lucke und Petry), bis sie schließlich zu jener rechtsradikalen Gauland-AfD geworden war, die sie heute ist. Im Grunde eine NPD in Nadelstreifen.

Die Autorin beschreibt eindrücklich, wie die Vorurteile und verzerrten Darstellungen der Medien dazu beitrugen, dass sich die falschen Leute von dieser Partei angezogen fühlten. Sie beschreibt, wie der neue Anspruch auf schrankenlose Meinungsfreiheit und Basisdemokratie die Parteiführung immer mehr nach rechts zwang. Sie beschreibt, wie die Liberalen in der Partei durch taktische Spiele und Bündnisse versuchten, die Partei zu retten, und dabei (fast) ihre Seele verkauften. Es wird deutlich, dass sich in der AfD immer mehr Menschen mit einem destruktiven Charakter sammelten, die in allem nur das Schlechte sehen wollen, und unfähig dazu sind, konstruktive Lösungen zu erarbeiten, die auch Kompromisse und die Anerkennung von Realitäten erfordert hätten. Es wird gezeigt, wie sich hinter legalen und legitimen Aussagen ganz andere Absichten und Ansprüche verbergen. Es gab nicht den einen „Rechtsruck“, sondern ein allmähliches Hinübergleiten ins Rechtsradikale. Die AfD war damit an derselben Problematik gescheitert, wie alle ähnlichen Gründungen zuvor auch schon: Die Republikaner, die Schill-Partei, die Partei „Die Freiheit“.

Fazit

Die Kernbotschaft des Buches ist so simpel wie einfach: Das gute und wichtige Projekt AfD ist gescheitert. Wählt diese Partei nicht mehr! Diese Partei lebt nur noch von dem Nimbus, den sie einmal hatte. Wo die Medien früher Dinge unfair verzerrt hatten, berichten sie heute leider die böse Wahrheit über die AfD. Irgendwann wird auch der Letzte kapieren, dass der Lack ab ist. Die AfD ist die NPD in Nadelstreifen. Selbst die anderen europäischen Rechtspopulisten, die selbst bekanntlich auch keine Waisenknaben sind, fragen sich inzwischen, ob die AfD nicht zu radikal für sie geworden ist.

Defizite dieses Buches

Das Buch bringt seine Botschaft für verständige Menschen verlässlich rüber, dennoch hat es auch Defizite. An einigen Stellen argumentiert die Autorin leider etwas ungeschickt, so dass der Leser den Eindruck bekommt, dass völlig legitime und korrekte Positionen für radikal gehalten werden. Es gilt natürlich, hinter den Vorhang des legalen Anspruchs zu schauen. Es ist durchaus legitim, eine konservative Familienpolitik zu wollen. Es ist legitim, die deutsche Kultur des deutschen Staatsvolkes erhalten zu wollen. Der Anstieg der Gewaltkriminalität im Zuge der Balkanroute 2015 ist Realität, auch wenn die Medien sich um diese klare Aussage herummogeln. Eine gewisse Geringschätzung der deutschen Fahne außerhalb der Fußball-WM gibt es leider doch. Vollverschleierung ist leider nicht so selten und auch nicht so unproblematisch, wie dargestellt. Und Kinder mit Migrationshintergrund sind nicht allein deshalb schon integriert, weil sie einen deutschen Pass haben; leider nicht.

Teilweise werden Bezeichnungen für Rechtsradikalität verwendet, die dafür unpassend sind, so z.B. „Nationalkonservative“, „Neocons“, „Patrioten“, „Rechte“. Es wäre ja schön, wenn die AfD nur rechts, aber nicht rechtsradikal wäre. Schön wäre es, wenn die AfD voller konservativer Patrioten oder Neokonservativer wäre. Aber es sind Rechtsradikale. Und so sollte man sie auch nennen. Man sollte sich die guten Worte nicht von der Gauland-AfD mit anderer Bedeutung überschreiben lassen. Genauso wie man sich Worte wie „Humanismus“, „Demokratie“ und „Aufklärung“ nicht von den Linken mit anderer Bedeutung überschreiben lassen sollte.

Teilweise werden die problematischen Aussagen von AfDlern nicht präzise genug analysiert, so dass die Kritik Gefahr läuft, die Pointe zu verpassen. So hatte Bernd Höcke z.B. in seiner zweifelsohne schrägen Rede über den „Ausbreitungstyp“, anders als die Autorin es darstellt, keineswegs behauptet, dass dieser genetisch angeboren sei. Das ist nur eine Deutungsmöglichkeit, die noch nicht einmal nahe liegt, wenn man bedenkt, dass Höcke eine Änderung des Fortpflanzungstyps durch eine Änderung der Politik in Afrika forderte. Im Nachhinein kann man natürlich sagen: Das war Absicht von Höcke. Er wollte tatsächlich, dass es so verstanden wird. Aber wirklich gesagt hat er es nicht. Das ist ja gerade die Masche, die von der Autorin an anderen Beispielen besser dargestellt wurde.

In einem Punkt scheint die Autorin Frauke Petry zu Unrecht in Schutz zu nehmen. Es geht um die Ereignisse im Stuttgarter Landtag 2016, als Meuthen die Fraktion spaltete, nachdem die Hälfte der Abgeordneten den glasklaren Antisemiten Gedeon nicht ausschließen wollte. Frauke Petry hatte hier nicht genügend erkannt, dass Gedeon nicht das Hauptproblem war, sondern diese Gedeon-Schützer. Frauke Petry stellte es damals so dar, als sei alles in Ordnung, nachdem sie Gedeon zum Gehen bewegen konnte. Aber wer einen glasklaren Antisemiten nicht ausschließt, auf den fällt der Antisemitismus selbst zurück. Da ist in der Politik keinerlei Naivität erlaubt. Meuthen hatte dieses Problem mit seiner Fraktionsspaltung besser beantwortet als Petry. – Dass die AfD-Basis die Fraktionsspaltung nicht verstand und ablehnte, und dass Meuthen später zusammen mit Gauland die Fraktion sang- und klanglos wieder vereinigte, war das erste öffentlich erkennbare Fanal, dass die AfD auch von ihrer Führung her in den Radikalismus abgerutscht war.

Am Ende des Buches bekommt der Leser den Eindruck vermittelt, dass doch alles wieder irgendwie in Ordnung wäre mit Deutschland. Es wird am Ende des Buches nicht noch einmal herausgestellt, dass die schwerwiegenden Probleme, wegen derer die AfD sich legitimerweise gegründet hatte, immer noch existieren. Und dass das Scheitern der AfD leider auch ein gewisses Scheitern unserer Demokratie als ganzes bedeutet, sowie ein ungehindertes Voranschreiten der etablierten Parteien auf ganz falschen Wegen. Der Schluss des Buches ist zu optimistisch! Wie wenn es keine Eurokrise gäbe. Wie wenn die Asylkrise gelöst wäre. Wie wenn die Integration in Deutschland auf einem guten Weg wäre. Wie wenn es keine Brüche von Recht und Verfassung gäbe. Die Probleme sind weiterhin da, und sie werden uns allen tonnenschwer auf die Füße fallen. Nicht als Weltuntergang, aber doch als große Belastung für viele Generationen.

Halbwegs rationale AfD-Anhänger, die durch Argumente noch erreicht werden können, könnten sich durch dieses Buch wegen der genannten Defizite unerschüttert zeigen. – AfD-Gegner hingegen könnten sich durch dieses Buch in dem falschen Glauben bestätigt sehen, dass die AfD schon immer eine unnötige und überflüssige Partei war, und dass doch alles in Ordnung sei in Deutschland. Dafür gibt es zwei Punkte Abzug. Aber weil’s nun einmal ein echt authentisches Werk ist, das nun einmal so ist wie es ist, gibt es einen Pluspunkt, also im ganzen nur einen Punkt Abzug.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 05. August 2018)

Michael Köhlmeier: Wenn ich Wir sage (2019)

Kein gebildeter Essay sondern irrationale Orgie des utopischen linken Zeitgeistes

Zu Anfang gewinnt der Leser den Eindruck eines wunderbar gebildeten Essays: Köhlmeier kreist mit spielerischer Leichtigkeit um die beiden Geistesgrößen Ralph Waldo Emerson und Montaigne, und macht sich angenehm eigenwillige und durchaus originelle Gedanken zu Platon, Homer, Thomas Mann und Isaiah Berlin. Alles beginnt mit der Einsicht, dass auch in engeren Beziehungen wie Familie und Freundschaft nicht nur reine Zuneigung herrscht, sondern oft auch Motive wie z.B. Überlegenheit, Abhängigkeit und Wettkampf eine Rolle spielen.

Doch bereits bei folgenden groben Fehlern und Irrtümern beginnt man zu stutzen: Von Sokrates und den platonischen Dialogen heißt es, Sokrates wisse immer alles schon im Voraus, und seine Dialoge seien angeblich kein fairer Austausch von Argumenten. Sokrates sei doktrinär, und die Platonischen Mythen seien Erfindungen in diesem Sinne. (S. 28, 30) Hat Köhlmeier dieselben Dialoge gelesen wie wir? Hat er noch nie etwas davon gehört, dass manche Dialoge Platons in einer Aporie enden? Bei einem derart zynischen Sokrates- bzw. Platonbild muss man sich fragen, wieviel Köhlmeier von Philosophie verstanden haben kann? – Ärgerlich ist die offenbar wohlwollend gemeinte Erwähnung, dass die Religionsgemeinschaft der Unitarier sich für immer mehr Glaubensrichtungen öffnete, am Ende auch für Atheisten (S. 20). Ärgerlich deshalb, weil dieser Vorgang natürlich nicht bedeutet, dass die Unitarier tolerant geworden wären, sondern einfach nur bedeutet, dass die Unitarier ihre eigenen Überzeugungen aufgegeben haben. Wie naiv muss man sein, um an eine Weltverbrüderung durch die Selbstaufgabe der eigenen Überzeugungen zu glauben? Wie naiv muss man sein, die gegenseitige Tolerierung von gegensätzlichen Weltanschauungen durch deren Verwischung und Selbstaufgabe erreichen zu wollen? Was bei Köhlmeier hingegen fehlt, ist der Gedanke, dass die verschiedenen Weltanschauungen in einem klassisch verstandenen Humanismus (Vernunft, historische Kritik, Wesen des Menschen) eine Brücke zueinander haben könnten. – Dann vergleicht Köhlmeier das Stockholm-Syndrom mit dem Phänomen, dass manche Menschen ihren Daseinszweck in einer Feindbeziehung finden, d.h. ohne ihren Feind würde ihr Leben plötzlich sinnlos (S. 33). Das ist aber etwas ganz anderes als das Stockholm-Syndrom und deshalb ein ziemlich schiefer Vergleich. – Zu dem Umstand, dass Montaigne Latein lernte, fällt Köhlmeier nur ein, dass ihm das damals Türen geöffnet haben mag, auch zu Bibliotheken, und dass der lateinische Wortschatz zum Philosophieren besser geeignet war als das damalige Französisch (S. 56). Aber damit verkennt er den zentralen Wert des Lateinlernens: Die vertikale Horizonterweiterung hinein in die Tiefe der Geschichte! Am Verlauf der Geschichte der antiken Welt kann man viele Einsichten über die Welt der Gegenwart gewinnen. Und natürlich bekommt man einen unverfälschten Zugang zum Denken der antiken Philosophen, fernab von allen modischen Verfälschungen des Denkens der Gegenwart. Für Köhlmeier ist Latein aber offenbar nur ein höchst gegenwärtiges, schnödes Werkzeug, ja sogar ein Status Symbol, ein Türöffner zur Gesellschaft. – Bei Thomas Manns Zauberberg konzentriert sich Köhlmeier ganz auf den Gegensatz von Naphta und Settembrini, während er über Peeperkorn kein Wort verliert (S. 23, 25). Naphta ist für Köhlmeier der Repräsentant des verführerischen Charismas, der Inbegriff des Gefährlichen. Damit hat Köhlmeier den ganzen Roman missverstanden, denn es ist Peeperkorn, der der charismatische, gefährliche Typ ist. Mit Naphta hingegen kann man noch reden, und dies geschieht im Roman auch ausgiebig. Immerhin: Mit diesem völligen Missverstehen von Thomas Manns Zauberberg ist Köhlmeier nicht allein. – Schließlich wird auch die eingangs erwähnte Fragestellung nicht gut aufgelöst: Nur wer von der naiven Idee herkommt, dass das Gute in purer Selbstlosigkeit bestünde, wird von der Erkenntnis erschüttert, dass auch engere Beziehungen nicht nur reine Liebe sind. Köhlmeier leistet aber keine philosophisch akzeptable Lösung des Problems, weil er bei dem naiven Maßstab des selbstlos Guten verharrt, und damit das wahre Wesen des Menschen dauerhaft verkennt, in dem die Brücke zum Mitmenschen paradoxerweise gerade über den Egoismus geschlagen wird. Köhlmeier kommt zwar auf das Mitleid, das diese Brücke schlägt, erkennt aber dessen Bedeutung nicht, sondern sieht darin nur etwas mehr als ein „Minimalprogramm“ von Humanität (S. 38 f.). – Und gleich setzt Köhlmeier einen weiteren, entlarvenden Irrtum oben drauf: Die Aufforderung Jesu, den Nächsten zu lieben „wie sich selbst“, funktioniere noch weniger als das Mitleid, weil es schwierig sei, sich selbst zu lieben (S. 39): Aber nur diese Selbstliebe ist im Mitleid die Brücke zum Mitmenschen! Köhlmeier hat das ganze Konzept der Philosophie vom Mitleid von A bis Z nicht verstanden. Er hat Jesu Aufforderung der Nächstenliebe nicht verstanden. Er hat Platon nicht verstanden. Er hat den Bildungswert von Latein nicht verstanden. Und noch vieles andere hat Köhlmeier nicht verstanden, was zum Grundbestand eines klassisch humanistisch gebildeten Menschen unbedingt dazugehören würde.

Köhlmeiers Überlegungen kulminieren in folgendem Gedanken: Im engeren Kreise, in Familie, Freundschaft und Heimat, gäbe es ein glaubwürdiges „Wir“, auch wenn es bisweilen schwierig sei. Das „Wir“ jedoch, das die Nation repräsentiert, sei grundsätzlich verlogen, mythisch und auf die Zerstörung des Glückes der Menschen aus (S. 75-85). Köhlmeier unterscheidet dabei nicht zwischen normalem Nationalbewusstsein und Nationalismus: Für ihn ist bereits der Patriotismus eine Lüge, und eine Nation könne gar nicht anders, als sich über ihre Feinde zu definieren. Als Kronzeuge dient ihm dazu Isaiah Berlin (S. 71-75).

Hier ist Köhlmeier entschieden zu widersprechen: Auch eine Nation kann ein legitimes und notwendiges „Wir“ sein, das aus einer gemeinsam erlebten Geschichte erwachsen ist. Die Nation ist zudem der einzige Organisationsrahmen, innerhalb dessen sich Demokratie entfalten kann, denn nur die Nation stellt den dafür nötigen Diskursraum sowie die historisch gewachsene Solidarität der Bürger untereinander zur Verfügung. Die Idee Köhlmeiers, dass Heimat „einschließe“, Nation jedoch „ausschließe“, ist irrationaler Blödsinn. Gerade die innige Kultur der Heimat grenzt Neuankömmlinge gnadenlos aus, man denke nur an den Dialekt. Und wenn Köhlmeier meint, wer eine Nation liebe, der könne genauso gut die Verkehrsschilder lieben, die von Nation zu Nation unterschiedlich sind (S. 81), dann ist ihm zu entgegnen: Ja, die Verkehrsschilder gehören auch dazu! Wer über eine Grenze von Nation zu Nation fährt, bemerkt sofort tausend kleine Unterschiede, die zusammen eine ganz andere Atmosphäre erzeugen, die eben typisch ist für die jeweilige Nation. Von den Verkehrsschildern, über die Werbeplakate bis hin zum Zuschnitt von Feldern und Wäldern: Alles zeugt von einem anderen inneren Zusammenhang, der über Jahrhunderte gewachsen ist, seinen ganz eigenen Charme hat, und sich bis in tiefste Tiefen fortsetzt, denn auch Politik, Literatur und Kunst funktionieren in jeder Nation wieder ganz anders.

Man fragt sich auch, wie Köhlmeier z.B. über den Zusammenschluss der Nationen in Europa denkt? Ist Europa für ihn auch nur eine einzige Lüge? Und völlig verrückt, was Köhlmeier dann vom Weltbürgertum sagt: Dieses sei seiner Meinung nach kein „Wir“ (S. 49). Die Menschheit also kein „Wir“? Gibt es wirklich nichts, was uns Menschen als Menschen verbindet, was wir gemeinsam haben, und was uns überhaupt erst zu dem macht, was wir sind, nämlich Menschen? Spätestens hier legt Köhlmeier die Axt an die Wurzel des Humanismus. Tatsächlich sieht er sich außerstande, überhaupt irgendetwas Verbindendes anzuerkennen, selbst innerhalb einer Nation. Über den Verschiedenheiten von Religionen, Interessen und Herkunftsländern gäbe es schlicht nichts Verbindendes (S. 82 f.). Da fragt man sich, wie Köhlmeier sich eigentlich die Integration von Zuwanderern vorstellt? Sollten sie nicht wenigstens die Landessprache ihrer neuen Heimat lernen? Was Köhlmeier hier präsentiert, ist die ganze Unmenschlichkeit der Multikulti-Ideologie in ihrer reinsten, gefährlichsten Form.

Zudem hat Köhlmeier Isaiah Berlin falsch gedeutet. Überall kann man nachlesen, dass Isaiah Berlin sehr wohl zwischen Nation und Nationalismus unterschied, auch wenn er den Unterschied an manchen Stellen durch eine ungeschickte Wortwahl verwischte. Dies kann schon durch ein wenig Googlen gefunden werden, also hätte auch Köhlmeier dies wissen können.

Köhlmeier ist nichts anderes als politisch radikal. Seine Vorstellungen sind nicht nur unrealistisch, sondern sie brandmarken auch ganz normale Bürger, die ihr Land, ihre Geschichte, ihre Sprache und ihre Kultur lieben, als böse Nationalisten. Genau diese unduldsame Haltung gegenüber völlig normalen Einstellungen ist es, die die Wähler scharenweise von den bisherigen Parteien weg und hin zur rechtsradikalen AfD treibt. Es sind Menschen wie Köhlmeier, die maßgeblich dafür verantwortlich sind, dass unsere Demokratie zerfällt. Der Radikalismus der einen Seite füttert den Radikalismus der anderen Seite. Nicht zufällig findet sich in diesem Büchlein mindestens eine bösartige politische Verleumdung. Dem Vorsitzenden einer nicht genannten Partei (offensichtlich Strache von der FPÖ) wird unterstellt, er habe befunden, dass man den Nächsten lieben, den Übernächsten aber hassen solle (S. 82). Doch es ist nicht wahr. So sagte Strache in einem Interview z.B.: „… die Nächstenliebe beginnt ja beim Nächsten, der Familie und der eigenen Bevölkerung, und nicht beim Übernächsten. Und wenn dann noch Geld übrig bleibt, kann man gerne auch andere unterstützen.“ Es gibt genügend sachliche Kritik, die man an der FPÖ und Strache üben könnte, aber es ist definitiv falsch und schlicht unwahr, dass Strache zum „Hass“ auf den „Übernächsten“ aufgerufen hätte. Wer das behauptet, redet selbst voller Hass.

Woher kommt der Hass? Köhlmeier spricht sich zwar für die rationale Kühle der Aufklärung aus (S. 49), ist aber selbst ein ausgesprochener Gefühlsmensch. Damit trägt er einen veritablen Selbstwiderspruch mit sich herum. Dieses ganze Büchlein ist eine Ansammlung von emotionalen Assoziationen, weniger von rationalen Argumentationen. Sich selbst stellt Köhlmeier in diesem Büchlein ausführlich als Musiker dar, und wie Musik auf höchst unrationale aber ihm zugleich höchst erwünschte Weise ein „Wir“ konstitutieren kann (S. 66-69). Sehr nahe an die Irrationalität von Köhlmeier kommt man, wo er einen Gegensatz zwischen Wahrheit und Mensch aufmacht! (S. 30) Auch hier legt Köhlmeier die Axt an die Wurzel des Humanismus: Denn wer die Wahrheit und ihre freimachende Wirkung nicht liebt und diese Wahrheitsliebe nicht als etwas Urmenschliches begreift, sondern die freundliche Lüge bevorzugt, nur weil sich jemand durch die Wahrheit verletzt fühlen könnte, der hat Humanismus und Aufklärung aufgegeben. Angeblich unter Berufung auf Montaigne meint Köhlmeier, man brauche sich weder Platon noch Aristoteles „aufzuladen“, man solle die Welt lieber betasten und sinnlich begreifen (S. 57). Irgendwie fühlt man sich hier an Hitlers „Mein Kampf“ erinnert, wo ebenfalls einer fehlgeleiteten Vorliebe für das Praktische das Wort geredet und Intellektualität verpönt wird.

Köhlmeier zeigt sich nicht etwa als individueller Geist, sondern als ein dem Zeitgeist höriger Mensch. Früher einmal waren Linke noch halbwegs vernünftig. Noch in den 1990er Jahren verkündete Johannes Rau, einer der Altväter der SPD, in Wahlkampfveranstaltungen stolz: „Ich bin ein Patriot!“ Doch heute sind die Linken zum nationalen Selbsthass übergegangen, und verkünden eine Utopie von „no borders no nations – refugees welcome!“ Und Köhlmeier ist da einfach nur ein Kind seiner Zeit, das munter nachplappert.

Halten wir aber zwei Sachen fest, die Köhlmeier richtig gesagt hat:

  • Mitleid ist eine wichtige Basis für Humanität.
  • Romantische Irrationalität ist eine Ursache für Nationalismus.

Bewertung: 1 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 02. Februar 2020)