Schlagwort: Schweden

Per Petterson: Pferde stehlen (2003)

Reiches, atmosphärisches Buch über Väter, Einsamkeit, das Leben schlechthin

Es ist die Geschichte eines Jungen und seines Vaters, die beide 1948 einen Sommer auf einer Hütte in der norwegischen Provinz nahe der schwedischen Grenze verbringen. Es ist ein Sommer voller Abenteuer für den Jungen, ein Leben in und mit der Natur, einsam, arbeitsam und einfach, ein Leben mit glücklichen und tragischen Momenten. Vater und Sohn kommen sich dabei so nahe wie nie, und der Sohn beginnt zum Mann zu werden.

Doch was der Sohn nicht weiß: Sein Vater war schon einmal hier, im Krieg, und hatte Flüchtlingen über die Grenze nach Schweden geholfen. Und sich dabei verliebt. Es ist der letzte Sommer, den Vater und Sohn gemeinsam verbringen, bevor der Vater die Familie endgültig verlassen und ohne Wiederkehr zu seiner Geliebten gehen wird.

Die Geschichte wird aus der Perspektive des Sohnes erzählt, wie er nun seinerseits als alter Mann erneut in eine Hütte in derselben Gegend zieht, um seine letzten Jahre in jener arbeitsamen Einsamkeit zu verbringen, die er damals von seinem Vater kennengelernt hatte. Auch jetzt sind Glück und Tragik nahe beieinander: Ehefrau und Schwester sind gestorben, aber seine Tochter besucht ihn überraschend. Die Einsamkeit tut gut und wird mit der Lektüre von Charles Dickens abgerundet, sie wird aber auch als Risiko empfunden. Aber da ist noch sein Hund Lyra, und ein guter Nachbar, den er noch aus dem Sommer 1948 im Zusammenhang mit tragischen Ereignissen kennt.

Per Petterson ist ein sehr atmosphärisches, ruhiges Buch gelungen, das den Leser teilhaben lässt an den Gedanken und Gefühlen der Protagonisten. Ein Buch über Väter und Söhne, über Einsamkeit und Freundschaft, über Liebe und Verlassenheit, über Stadt und Land, über Krieg und Frieden, über Jugend und Alter, über unmittelbares Erleben und späteres Erinnern, über das Leben schlechthin, kurz: Es ist ein sehr reiches Buch.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 17. August 2018)

Diana Smirnow: Der Mann unter dem Polarstern (2022)

Runder Lebenshilfe-Roman: Eingefroren und aufgetaut

Der Roman „Der Mann unter dem Polarstern“ von Diana Smirnow ist eine Art Lebenshilfe-Roman im Stil von „Dienstags bei Morrie“ von Mitch Albom. In solchen Romanen gerät ein Protagonist in eine außergewöhnliche Situation, die ihn auf sich selbst zurückwirft, die ihn aber auch neue Einsichten gewinnen lässt, oft mithilfe eines „weisen Lehrers“.

In diesem Fall wird der erfolgreiche Unternehmer Noel Zaikow überraschend in einer schwedischen Ferienhütte für mehrere Wochen vom Packeis eingeschlossen und kann nur durch einen schmalen Spalt mit der Umwelt kommunizieren. Die Rolle des weisen Lehrers übernimmt der Glasmacher Alim aus Marokko (was wunderlich genug ist für ein abgelegenes Dorf in Schweden, aber wir leben ja in verrückten Zeiten).

Die vermittelten Lehren sind u.a. diese:

  • Clean up your life, one step at a time.
  • Schaue nicht zuerst auf das, was andere für Dich tun können oder ob die Umstände an Deiner Situation schuld sind, sondern frage zuerst: Bin ich vielleicht auch selbst schuld und kann ich selbst etwas dafür tun, um meine Situation zu verbessern?
  • Materielle Werte können ein Leben nicht erfüllen.
  • Der Wert kreativer Arbeit mit den eigenen Händen.
  • Dankbarkeit.

Im Laufe des Romans lernt Noel Zaikow, sich in seiner Situation einzurichten und neue Freunde zu gewinnen. Er geht verschiedene Erinnerungen an sein Leben durch und orientiert sich neu. Am Ende schmilzt das Eis (natürlich). Der Leser fühlt sich implizit aufgefordert, es dem Protagonisten gleichzutun, und tatsächlich schadet es nicht, sich immer wieder einmal solche Anregungen zu holen. Köstlich, wie der Protagonist am Ende mit seiner Freundin Schluss macht: Für männliche Leser sicher ein Höhepunkt des Buches …

Obwohl der Roman im Selbstverlag publiziert wurde, ist er eine völlig runde Sache (von ein paar fehlenden Artikeln abgesehen). So einen Roman hätte man sich auch gut und gern bei einem „richtigen“ Verlag vorstellen können.

Lebenshilfe-Romane sind natürlich auch Geschmacksache. Teilweise wirken sie kitschig und nicht „echt“ und die Weisheiten werden den Lesern mit Löffeln verabreicht. Diese Problematik hält sich hier aber in Grenzen. Es schadet auf keinen Fall, einmal einen solchen Roman gelesen zu haben. Wer es etwas sachlicher (und deftiger) haben will, könnte auch „12 Rules for Life“ von Jordan B. Peterson lesen.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.