Schlagwort: Theater

Hugo von Hofmannsthal: Jedermann – Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes (1911)

Große Enttäuschung: Offenbar Lieblingsstück primitiver Antikapitalisten

Wer hat nicht schon vom „Jedermann“ gehört? Dieses legendäre Stück, dass immer in Salzburg aufgeführt wird, das nur von den besten Schauspielern gespielt werden darf, dieser Eckstein der weltweiten Theaterkultur: Man muss es gelesen haben! Also ran.

Das Stück „Jedermann: Das Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ ist in Stil und Inhalt ganz in der Art eines Jesuiten-Theaters zur christlichen Belehrung der gläubigen Massen gehalten. Es ist in der Tat eine Adaption frühneuzeitlicher Vorlagen.

Der Inhalt ist überraschend stupide: Ein reicher Mann, um die 40, erfährt, dass er sterben muss, und sucht nun Begleiter in den Tod, die ihn vor Gott rechtfertigen sollen. Doch alle winken ab: Sein Freund ebenso wie seine Verwandten und Knechte. Auch sein eigener Mammon verweigert ihm die Gefolgschaft. Nur die Personifikationen von guten Werken und Glaube retten ihn am Ende, nachdem er sich reumütig zum christlichen Glauben bekehrt hat.

Drei Probleme

Das Stück leidet zunächst an zwei Problemen: Zum einen ist es strikt im Rahmen eines altbackenen christlichen Glaubens gehalten, den es an keiner Stelle symbolisch überhöht oder modern deutet. Noch größer ist jedoch das Problem, dass die zu Beginn des Stückes vorgeführten Sünden des Herrn Jedermann überhaupt keine Sünden sind!

  • „Sünde“ Nr. 1: Ein Bettler kommt zu Jedermann, Jedermann gibt ihm spontan etwas Geld. Doch der Bettler will gleich den ganzen Geldbeutel. Dies weist Jedermann zurück. Wo soll hier eine Sünde sein? Es ist nur vernünftig.
  • „Sünde“ Nr. 2: Ein Schuldner wird in den Schuldturm geworfen. Jedermann findet das richtig, denn der Schuldner hat den Gläubiger schließlich um sein Geld betrogen. Eine Sünde kann man das nicht nennen, denn es ist gerecht. Aber dabei bleibt Jedermann nicht stehen: Jedermann übernimmt für die mittellose Familie des Schuldners Kost und Logis! Das ist keine Sünde, das ist eine soziale Tat!
  • „Sünde“ Nr. 3: Jedermann hat eine Freundin und scheut es, sich in der Ehe zu binden. Er lebt gerne und gut in Geselligkeit mit Freunden. Hier könnte man vielleicht den Unwillen, sich zu binden, kritisieren, aber von einer schweren Sünde ist hier weit und breit nichts zu sehen. Die Toskana-Fraktion der Antikapitalisten lebt nicht anders.
  • „Sünde“ Nr. 4: Jedermann hat Gott und die Erlösertat Christi vergessen. Das ist natürlich eine Todsünde – aber nur im Rahmen eines altbacken christgläubigen Weltbildes! Moderne Menschen können damit nichts anfangen, zumal sich Jedermann durchaus sozial verhält, wie wir sahen.

Fast schon sympathisch ist Jedermanns unfreiwillig herausgerutschter Satz, gemünzt nicht auf seine engeren Freunde, sondern auf andere Gäste seines Hauses:

„Wie Ihr da seid hereingelaufen,
So könnte ich Euch alle kaufen,
Und wiederum verkaufen auch,
Dass es mir nit so nahe ging
Als eines Fingernagels Bruch.“

Sympathisch deshalb, weil Jedermann mit diesen Worten die aus dem Kontext dieser Stelle ersichtlichen wahren Motive jener Gäste entlarvt, die nicht seine Freunde sind, sondern nur von seinem Reichtum an seiner Tafel profitieren wollen.

Das dritte Problem sind diverse Lächerlichkeiten:

Lächerlich wird das Stück, wo Jedermann eines Lebens bezichtigt wird, das dem Klischee des dekadenten, egoistischen Reichen entspricht: Lächerlich deshalb, weil wir doch zuvor sahen, dass es so nicht ist. Jedermann ist nicht Ebenezer Scrooge, sondern zu Almosen und sozialer Unterstützung bereit. Das Stück enthält hier einen eklatanten Selbstwiderspruch.

Lächerlich ist auch der Versuch des Stückes, in der Absage von Freunden, Verwandten und Knechten, Jedermann in den Tod zu begleiten, eine moralische Aussage sehen zu wollen. So ein Unsinn! Man kann selbst vom besten Freund zwar viel verlangen, aber den Tod wohl kaum. Damit wendet sich die Dramatik der Absagen an Jedermann ins Lächerliche. Selbst für einen gläubigen Christen ist der Gedankengang fragwürdig, einen Freund in den Tod zu begleiten. Solches hat man zuletzt von den Sumerern gehört, wo die Könige sich mitsamt ihrem extra zu diesem Zweck getöteten Hofstaat bestatten ließen, und das gilt als barbarisch.

Und übrigens: Wieso sollte ein Freund, der ebenso „sündig“ gelebt hat wie Jedermann, ihm im Jenseits irgendwie helfen können?! Hier ist das Stück auch logisch brüchig.

Woher der Erfolg?

Wie kommt es nun, dass ein so völlig aus unserer Zeit gefallenes und im Grunde lächerliches Stück einen solchen Erfolg feiern konnte? Die Antwort ist einfach: Der einzig mögliche moderne Anknüpfungspunkt ist ein primitiver Antikapitalismus. Jedermann, der – wie wir sahen – eigentlich ganz vernünftig ist, wird gerade deshalb angefeindet, weil er reich ist und Geld hat. Der Reichtum an sich (!) wird bereits verteufelt, und nicht so sehr, wie er verwendet wird.

Während Jedermann sagt:
„Geld ist wie eine andere War‘
Das sind Verträge und Rechte klar“

sagt der Schuldner:
„Geld ist nicht so wie andre War‘
Ist ein verflucht und zaubrisch Wesen, …
Des Satans Fangnetz in der Welt
Hat keinen anderen Nam als Geld.“

Reichtum, Geld, Zinsen: Einfach alles Teufelszeug. Schuldig ist – natürlich! – nicht der, der geliehenes Geld nicht zurückzahlen kann, sondern der, der es verliehen hatte. Das ist nichts anderes als ein primitiver Antikapitalismus, der auf einem fundamentalen Nichtverstehen von ökonomischen Zusammenhängen beruht. Nur das kann den Erfolg dieses Stückes erklären. Hier ist übrigens das üble Klischeebild vom jüdischen Wucherer nicht fern, der die braven Nichtjuden in die „Zinsknechtschaft“ führt. So manche mittelalterliche Judenhatz beruhte auf diesem falschen Denken, und als das Stück zum ersten Mal in Salzburg aufgeführt wurde (1920), meinten nicht wenige mit Karl Marx („Zur Judenfrage“, 1843) eine enge Verbindung von jüdischer Kultur und dem „bösen“ Kapitalismus erkennen zu können. Wir sehen, in welchen Sphären des Geistes wir uns bewegen.

Hier geht das schiefe Bild des Christentums von Reich und Arm eine üble Synthese ein mit modernem sozialistischen Gedankengut. Der Autor Hugo von Hofmannsthal war übrigens kein Sozialist, sondern ein Monarchist und Konservativer. Aber in der Kritik am Kapitalismus treffen sich Christentum und Sozialismus offenbar.

Indem man sich um dieses Stück versammelt, macht man ein politisches Statement. Alle, die sich um es scharen, und es von Jahr zu Jahr als Eckstein der Kultur hochleben lassen, erklären dadurch gleichzeitig jeden, der sich dem Stück verweigert, jeden Befürworter einer sozialen Marktwirtschaft, zu einem kulturellen Banausen. Zu einem unsensiblen Dummkopf, der eben mangels Sensibilität nicht verstanden habe, worauf es in der Welt ankomme.

In diesem Stück wird der Vernünftige zum Bösewicht gemacht, und das Unvernünftige des antikapitalistischen Denkens zur Weihe der höchsten Moral erhoben. Und in der Tat: Wenn man die positiven Amazon-Rezensionen durchliest, findet man immer wieder Aussagen wie die, dass Jedermann selbst Almosen für Bettler verweigern würde. An dieser Falschaussage sieht man, mit welchen Augen das Stück gelesen wird, und welchen falschen Eindruck es bei weniger gebildeten Lesern und Zuschauern hinterlässt.

Schluss

Der einzige Trost für aufgeklärte Menschen ist, dass dieses Stück das Kindische dieser antikapitalistischen Sichtweise durch die bezeichnenderweise gut passende Einbettung in die kindliche Gläubigkeit des Mittelalters unfreiwillig als kindisch entlarvt und mit sich ins Lächerliche zieht.

All diese vernunftwidrigen Pharisäer, die sich den teuren Theaterurlaub in Salzburg gönnen, und sich im Mainstream einer Schickeria von Gleichgesinnten sonnen, während der selbstbestätigende Beifall am Ende dieses antiaufklärerischen Stückes aufbrandet: Ihnen ruft die Stimme der Vernunft hinterher: „Jedermann! Jedermann!“ – Ihnen legt Athene die Frage vor, welche Vernunftleistung sie für ihren Nachruhm sprechen lassen wollen! – Ihnen wird beim Symposion von Sokrates eine Abfuhr erteilt!

Sie sind die wahren Jedermänner!

Bewertung: 1 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon ca. April 2014; 31.08.2023 festgestellt, dass die Rezension auf Amazon nirgends mehr zu finden ist.)

Joachim Sartorius: Die Versuchung von Syrakus (2023)

Eine Marzipanpraline von einem Buch

Joachim Sartorius tut in diesem Buch etwas großartiges: Seit etlichen Jahren hat er einen Zweitwohnsitz in Syrakus, eine Wohnung mitten in der Altstadt auf der Insel Ortygia. Und in diesem Buch lässt er uns teilhaben an seinen Erfahrungen und Eindrücken, an seinen Gedanken und Überlegungen, die er seit seiner Ankunft gesammelt hat.

Wir gehen mit ihm zum Friseur oder in sein Stammcafé. Wir besuchen lokale Künstler und Kulturschaffende, zu denen Joachim Sartorius offenbar schnell Kontakt geknüpft hat. Wir lernen, welche Geschäfte und Restaurants Besonderheiten zu bieten haben. Wir sind aber auch bei zwei alteingesessenen Adligen eingeladen, um mit ihnen ihre Sammlung antiker Münzen zu bestaunen und ihre Forschungen zur Lokalgeschichte zu besprechen. Wir erleben eine Aufführung im Teatro Greco mit, und nehmen an den Diskussionen teil, wie man das städtische Theater auf Ortygia wieder zum Leben erwecken könnte. Wir sind mitten im Trubel des Festes der Stadtheiligen Santa Lucia oder in der Einsamkeit des städtischen Friedhofes mit seinen Totenhäusern. Auch die nähere Umgebung von Syrakus wird besucht und besprochen. Gelegentlich wird die Bedeutung der Geschichte für das Syrakus von heute reflektiert, von der Antike über die Araber und Normannen bis zu den Spaniern. Wir lernen auch, welche Persönlichkeiten schon alle in Syrakus waren, von August von Platen über Johann Gottfried Seume und Ferdinand Gregorovius, bis hin zu Pier Paolo Pasolini und Winston Churchill.

Kurz: Joachim Sartorius lässt uns teilhaben an seiner Heimischwerdung in Syrakus, wie wenn wir selbst dort einen Zweitwohnsitz hätten. Die Kapitel sind meist nicht länger als zwei Seiten. Jedes davon ist ein Genuss für sich, eine kleine Miniatur, die im Alltag das Besondere aufblitzen lässt. Ein großartiges Buch, dessen Konzept so einfach wie genial ist. Wer mag, kann (fast) alle genannten Orte bei Google Streetview persönlich in Augenschein nehmen.

Ergänzungen

Zu dem großen Reigen an historischen Persönlichkeiten und Werken, die Joachim Sartorius zusammengetragen hat, sei noch dieses aus eigenem Wissen hinzugefügt:

Zunächst fehlt die vorgriechische Epoche gänzlich, die immer wieder systematisch unterschätzt wird. Wie wenn alles erst mit den Griechen begonnen hätte. Doch ganz versteckt hat sich die Prähistorie doch hineingeschlichen: Genannt wird das Caffè „Al Ciclope“ in Pachino oder das Landgut des Barons Lucio Tasca di Lignari in den Hybläischen Beren. Die Hybläischen Berge sind nach dem Sikanerkönig Hyblon benannt, der den ersten Griechen Land zur Ansiedlung zuwies, und auch der Kyklop wird traditionellerweise auf Sizilien verortet. Auf Ortygia gab es Ausgrabungen zur Vorgeschichte, zwei Ecken hinter dem Dom, bei der Polizeipräfektur. Die Vorgeschichte Siziliens ist überall präsent, doch kaum einer sieht sie.

Der Philosoph Ludwig Marcuse, nicht zu verwechseln mit Herbert Marcuse, hat 1947 ein engagiertes Büchlein „Der Philosoph und der Diktator“ verfasst. Es verdient, genannt zu werden.

Im Jahr 1966 veröffentlichte Mary Renault ihren Roman „Die Maske des Apoll“, in dem es um das griechische Theater im Allgemeinen und um Platons Aufenthalte in Syrakus im Besonderen geht. Wo anders als im Roman wird alles noch einmal lebendig?

Kurt von Fritz hat 1968 dasselbe Thema aufgegriffen: „Platon in Sizilien“.

Schließlich ist das Büchlein „Atlantis och Syrakusai“ des schwedischen Philologen Gunnar Rudberg aus dem Jahr 1917 zu nennen, das eine interessante Möglichkeit diskutiert: Hat Platon seine Geschichte von Atlantis nach dem Vorbild von Syrakus entworfen? Das Büchlein wurde erst 2012 einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich, als es aus dem Schwedischen ins Englische übersetzt wurde („Atlantis and Syracuse“). Daraus wollen wir die Schlussworte zitieren, wie gesagt aus dem Jahr 1917:

„There is a wonderful mood over the present-day Syracuse, although the city is quite often overlooked by tourists visiting from afar; nor can it measure up to Taormina, Palermo or certain other Sicilian cities in terms of picturesque location and breathtaking beauty. It is primarily a historical mood that rests over the place, whether one is visiting today’s crowded and dirty city on the island with its mighty and renowned, if lesser visible, remains from ancient times, or the more grandiose ruins out in the old Neapolis, one of the countless tomb grottoes carved into the mountain, the Latomiae with their fantastic shapes and lush foliage, protected even when the summer sun has burned all other greenery, Cyane spring with its forest of papyrus plants, the venerable monuments from the oldest Christian times or, finally, the barren high plateau over the city, Epipolae, with the ruins of Euryalos in the background and Dionysius‘ walls still visible at the northern and southern edge of the plateau; with the panorama over the city, the Ionian sea, and the historical neighborhood on the east coast of Sicily and Etna far to the north. Amid the jumble of historic sources, it is often somewhat difficult to follow the course of the massive historic dramas that played out around this city; a visit there removes the veil over much of this, and allows one to see the events in a much clearer light than before. Those who have seen and experienced this will surely never forget it. Certainly this mood of millenia of history and colossal events in the struggle between East and West is not disrupted by the fact that one of the greatest figures of our Western civilization mused, hoped and failed in his reformer’s zeal in this place; nor by the fact that he seems to have taken from here the foundation for one of his most remarkable and gripping dreams and poems, a poem which has held humanity captivated under its spell ever since.“

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

Honoré de Balzac: Verlorene Illusionen (1837-43)

Großartiger Bilderbogen der Gesellschaft und Desillusionierungen von bleibendem Wert

Dieses großartige Zeit- und Sittengemälde von Anfang des 19. Jahrhunderts handelt von einem jungen Dichter, der aus der Provinz nach Paris geht, dort aufsteigt und scheitert, und zurück in die Provinz kommt. Dabei muss er mehr und mehr erkennen, nach welchen Mechanismen und Motivationen die Gesellschaft funktioniert. Der Roman ist stark autobiographisch geprägt.

Am Rand dieser Erzählung wird eine Fülle von Themen angeschlagen: Die Spießigkeit der Gesellschaft in der Provinz und in Paris, die Scheidung der Gesellschaft in Adlige und Bürgerliche, in Royalisten und Liberale. Die kalte Ökonomie des Verlagswesen, an der der idealistische Schriftsteller scheitert. Die Willkür und Machtausübung der Journalisten und Zeitungsmacher, und ihr wachsender Einfluss – diese Diskussion erinnert an moderne Diskussionen über die wachsende Macht des Internet. Der damalige Theaterbetrieb, die gekauften Claqueure, und die Situation von Schauspielerinnen, ihren Gönnern und ihren Liebhabern. Das Pariser Leben in vielen Situationen: Die Wohnsituation, das Flanieren im Bois de Bologne, Studentenkneipen und gehobene Restaurants, beim Schneider, Verkaufshallen, Spielhallen, Prostitution, Pfandleiher. Themen sind auch der Zusammenhalt einer Familie und ihrer Dienerschaft, oder die marktfeindlichen Geschäftspraktiken von Konkurrenten. Ein Kreis junger Idealisten wird portraitiert. Schließlich erfährt man auch eine Menge über Papierherstellung, das damalige Druckerhandwerk, das Wechselwesen, das Kreditwesen und das Patentrecht.

Alles in allem ein sehr lesenswerter und belohnender Teil aus dem großen Projekt der „Comédie humaine“ Balzacs, den man lesen kann, ohne die anderen Teile zu kennen, und der einen unterhält und über Zeiten und Menschen und Medien viel zu sagen hat.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon 27. April 2015)

Mary Renault: Die Maske des Apoll (1966)

Ruhiger, genau beobachtender, aber zu braver Historienroman

Die Handlung des Historienromans „Die Maske des Apoll“ von Mary Renault entwickelt sich rund um den Versuch Platons, im Syrakus des Tyrannen Dionysios II. unter Mithilfe von Dion, dessen Verwandten und Anhänger Platons, den Idealstaat zu errichten. Der Protagonist ist dabei ein reisender Theaterschauspieler, der das politische Geschehen beobachtet und dessen Auswirkungen am eigenen Leibe zu spüren bekommt.

Mary Renault kann sich gut in die Zeit und die besonderen Umstände hineindenken und verblüfft mit ihrer genauen Kenntnis des antiken griechischen Theaters; wer sich dafür interessiert, kommt in jedem Fall auf seine Kosten. Vorkenntnisse in diesem Bereich sind von Nutzen, um jede Anspielung zu verstehen. Auch Platon und seine Philosophie werden ganz gut getroffen, ebenso alles andere. An zwei Stellen kleidet Mary Renault die Philosophie Platons etwas gewagt in neutestamentliche Worte. Die Person des Platon wird zu sehr idealisiert. Der Roman ist in einem antiquiert wirkenden, ruhigen Stil geschrieben, der fern von dem Aktionismus moderner Pageturner seinen eigenen Charme entwickelt.

Doch der Roman ist zu brav geraten. Es fehlt das Besondere, der Biss. Vielleicht ist der Biss in bezug auf das antike Theater gerade eben noch vorhanden; in bezug auf Platon, seine Philosophie und dessen Versuch, den Idealstaat zu verwirklichen, fehlt er jedoch gewiss.

In Kapitel 12 (S. 261) könnte es eine Anspielung auf Platons unvollendete Darstellung von Atlantis geben, wo von einer unvollendeten Schrift Platons die Rede ist; doch das bleibt eine Vermutung, auf den Inhalt der Schrift wird nicht eingegangen.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon 14. Februar 2012)