Kategorie: Roman (Seite 1 von 12)

Kai Meyer: Das Haus des Daedalus (2000)

Ärgerlich: Autor verschenkt großartigen Ansatz

Eigentlich hat das „Haus des Daedalus“ (auch: die „Vatikan-Verschwörung“) alles, was eine erstklassige historische Schnitzeljagd im Stile Dan Browns braucht: Geradezu genial der Einfall, dass die Carceri-Stiche von Piranesi keine Phantasiebilder sind, sondern eine verborgene Unterwelt zeigen, die es wirklich gibt. Selten war ein Historien-Thriller so gut und so glaubwürdig in der Historie verankert! Der Geheimbund der Bewacher des Zugangs zur Unterwelt und seine verschiedenen Charaktere ist ebenfalls glaubwürdig. Die Parallelhandlung der Kapuzinermönche war gelungen und kreuzt sich gut mit der Haupthandlung. Kai Meyer schafft es auch, eine Spannung aufzubauen, die sich immer weiter steigert. Er versteht es, mit der Erwartung des Lesers zu spielen, die bei jedem neuen Puzzleteil neu darüber nachdenkt, wie sich am Ende alles zusammenfügen könnte. So viele Hinweise werden gegeben: Die endlose Treppe in die Tiefe. Das Getrappel von Hufen. Verbrennungen. Fußspuren an der Decke. Licht lockt „es“ an. Ein mattes Leuchten aus der Tiefe. Dass auch ein wenig Esoterik mit hineinzuspielen scheint (schleichende Labyrinthisierung der Stadt Rom), stört ausnahmsweise überhaupt nicht, und auch das könnte immer noch eine natürliche Erklärung haben.

Doch dann … ist das Buch plötzlich zu Ende!

Die Protagonisten sind nicht in die Unterwelt hinabgestiegen! Sie haben es nur bis zum obersten Treppenabsatz geschafft. Ob es dort unten wirklich wie auf den Stichen von Piranesi aussieht, erfährt man überhaupt nicht! Ob der Stier tatsächlich ein Minotaurus ist, und wie er dort unten Jahrtausende überleben konnte, bleibt offen. Das feurige Flügelwesen und der „Geist“ grenzen dann wieder ans Esoterische, diesmal leider störend.

Kai Meyer hat hier einen grandiosen Ansatz verschenkt!

Selbstverständlich hätten die Protagonisten in die Unterwelt hinabsteigen müssen. Das, was Piranesi auf den Stichen gezeigt hatte, hätte in die Handlung einfließen müssen. Für den Stier hätte es eine plausible Erklärung geben müssen, z.B. dass es Daedalus gelang, eine Dampfmaschine zu konstruieren, die sich selbst am Laufen hält, und auf Licht und Geräusche reagiert. Auch das Flügelwesen hätte auf diese Weise zur Not gerade eben noch erklärt werden können. Wie üblich hätte es einen Showdown in der Unterwelt geben müssen, der durch einen Wissensvorsprung über Piranesis Stiche entschieden wird. Es hätte sich alles aufgelöst, und am Ende hätte man ja die Höhlen einstürzen lassen können.

Aber nichts davon. Es ist, wie wenn man gezwungen würde, eine spannendes Buch nach zwei Dritteln aus der Hand zu legen … – das Spiel mit Erwartungshaltungen macht noch kein gutes Buch: Wer Erwartungen weckt, muss sie auch befriedigen können. Es ist kein akzeptabler Stil, am Ende alles in der Schwebe zu lassen.

Ebenfalls störend waren zahlreiche Rückblenden zu Ereignissen in der Zeit vor der Romanhandlung. Man hatte am Anfang ständig das Gefühl, dass man den zweiten Band einer Serie liest, den man vielleicht nur dann richtig verstehen könnte, wenn man zuvor den ersten Band gelesen hat. Doch es gibt keine Serie und keinen Vorgängerband.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 23. Februar 2015)

Nero Campanella: Wie ich unsterblich wurde (2023)

Fingerübung eines Schriftstellers

Die halb literarische, halb autobiographische Figur Brinus vom Schrock, 50, entstammt der saarländischen Bohème, in der er auch versumpft ist, mit Alkohol, Kumpels, allerlei Substanzen, Masturbation, Huren, viel Schmutz und Rotz und einer Menge ungesunden „Abenteuern“ zwischen Tresen und Toilette. Eines Tages bekommt er durch einen Ex-Kumpel, der es vom verkrachten Marxisten zum SPD-Funktionär geschafft hat, ein Künstlerstipendium für einen Aufenthalt auf dem brandenburgischen Schlossgut Wiepersdorf.

Das Schlossgut gibt es wirklich, und es dient tatsächlich als Refugium für Schriftsteller und Künstler aller Art, gesponsert vom Steuerzahler. Es hat eine gut gemache Webseite, auf der man es sich in aller Ausführlichkeit ansehen kann: Sehr schön!

Der Roman reflektiert autofiktional das eigene Tun: Der Schriftsteller erzählt also, wie er nach Schloss Wiepersdorf kommt, wo er mit allerlei seltsamen Künstlern zusammenlebt. Es stellt sich schnell heraus, dass keiner dieser Künstler wirklich etwas vorzuweisen hat, ganz wie Brinus vom Schrock selbst. Alle sind gescheitert, spießig und insgeheim spinnert, und alle singen das politisch korrekte Lied des „linksliberalen“ Zeitgeistes. Nur ausgerechnet eine Lesbe nicht. Und Brinus vom Schrock auch nicht, der sich dadurch schnell unmöglich macht. Der Stil des Buches ist respektlos und zynisch: Brinus vom Schrock hat zwar manchen Durchblick durch die Kulissen der Welt, der immer wieder erfrischend ist, doch zu einer konstruktiven Bewältigung reicht es nicht.

„Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass Künstler, psychologisch gesehen, Streber mit schlechten Noten waren, die sich nur auf kreativen Umwegen den Autoritäten andienten, um ein paar Krümel Wichtigkeit von der Tafel der Geschichte aufzuschnappen, dann wäre er mit diesem Betroffenheitsgekusche um mich herum soeben geliefert worden.“ (S. 107)

Der Roman hechelt verschiedene Situationen und Themen durch: Die Saarbrücker Bohème, die brandenburgische Provinz, politische Korrektheit, peinliches Ertapptwerden, schmarotzende Künstler, politischer Filz, Spießertum, Sex, Drogen aller Art und ihre Folgen, Hegel, ein Traumkapitel, das Sterben eines Freundes (das stärkste Stück im ganzen Buch), die Begegnung mit einem Literaturagenten, die Frage nach der Glaubwürdigkeit eines religiösen Glaubens, das Verschwinden des belesenen Bildungsbürgertums, u.v.a.m.

Fazit

Alles in allem bietet das Buch eine Reihe von gelungenen und teils witzigen Stücken, doch es ist kein ganzes, es bleibt Essay. Am Ende bleiben Verlust, Peinlichkeiten und Scheitern eines wenig erfolgreichen Lebenskünstlers. Das allerdings wird literarisch gut aufbereitet. Es ist die Fingerübung eines Schriftstellers, nur die Generalprobe, nicht das eigentliche Werk.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

Jane Austen: Stolz und Vorurteil (1813)

Die hohe Schule des menschlichen Beziehungsreigens

In diesem Buch gibt es keine eigentliche Handlung: Kein Kriminalfall wird gelöst, kein Schatz wird gesucht, keine Schlacht wird geschlagen, kein politisches Ziel wird erkämpft, keine Länder werden entdeckt, keine Theorie aufgestellt, kein Buch geschrieben, kein Geschäft gemacht. Es passiert das ganze Buch über nichts nennenswertes an Handlung, absolut gar nichts! Das ganze Buch handelt ausschließlich von den Charakteren seiner Akteure und wie sich deren Beziehungen untereinander entwickeln. Wer liebt oder hasst wen, wer redet und denkt gut oder schlecht über wen, wer verbindet oder löst sich miteinander bzw. voneinander, wer tanzt mit wem, wer bespricht sich mit wem, wer sucht Trost bei wem, wer besucht wen, wer schreibt wem welche Briefe, usw. usf.

Jane Austen vermag es, in die typischen Denkweisen der Menschen in Beziehungsdingen hinein zu sehen: Was man typischerweise vermutet, erwartet, plant, hofft, fürchtet usw. Wie sich Dinge zufällig wenden, wie sie sich typischerweise wenden. Jane Austen kommt damit dem Menschlichen näher als oberflächliche Literatur. Bei aller britischen Förmlichkeit zeigt sich doch das allzu menschlich Menschliche überall, das auch heute noch unverändert überall bei jedem in der ein oder anderen Weise zu beobachten ist. Wenn man Lebenserfahrung hat, kann man sagen: So ist es. Wenn man sie noch vor sich hat, kann man noch etwas lernen.

Fast schon philosophisch wertvoll ist die dramatische Wendung im Zentrum der Geschichte: Die Erkenntnis von Eliza, wie sie sich gründlich irrte, und ihre Bestürzung darüber. Man kennt die Welt nicht, solange man sich nicht bodenlos geirrt hat. Erst dies verschafft die richtige Skepsis und das tiefere Nachspüren.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 01. März 2012)

E.T.A. Hoffmann: Der goldene Topf (1814)

Skurriler und phantastischer Klassiker der Romantik – Großartiger Kunstmythos

Die Geschichte beginnt grau in grau im Dresden der Gegenwart (1814), doch nach und nach schleichen sich skurrile und phantastische Elemente in die Geschichte ein, die fast schon psychedelischen Charakter haben. Die Übergänge sind fließend und der Text ist voller Symbole, Anspielungen und Rückbezüge, so dass die Lektüre den Leser in eine reichlich seltsame Welt versetzt, in der er sich erst zurechtfinden muss. Auch das Aufeinandertreffen von skurrilen und läppischen Aspekten mit phantastischen und erhabenen Momenten trägt zur einzigartigen Atmosphäre dieser Geschichte bei. Ebenso die Sprache, die zunächst umständlich altertümlich erscheint, dann aber als stilistisch durchgearbeitet erkennbar wird, bis man sich zum Ende hin daran gewöhnt hat und sich gar nicht mehr vorstellen kann, dass diese großartig-phantastische Erzählung in einer anderen Sprache hätte geschrieben werden können.

Die Handlung: Der Student Anselmus wird durch den Archivarius Lindhorst und durch die Liebe zu dessen Tochter Serpentina in die Wunderwelt der Poesie eingeführt, das hier als eigenständige Parallelwelt zur wirklichen Welt gestaltet ist. Ihnen gegenüber stehen die spießigen Philister, der Konrektor Paulmann mit seiner Tochter Viktoria, die unbedingt einen Hofrat heiraten möchte, sowie der Registrator Heerbrand. Es zeigt sich, dass der Archivarius Lindhorst einst aus dem Wunderreich der Poesie verbannt wurde, weil er den Funken des Gedankens in die Welt brachte, womit er die geliebte Lilie im Garten des Zauberreiches der Poesie verdarb, und erst zurückkehren kann, wenn er seine drei Töchter an poetisch gesinnte Jünglinge verheiratet haben wird. Jede Tochter bringt als Mitgift eine goldenen Topf mit in die Ehe, aus dem dann wieder eine Lilie erwächst. Derweilen trägt Lindhorst in dieser Welt einen Kampf mit dem sogenannten Äpfelweib aus, einer Hexe, die junge Leute vom Zugang ins Reich der Poesie abhalten möchte. Anselmus gerät zwischen die Fronten und muss sich entscheiden. Am Ende steht der Eingang und die endgültige Rückkehr ins Wunderreich der Poesie, wo alle Wesen im Einklang mit der Natur leben.

Ziel des Werkes ist es, die Wunderwelt der Poesie als einer Welt von eigenem Recht neben der schnöden Wirklichkeit darzustellen, die Abkehr von der einen und die Rückkehr zur anderen Welt zu propagieren, und die Spießer in ihrer Blindheit für das Schöne und Wahre kenntlich zu machen.

Der Text wird vom Autor selbst ein Märchen genannt, und die moderne Literaturwissenschaft spricht von einem Kunstmärchen. Doch ist diese Bezeichnung unzutreffend. Schließlich will der Text den Leser davon überzeugen, dass es tatsächlich eine dichterische Parallelwelt gibt, die ebenso Wirklichkeit für sich beanspruchen kann wie die Wirklichkeit der Philister. Dieser Anspruch bezieht sich natürlich selbstreflexiv auch auf den Text selbst, der das behauptet. Beweisbar ist das natürlich nicht, und die Wunderwelt wird reichlich mit dichterischer Phantasie ausgeschmückt. Aber das ist in diesem Fall kein Gegenargument, denn gerade das ist es ja, was die behauptete Parallelwelt ausmacht. Kurz: Hier liegt das Prinzip eines erdichteten „Platonischen Mythos“ vor, der mehr als eine bildhafte Allegorie ein tatsächlich Wahres darstellen will, aber nicht mit Argumenten und Belegen aufwartet, und die Wahrheit des Behaupteten letztlich offen lässt. Es ist also in Wahrheit kein Märchen, sondern ein Platonischer Kunstmythos.

Kritik

Zentrales Problem ist die scharfe Abgrenzung des Reiches der Poesie von dieser Welt. Die hohe Kunst wäre es gewesen, Wirklichkeit und Poesie zu einer Synthese zu bringen. Doch das Gegenteil geschieht. Damit verfehlt E.T.A. Hoffmann beides, die Poesie und die Wirklichkeit. Denn hier wird das Reich der Poesie zu einer weltfremden Zufluchtsstätte, in die sich der Poet flüchtet, statt sich der Realität zu stellen. Und zugleich wird der Realität jede Fähigkeit zur Poesie abgesprochen.

Das wird auch in der Darstellung der spießigen Philister deutlich. Ein Kennzeichen des Philistertums bei E.T.A. Hoffmann sind ihre Lateinkenntnisse, und dass sie Ciceros „De Officiis“ lesen. Damit wird aber die humanistische Bildung und die Philosophie verspottet. Doch ist es nicht gerade die humanistische Bildung und die Philosophie, auf deren Grundlage die Synthese von schnöder Realität und Poesie am ehesten gelingen kann? Die Verherrlichung des „kindlich poetischen“, „kindlich frommen“ Gemütes, verstanden als Gegensatz zur „sogenannten Weltbildung“ des „entarteten Menschengeschlechtes“ ist jedenfalls eine grob verfehlte Vorstellung von gelungener Menschenbildung. Beides zu synthethisieren, ohne dass das eine oder das andere zu kurz kommt, wäre die Kunst.

Ebenfalls kritikwürdig ist die Vorstellung von der höchsten Erkenntnis als dem „Innersten der Natur“, dem „tiefsten Geheimnis der Natur“, nämlich des „heiligen Einklangs aller Wesen“. Denn wieso gerade die Natur? Wenn es um den Einklang mit sich selbst gegangen wäre, was bereits ein hoher Anspruch ist, oder um den Einklang der Menschen untereinander, wäre das Anspruch genug, ohne gleich die ganze Natur einzubeziehen. Aber die Menschen werden zur Natur offenbar nicht dazugezählt. Ein Einklang mit der ganzen Natur ist also recht hoch gezielt. Zugleich ist Natur aber wieder zu wenig. Denn dieser pantheistische Einklang aller Wesen schreit geradezu nach einer Antwort auf die Frage nach einem gemeinsamen geistigen Bande, letztlich nach Gott. Aber zu solchen Fragestellungen dringt der Text nicht vor. Die Erkenntnis vom Einklang mit der Natur ist gewissermaßen eine seltsam blinde Erkenntnis, die sich mit diesem gefühlten Einklang begnügt, und dann nicht weiterdenkt und weiterfragt.

Hier wie bereits oben wird deutlich, dass die Rationalität dem spießigen Philistertum zugeordnet wird, während der Dichter sich in die reine Gefühligkeit flüchtet. Philosophie wird verspottet (Cicero) und das Wesen der Natur verabsolutiert und nicht hinterfragt. Der Funke des Gedankens gilt als verderblich, Vernunft und Gefühl sind hier Gegensätze. Schließlich wird vor allem auch die Welt der Menschen als Gegensatz zur Natur begriffen, obwohl die Menschen zweifelsohne Teil derselben sind. Damit haben wir so ziemlich alle Irrtümer beisammen, an denen die Romantik krankt.

Der humanistisch gebildete Klassiker Goethe kritisierte E.T.A. Hoffmann scharf, der gefährlich romantische Traumtänzer Karl Marx hingegen liebte ihn.

Fazit

Es ist trotzdem ein großartiges Werk, das mit seiner Phantastik und seiner Skurrilität einen ganz eigenen Charme entfaltet, und das insofern seine Berechtigung teilweise behält, als die Menschen leider tatsächlich überwiegend allein der „sogenannten Weltbildung“ zuneigen und tatsächlich ein „entartetes Menschengeschlecht“ sind, vor dem man sich nur allzu oft und allzu gerne in das Refugium des Geistes flüchtet. Auch wenn die Zuordnung von Vernunft und Gefühl zu diesen beiden Welten anders ist bzw. sein sollte, als dargestellt, und Flucht letztlich keine Lösung ist. Und was die poetischen, schwärmerischen, gefühligen Aspekte eines erhabenen geistigen Lebens anbelangt, so erinnert einen dieses Werk wohltuend an diese vernachlässigte Seite unseres Daseins. Man sollte allerdings nicht bei diesen Einseitigkeiten stehen bleiben.

Atlantis

Die phantastische Wunderwelt der Poesie wird von E.T.A. Hoffmann kurzerhand Atlantis genannt. Das verwundert, denn mit Platons Atlantis hat Hoffmanns phantastische Wunderwelt der Poesie rein gar nichts zu tun. Platons Atlantis spielt eine radikal andere Rolle als E.T.A. Hoffmanns Atlantis. Hier gibt es keinen tragfähigen Vergleichspunkt. Zudem dürfte Platon über die allzu freie Phantasie in Hoffmanns Zauberreich wenig erbaut gewesen sein, denn Platon wollte eine an die Rationalität gebundene Dichtung. Aber das nur am Rande.

Der Name Atlantis wird hier als bloße Chiffre für ein dichterisches Sehnsuchtsland benutzt, und das, obwohl zu Beginn des 19. Jahrhunderts Atlantis noch keineswegs gemeinhin als eine Erfindung galt. Es gab damals immer noch zahlreiche Wissenschaftler, die verschiedene Existenzhypothesen vertraten. Erst im Verlauf des 19. Jahrhunderts kippte die Meinung unter dem Eindruck neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse gegen die Existenz von Platons Atlantis.

Es wäre interessant nachzuvollziehen, wie E.T.A. Hoffmann dazu kam, den Namen Atlantis als eine Chiffre für ein Wunderland der Poesie zu benutzen, das als Parallelwelt gedacht ist. Wären andere Namen nicht näher gelegen, insbesondere z.B. Arkadien oder das Goldene Zeitalter? – Bekannt ist, dass E.T.A. Hoffmann durch die „Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft“ des romantischen Naturforschers Gotthilf Heinrich Schubert von 1808 beeinflusst war. Dort ist Atlantis im Sinne neuerer französischer Theorien ein Ort im hohen Norden, wo die Menschheit noch im Einklang mit der Natur gelebt haben soll. Allerdings ist das immer noch ein realer Ort. Schubert entnahm seine Thesen offenbar der 1781 von Michael Hißmann übersetzten „Neuen Welt- und Menschengeschichte“ von Delisle de Sales, wie sich an der Wortwahl zeigen lässt. – Eine weitere Möglichkeit wäre, dass E.T.A. Hoffmann Atlantis mit dem Adjektiv „verloren“ in Verbindung brachte, das auch damals vielfach durch die Literatur über Atlantis geisterte. Und bei Hoffmanns Reich der Poesie handelt es sich in der Tat um ein „verlorenes“ Reich, das es wiederzufinden gilt. – Eine sehr interessante Möglichkeit wäre eine direkte Reaktion auf den Göttinger Materialisten und Empiristen Michael Hißmann. Michael Hißmann hatte 1781 in seiner Übersetzung der „Neuen Welt- und Menschengeschichte“ eine sehr gehässige Darstellung von Platons Atlantis als einer bloßen Erfindung eingefügt, in der auffällig viele Worte Verwendung finden, die wir im „Goldenen Topf“ von E.T.A. Hoffmann so oder so ähnlich wieder antreffen, z.B. Atlantis als „Wunderwelt“ oder „Feenwelt“. Indem er orientalisch inspirierte Träumereien und Erdichtungen als „lächerlich und abgeschmackt“ verurteilte, handelte Hißmann gerade so wie die spießigen Philister in E.T.A. Hoffmanns „Goldenem Topf“, für die Poesie als „orientalischer Schwulst“ gilt. Und „die Träumereien über Platons Traum“ seien „weit erbärmlicher und unterträglicher“ als die Fabel selbst, meinte Hißmann. Hißmann entwarf zudem eine Theorie der schönen Künste und der Poesie, die sich ganz auf materialistische Antriebe stützte, und jede Schwärmerei verurteilte. Es scheint, als habe E.T.A. Hoffmann den „Goldenen Topf“ auch als eine Antwort auf diese Anschläge Hißmanns auf die dichterische Phantasie verfasst, denn er gestaltete sein poetisches Reich Atlantis präzise so, dass es jede Verurteilung und jeden Vorwurf von Hißmann aufgriff. Damit hätte das spießige Extremurteil des geistlosen Materialisten Hißmann die Überreaktion des dichterischen Phantasten Hoffmann provoziert. – Diese Thesen wären allerdings noch im Einzelnen nachzuweisen.

Jedenfalls hat E.T.A. Hoffmann durch die Wahl des Namens Atlantis für sein Wunderland der Poesie mit dazu beigetragen, Platons Atlantis in der allgemeinen Wahrnehmung den Ruf einer phantastischen und rein dichterisch zu verstehenden Welt zuzuschreiben. Das ist bedauerlich. So verwendete noch 1939 Hermann Rauschning in seinem Werk „Gespräche mit Hitler“ den Namen Atlantis in unmissverständlicher Anspielung an E.T.A. Hoffmann als Chiffre für alle möglichen Phantastereien. Manche haben Rauschnings Worte als Beleg dafür verstanden, dass die Nationalsozialisten an die Existenz von Atlantis glaubten – eine Deutung, die falscher nicht sein könnte.

Der goldene Topf

Der Titel des Werkes ist ein Missgriff. Der goldene Topf ist in diesem Kunstmythos nur eine phantastische Requisite neben anderen, seine Symbolik überflüssig oder mindestens nebensächlich. Die Geschichte hätte auch ganz ohne goldenen Topf funktioniert. Es ist nicht recht verständlich, warum der goldene Topf also den Titel der Erzählung ausmacht. „Das Wunderland Atlantis“ wäre ein sehr viel zutreffenderer Titel gewesen, oder auch „Wiederfindung des verlorenen Wunderlandes Atlantis“.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 01. August 2020)

Roger Willemsen, mit Volker Kriegel: Karneval der Tiere (2003)

Beiwerk zur Komposition „Karneval der Tiere“ von Camille Saint-Saëns

Die Dichtung „Karneval der Tiere“ von Roger Willemsen, mit Illustrationen von Volker Kriegel, ist als Beiwerk und Nebenprodukt zu dem bekannten Musikstück „Karneval der Tiere“ des Komponisten Camille Saint-Saëns zu verstehen, das 1886 uraufgeführt wurde. Die Komposition besteht aus mehreren kurzen Stücken zu verschiedenen Tieren. Tatsächlich hat Roger Willemsen auch eine CD produziert, in der er seine Dichtung in Kombination mit der Musik von Saint-Saëns präsentiert. Offenbar ist das Musikstück wegen seiner Lautmalerei sehr beliebt, denn auf Youtube findet man heute etliche Aufführungen mit und ohne den Texten von Roger Willemsen.

Literarisch ist diese Dichtung eher flach und auf Klamauk ausgelegt. Ein Tiefgang ist nicht zu erkennen. Insofern passt der Titel „Karneval“ bestens, denn mehr als karnevalesker Klaumauk wird nicht geboten. Das einzig erkennbare Thema sind Lampenfieber und Star-Allüren von Sängern hinter und vor der Bühne. Insofern erinnert es ein wenig an Kermit den Frosch aus der Muppet-Show und dessen ständige Probleme, die Show geordnet über die Bühne zu bringen. Auch die Musik von Saint-Saëns ist wohl eher leicht zu verstehen, weshalb Tiefgang auch gar nicht zu erwarten war. Auch die Zeichnungen von Volker Kriegel sind leicht und lustig: Mehr als das wollen und sollen sie auch nicht sein.

Zwei Jahre später wird Roger Willemsen eine ähnliche Dichtung in einem ähnlichen Stil verfassen, diesmal als ironisch nacherzählende Dichtung zum Werk Karl Mays. Doch durch die Themen Karl Mays bekommt die Dichtung eine ganz eigene Tiefe, und auch die Ironie und die Leichtigkeit bekommen dort plötzlich eine Fallhöhe, die sie im „Karneval der Tiere“ nicht hatten. Insofern könnte man „Karneval der Tiere“ als eine Vorübung für dieses spätere Werk begreifen, das von eigentlicher Bedeutung ist.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.

Pascal Mercier: Perlmanns Schweigen (1995)

Intellektuelle Scham, Peinlichkeit, Ängste literarisch glänzend verarbeitet

Pascal Mercier schreibt in seinen Büchern offenbar gerne über mehr oder weniger depressive Typen. In „Nachtzug nach Lissabon“ war es ein schwach depressiver Typ in der midlife crisis, der seine Krise aktiv und philosophisch bewältigt: Sehr sympathisch. In „Lea“ ist der Protagonist so depressiv, dass man sich mehrfach wünscht, er möge sich doch endlich umbringen, damit das schreckliche Buch ein Ende findet. Und in „Perlmanns Schweigen“ ist es nun ein mitteldepressiver Typ: Die Symptome der Depression sind noch nicht so stark ausgeprägt, dass man nicht in allem auch sich selbst erkennen könnte, doch sind sie wiederum doch so stark ausgeprägt, dass man sich aufs Ganze gesehen nicht mit ihm identifizieren kann.

Der Rote Faden des Buches kann als jenes Gefühl beschrieben werden, das wir alle vermutlich noch aus Schulzeiten kennen, wo wir typischerweise darunter litten, wenn wir unsere Hausaufgaben vergessen hatten: Man versucht krampfhaft, noch schnell etwas zu Papier zu bringen, oder man versucht, es zu vertuschen und hofft, nicht entdeckt zu werden, und in jedem Fall wäre es ganz schlimm und gewissermaßen der Weltuntergang, wenn es entdeckt würde! Die Reife, den Vorfall als Bagatelle abzutun und souverän, vielleicht sogar frech und erfolgreich durchzustehen, hat man als Schüler noch nicht entwickelt. Dieses Gefühl nun steht im Zentrum dieses Romans, in dem sich eine Handvoll Sprachwissenschaftler in einem Hotel nahe Genua versammelt, um einige Wochen an ihren Texten zu schreiben und sie sich gegenseitig zu präsentieren. Denn Perlmann ist blockiert, hat wie Goethes Faust die abgeschmackte Wissenschaft gründlich satt, und bringt keinen Text zustande.

Soweit ist es noch das Drama eines jeden Intellektuellen, und es gibt viele wertvolle Stücke dazu in diesem Buch. Allerdings steigert sich Perlmann in diese Gefühlslage derart hinein, dass man es nur mit einer gewissen Depressivität erklären kann, die Symptome sind klar: Perlmann kann sich aus der Enge seiner Ängste nicht lösen, er bezieht alles auf sich, misst Kleinigkeiten große Bedeutung bei, leidet unter radikalen Stimmungsschwankungen, zieht sich zurück. Gnadenlos wird Perlmann vom Autor durch alle Varianten peinlicher Momente und der Scham hindurch gejagt, die sich schicksalhaft aus einer anfänglichen Vertuschung zur Wahrung der Fassade ergeben, und immer mehr auftürmen und in sich verstricken. Man will es als Leser immer wieder nicht glauben, aber es kann immer noch schlimmer und noch peinlicher werden.

Der Leser erleidet bei der Lektüre zwei Arten von Scham: Einmal die direkte Scham, indem man mit Perlmann mitleidet. Dann aber schämt man sich auch deshalb für Perlmann, weil dieser es sich so unnötig schwer macht.

Folgende Themen werden anhand des roten Fadens entfaltet:

  • Die anderen sind wirklich andere. Das unüberwindliche Alleinsein mit sich. Fehleinschätzungen von anderen aus Selbstbezogenheit, Vorurteil.
  • Drama des Intellektuellen. Nutzlosigkeit des erworbenen Wissens, die Suche nach dem wirklichen Leben. Wettbewerb mit anderen Intellektuellen.
  • Unwillkürliche Handlungen, die man sich nachträglich zu eigen macht. Die emotionale Unfähigkeit, einen Entschluss auszuführen
  • Mechanisches aber erstaunlich erfolgreiches Reagieren auf Erwartungshaltungen anderer. Nachträgliche Übernahme von Fremdinterpretationen eigenen Handelns im Sinne der Erwartungshaltung anderer. Was ist am Ende der wirkliche eigene Wille?
  • Verhältnis zur Zeit, Zeitgefühl: Leben in und aus Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.
  • Erinnerung und eigene Identität als Selbstkonstruktion.
  • u.v.a.m.

Der zweite Rote Faden des Buches ist ein russisches Manuskript zum Thema Erinnerung, das Perlmann im Laufe des Buches übersetzt, anstatt an seinem eigentlichen Text zu arbeiten. Was dieses Manuskript theoretisch refklektiert, erlebt Perlmann im Laufe des Buches dann auch praktisch.

Das Buch ist sehr gut geschrieben und literarisch stark, aber es kostet den Leser einiges und kann sich endlos ziehen: Zum einen, weil das Thema anstrengend ist, man muss als Leser viele peinliche Momente im Geiste mitgehen. Zum anderen, weil der Autor das Thema wirklich bis zum Exzess durchexerziert. Die ersten 100 Seiten fragt man sich, was das Buch eigentlich soll, dann erkennt man das Schema, dass Perlmann sich Sorgen macht, aber immer unbegründet. Mit den zwei unerwarteten Besuchern verkompliziert sich die Situation dann und eskaliert, der Leser reagiert gereizt. Die Leselust sinkt. Die Fahrt vom Flughafen zum Hotel ist ein Horror-Trip auch für den Leser, man ist froh, wenn man das hinter sich hat. Dann bald die Erlösung, wiederum auch für den Leser: Mestre non è brutta. Ab diesem Moment saugt das Buch den Leser regelrecht in sich hinein, denn die Katastrophe ist abgewendet, und es ist nun fast schon wieder vergnüglich zu sehen, wie sich die peinlichen Momente nun auf raffinierte Weise immer dichter fügen und die aufgestauten Verwicklungen Stück um Stück abgewickelt werden.

Dabei gibt es einige Szenen, die wohl unvergessen bleiben werden und für die Leser klassisch werden könnten:

  • Perlmann konfrontiert Millar mit der Musik-CD, die dessen Irrtum entlarvt („Trouvaille“).
  • Die Autofahrt von Genua zum Hotel mit Leskov.
  • Mestre non e brutta. Welch eine Erlösung auch für den Leser des Buches!
  • Der Irre mit dem Umschlag.
  • Ein furioses Klaviersolo.
  • Die wohlkonstruierte Kaskade der Peinlichkeiten zum Ende hin.

Leider hat das Buch kein Happy End, Perlmann erlebt keine Katharsis und verarbeitet seine Probleme nicht konstruktiv, vielmehr sieht man ihn auch am Ende in der ewigen Wiederholungsschleife seines inneren Hamsterrades: Die Depression hat sich während des Buches zweifelsohne von einem mittleren zu einem schwereren Grad entwickelt. Perlmann zerbricht offenbar an seiner Schuld, die er in seinem Wahn auf sich geladen hat. Ein „schönes“ Buch ist es nicht – aber ein „gekonntes“.

Für das literarisch Meisterhafte und das allgemein Menschliche, das in allem zu erkennen ist, lohnt es sich, dieses Buch zu lesen, aber selten hat man als Leser so an einem Buch gelitten. Es ist kein Muss.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 21. Juli 2012)

Robert Bolt, Fred Zinnemann: Ein Mann zu jeder Jahreszeit (Film, 1966)

Passiver Widerstand aus Gewissensgründen glaubwürdig dargestellt

Der Film schildert eindrucksvoll, wie Thomas Morus versucht, den Anforderungen der Obrigkeit einfach aus dem Weg zu gehen und sie nicht zu reizen. Thomas Morus ist kein Held vom billigen Format, der die Gefahr sucht. Aber die Obrigkeit wird gerade durch dieses Verhalten dazu gereizt, ihn herauszufordern, von ihm Bestätigung zu verlangen, ihn Schritt um Schritt in die Enge zu drängen, um ihn zu unterwerfen. Ähnliches hörte man schon von DDR-Dissidenten: Wenn der Staat sie einfach in Ruhe gelassen hätte, wären sie gar keine Dissidenten geworden.

Es ist auch treffend dargestellt, wie Morus sich bewusst von seinen Freunden distanziert, um sie nicht ins Schlamassel mit hineinzuziehen. Es ist gut zu sehen, wie die Menschen um Morus von ihm Abstand nehmen, ihn sogar verraten oder persönliche Rache nehmen. Man sieht, wie schwer es ist, einen Standpunkt gegen die herrschende Meinung einzunehmen, welche sozialen Mechanismen plötzlich greifen und zu wirken beginnen, um den Dissidenten zu isolieren und zu zerstören.

Und es ist gut zu sehen, wie die Macht unter dem Deckmantel der Galanterie plump und brutal ist, im Gegensatz zur Tochter von Morus, die gebildet und feinsinnig ist.

Das alles ist kein Historienfilm, der eine historische Begebenheit dröge ableiert. Das ist ein Menschheitsdrama.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 11. Juli 2008)

Stephen Vizinczey: Wie ich lernte, die Frauen zu lieben (1966)

Ungewollte Satire: Egomanischer Womanizer verwechselt Erotik mit Liebe

In seinem halbautobiographischen Roman „Wie ich lernte, die Frauen zu lieben“ (Originaltitel: „In Praise of Older Women“) beschreibt Stephen Vizinczey, wie ein Jugendlicher die „Geheimnisse“ der „Liebe“ lernt und dann als Erwachsener reihenweise Frauen von verschiedenstem Charakter „liebt“. Dabei wird in Tat und Theorie der „Liebe“ so dick aufgetragen, dass man manchmal meint, es handele sich um eine Satire. Doch es ist keine Satire, der satirische Effekt schwingt ungewollt mit und wird nirgends vom Autor aufgegriffen und zu echter Satire gemacht. Das Buch wird auch nicht als Satire verstanden. Es gilt als „Meisterwerk“ und „moderner Klassiker“, gewann Preise und wurde verfilmt, und ist bis heute ein internationaler Bestseller. Ein gewisser Arno Widmann nannte es laut Cover sogar „eines der weisesten Bücher der Weltliteratur“. Nun ja. Damit ist es eine ungewollte Satire auf einen egomanischen Womanizer, der sich für aufgeklärt, frauenfreundlich und erfahren in der „Liebe“ hält, ohne zu erkennen, wie er an der Liebe und den Menschen vorbei lebt.

Nur Erotik statt Liebe

Der Autor (oder sein Protagonist Andras Vajda) verwechselt systematisch Liebe mit Erotik. Nichts gegen erotische Anziehung! Und nichts gegen die Gabe, „mit Frauen umgehen“ zu können. Und auch keine grundsätzlichen Bedenken gegen Sex ohne formale eheliche Bande. – Aber eine erotische Zuneigung ist nun einmal noch keine Liebe, auch wenn das Wort „Liebe“ ständig dafür benutzt wird. Eine erotische Beziehung ist, wie das Buch korrekt wiedergibt, eine oft recht kurze und erstaunlich umstandslos wieder beendete Beziehung. Die Beziehungen in diesem Buch werden denn auch auf einer rein emotionalen Ebene geschlossen, eben der erotischen Ebene. Wie das Buch korrekt wiedergibt, ist die Entscheidung für oder wider eine solche Beziehung oft schon gefallen, bevor das erste Wort zwischen den Partnern gesprochen ist. Mehrfach heißt es, der Protagonist habe spontan „beschlossen“, mit einer Frau, die er gerade erst kennengelernt hat, zu schlafen. Sieht so Liebe aus? Es ist fast schon zum Lachen, wenn es heißt, der Protagonist habe die „Liebe“ im Bett gelernt (S. 236), und zum selben Ereignis: „Mit ihr war die Liebe eine Vereinigung, keine Selbstbefriedigung zweier Fremder im selben Bett“ (S. 97). Die Frau, in deren Bett der Protagonist die „Liebe“ als „Vereinigung“ lernte, war eine verheiratete Nachbarin, deutlich älter als er, sie machte sich nichts daraus, dass der Protagonist zwischendurch auch ihre Cousine flachlegte, und irgendwann später beendete sie die Beziehung abrupt und geschäftsmäßig, als sie einen anderen Liebhaber gefunden hatte. Später dann trifft der Protagonist auf eine frigide Frau, die sich über die Sexbesessenheit der Männer beklagt – und prompt ist der Protagonist ernsthaft gekränkt, als ihm bescheinigt wird, er sei nicht sexbesessen (S. 240 f.).

Moralisch verwirrt

Es ist leider nicht mehr zum lachen, wenn es ausgerechnet in bezug auf die Verkuppelung von US-Soldaten mit Flüchtlingsfrauen, die sich aus purer Not selbst prostituieren mussten, heißt: „Meine erste Erkenntis dank dieser abenteuerlichen Beschäftigung war, dass die meisten moralischen Ansichten über Sex keinerlei Bezug zur Wirklichkeit hatten.“ (S. 34) Ausgerechnet eine Notsituation dafür zu benutzen, die Maßstäbe der Moral zu bestimmen, ist höchst irrig – und geschmacklos. Warum eine dieser Flüchtlingsfrauen es strikt ablehnte, dass sich ihre 18jährige Tochter ebenfalls prostituierte, kann der Protagonist mit seiner beschränkten Weltsicht jedenfalls nicht erklären. Auch bietet er keine Erklärung dafür an, warum eine seiner Liebhaberinnen meinte: „wenn … meine Töchter von uns erfahren, bringe ich Dich um!“ (S. 296). Warum sollten denn die Töchter nichts von ihnen erfahren, wenn es doch moralisch unbedenklich ist? Auch bleibt völlig unverständlich, warum der Protagonist es für „sexistisch“ hält, wenn Medizinstudenten ihren Kommilitoninnen anbieten, sie von der „Krankheit der Jungfräulichkeit“ zu kurieren; völlig isoliert vom Rest des Buches wird plötzlich von – sic! – „Rücksicht“ auf Gefühle und – sic! – „moralische Prinzipien“ gesprochen. (S. 165 f.). Für eine solche Aussage bietet das Buch keine Grundlage, der Protagonist kommt hier in erhebliche Selbstwidersprüche. Auch liest man nichts darüber, warum die verschiedenen Freundinnen, die der Protagonist gleichzeitig hat, besser nichts voneinander erfahren dürfen (S. 288 ff.). Der Protagonist des Buches verschwendet keinen Gedanken daran, ob es klug und gut ist, in eine intakte Ehe einzubrechen; oder die verheiratete Mutter von Kindern zu „vögeln“; oder zwischendurch eben schnell die Cousine der derzeitigen Liebhaberin. Dass die Beziehungen zwischen Liebenden, zwischen Eltern und Kindern, auch zwischen Cousinen einen höheren Wert darstellen könnten, den für das kurze Vergnügen einer erotischen Beziehung zu opfern unklug und maßlos sein könnte, ist ein Gedanke, der in diesem Buch nicht vorkommt. Dass leichthin verletzte Gefühle auf dem Gebiet von Liebe und Sexualität zu ungeahnten Gefühlsdramen bis hin zu Mord und Totschlag führen könnten, ist dem Protagonisten fremd. Kurz, der Protagonist des Buches ist moralisch verwirrt.

Extremurteil über konservatives Denken

Dennoch ist der Protagonist unerschüttert in seinem Vorurteil über Konservative, und findet Bestätigung in der einzig konservativen Person, die ihm begegnet: Der tatsächlich dummen Cousine einer Liebhaberin, die sich ihm emotional überwunden hingibt, obwohl sie ihn auf rationaler Ebene für unmoralisch hält. Aber man hat nicht deshalb Recht, weil ein Vertreter der Gegenmeinung dümmer ist als man selbst. Schließlich begeht der Protagonist Ehebruch mit einer Frau, die emotional stark hin und her schwankt, ob sie dies zum ersten Mal in ihrem Leben tun sollte, und erklärt hinterher eiskalt zu ihren Bedenken: „Verstehe. Du glaubst zwar nicht mehr an Sünde, aber der Gedanke daran macht dir trotzdem zu schaffen, sozusagen aus Gewohnheit.“ (S. 284) – Wie wenn Moral und Gewissen restlos verschwinden würden und keine Begründung mehr hätten, wenn der christliche Glaube geschwunden ist! Um so zu denken muss man schon sehr dumm sein. Eine innere, wahrhaft liebende Beziehung zwischen Partnern, aufgrund von geteilten Lebenserfahrungen, Interessen, Weltanschauungen, gemeinsamen Kindern, politischen Zielen oder was immer sonst einen Menschen tief im Inneren antreibt, gibt es nach Meinung des Protagonisten offenbar nicht, sondern ist seiner Meinung nach wohl eine Illusion von Stockkonservativen, die er einfach für dumm und unaufgeklärt hält, wie die besagte Cousine. Einzig zugute halten möchte man dem Protagonisten, dass Konservative damals noch „strenger“ und eine Ehe damals noch „fesselnder“ war als heute, aber viel Verständnis und Nachsicht lässt sich aus diesen Umständen für die grundlegenden Irrtümer nicht ableiten.

Oberflächlicher Charakter

Der ganze Lebenssinn wird in diesem Buch auf einen guten Fick mit wem auch immer reduziert. Sogar die Selbstbefriedigung wird präzise deshalb gegeißelt, weil man statt dessen doch lieber mit irgend einer Frau geschlafen hätte, welche ist dabei nicht so wichtig. Der Protagonist kommt nicht auf die Idee, eine Liebesbeziehung anzustreben, in der er sich selbst als diejenige Person angenommen fühlen kann, die er ganz allein ist. Der tiefere Grund dafür könnte sein, dass der Protagonist ein 08/15-Mensch ist, ein austauschbarer, oberflächlicher Charakter, der sich natürlich leicht damit tut, sich mit anderen austauschbaren Charakteren auszutauschen (oder mit tieferen Charakteren, falls diese vorübergehend keine Tiefe wünschen). Ein austauschbarer Charakter also, der gar keine tiefere Beziehung zu einem anderen Menschen aufbauen kann, weil er keine eigene Tiefe hat, und der auch kein Bedürfnis nach einem „inneren Kreis“ von Vertrautheit hat, weil er in seiner Austauschbarkeit und Oberflächlichkeit kein Bedürfnis nach Schutz von etwas Eigenem vor dem öffentlichen Schwachsinn hat. Der öffentliche Schwachsinn gilt einem solchen Menschen vielmehr als das Richtige, Normale und Gute; das ist seine Ebene, auf der er sich mit anderen trifft. Und hier hat auch das Leitthema des Buches seinen Platz: Die Erfahrung des Protagonisten, dass er mit gleichaltrigen jungen Mädchen nichts anfangen konnte, weil diese zickig sind, weshalb er auf ältere Frauen auswich. Kann man nicht wenigstens das nachempfinden? Nein. Denn auch unter den Gleichaltrigen gibt es immer Einzelne, die schon als junge Menschen vernünftig sind – aber das sind eben die mit Charakter. Dass die oberflächlichen Zicken erst im mittleren Alter genießbar werden, das will man gerne glauben, aber damit verrät sich der Protagonist in seiner Oberflächlichkeit einmal mehr selbst. Die Maxime der Philosophie, sich selbst zu erkennen, verwirft er denn auch, weil er darüber nur gemeiner und dümmer werden würde, wie er selbst sagt (S. 236). Vielleicht wird er dadurch aber gar nicht gemeiner und dümmer, sondern erkennt nur, dass er eben dieses ist?

Ungarn

Nebenbei wird auch noch ein wenig über die Geschichte Ungarns und das Schicksal der Flüchtlinge von 1956 erzählt. Das ist fast noch das wertvollste an diesem Buch, aber es ist nicht eben viel.

Fazit

Für viele Menschen, die sich für gebildet und aufgeklärt halten, ohne dass sie es sind, scheint dieses Buch ein Ideal von sexueller Freizügigkeit zu repräsentieren; in Wahrheit ist es jedoch eine ungewollte Satire auf maßlose sexuelle Enthemmung. Leider sind die meisten Menschen entweder maßlos enthemmt oder maßlos verklemmt, und feiern damit in ihren jeweiligen Milieus Erfolge – nur wenige sind klug und maßvoll, und müssen damit auf der Hut sein, um nicht unter die Räder der kleinen und großen Meinungsführer zu geraten, die es überall gibt. Kurz: Ein schlechtes Buch.

Bewertung: 1 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon mit einigen sprachlichen Glättungen am 18. März 2013)

Ernst Bertram: Vineta (2023)

Dunkle Gedichte von einem dunklen Autor, etwas dunkel präsentiert

Der im Castrum-Verlag erschienene Band „Vineta“ versammelt Gedichte aus den letzten Lebensjahren des Kölner Germanisten Ernst Bertram (1884-1957). Ernst Bertram war – auch durch seine Homoerotik – stark vom George-Kreis beeinflusst und stand ganz im Banne Nietzsches. Damit war er einer dunklen Romantik zugeneigt, die die Helligkeit der Vernunft nicht kennt. Seine langjährige Freundschaft mit Thomas Mann, die zu einem umfangreichen Briefwechsel führte, änderte daran nichts.

Ernst Bertram begrüßte 1933 den Anbruch des Nationalsozialismus in einer Rede gegenüber seinen Studenten, und er beteiligte sich auch an der Verbrennung von Büchern. Dass er vom Nationalsozialismus bald enttäuscht wurde und auch die Bücherverbrennung unter Protest verließ, als er nicht verhindern konnte, dass auch die Bücher von Thomas Mann verbrannt wurden, ändert nichts an seiner antihumanistischen Einstellung, die klar zum Ausdruck kommt. Manche möchten Ernst Bertram seine Naivität zugute halten. Doch soviel Naivität ist bei einem Gelehrten nicht erlaubt. Ernst Bertram war nationalsozialistisch gesinnt, wenn auch auf naive Weise. Ein Mitglied der NSDAP war er nicht.

Die Gedichte haben die legendäre Stadt Vineta, die einst in der Ostsee versank, zum Thema. Vineta dient dabei als dichterische Chiffre für Untergang und Verlust, es geht nicht um das historische Vineta. Die dunkle Romantik Bertrams verklärt Untergang und Verlust und sucht darin eine Mahnung für die Gegenwart oder ein mystisches Versenken in ewiger Erinnerung. Die Gedichte sind oft pessimistisch: Der Untergang ist nicht aufzuhalten, sondern schicksalhaft und unvermeidlich. Die meisten bemerken den Beginn des Untergangs nicht und schlagen Warnungen in den Wind, und für Gegenwehr ist es immer zu spät, sobald man den Untergang bemerkt. Ergebenheit in das Schicksal ist ein Thema. Musik ist immer wieder Medium der Ewigkeit.

Das versunkene Vineta hatte für Ernst Bertram einen ähnlichen Stellenwert wie der Hades für die alten Griechen: Ein Ort der Schatten und der unendlichen Verlorenheit. Ein Verdacht von Nekrophilie liegt in der Luft, Zuversicht findet sich nirgends. Als humanistisch eingestellter Mensch kann man nur wenig aus diesen Gedichten mitnehmen.

Atlantis wird als eine weitere Chiffre für Untergang und Verlust verwendet: Vineta ist das „Atlantis des Nords“. An keiner Stelle wird der Gedanke an Atlantis als einen realen Ort auch nur angedeutet. Es ist alles Chiffre und dichterische Phantasie. Auch das Adjektiv „atlanten“ wird verwendet, als poetische Form von „atlantisch“.

Konrad Adam gibt in einem Nachwort seinen persönlichen Erinnerungen an Ernst Bertram Raum. Offenbar wurde Konrad Adam als Kind – er war 15 als Bertram starb – von Ernst Bertram ein wenig unter die Fittiche genommen: Bertram schenkte ihm Bücher mit Widmungen und sie gingen gemeinsam ins Museum. Wie dieses Verhältnis zustande kam und wie es genau aussah, wird jedoch nicht gesagt. Das ist ein Manko. Man kann vermuten, dass Konrad Adam, dessen Vater mit dem George-Kreis in Berührung war, durch diesen in Kontakt mit Bertram kam. Aus anderen Quellen erfährt man, dass Konrad Adams Vater Ernst Bertram bei dessen Entnazifizierungsprozess half. Man fragt sich, warum Konrad Adam das nicht klarstellt. Ebenso bringt Konrad Adam nicht deutlich genug zum Ausdruck, dass Ernst Bertram ernstlich mit dem Nationalsozialismus verstrickt war.

Fazit

Ein dunkles Buch, von einem dunklen Dichter, auf eine etwas dunkle Weise herausgegeben.

Fehler

Eines der Gedichte heißt „Ankona“. Der Name wird im Gedicht mehrfach wiederholt. Es handelt sich um einen Fehler, es müsste „Arkona“ heißen. Ancona ist eine Stadt in Italien. Arkona hingegen ist der nördlichste Punkt der Insel Rügen, wo auf Kreideklippen einst ein heidnischer Tempel für die Gottheit Swantewit stand, um den es in dem Gedicht offensichtlich geht.

Bewertung: 2 von 5 Sternen.

Erasmus von Rotterdam: Lob der Torheit (1511)

Rundumschlag quer durchs Leben, gelungen und doch irreführend

Erasmus lässt die personifizierte Torheit eine Lobrede auf sich selbst halten. Versteckt hinter der Maske der Torheit und der Ironie kann Erasmus die Fehler der großen und kleinen Leute durchsprechen. Teilweise ist das anregend und witzig und auch für die heutige Zeit oft gut getroffen.

Teilweise ist es aber auch sehr unübersichtlich: Dummheit als Hauptthema einer Arbeit eröffnet ein viel zu weites Feld, als dass noch ein gemeinsames Band hinter allem zum Vorschein käme.

Teilweise ist es auch irreführend. Die Torheit redet teils so überzeugend und doppelt-ironisch, dass der Leser an manchen Stellen wirklich nicht mehr wissen kann, was Erasmus nun selbst ernst meint, und was er nur ironisch meint. Weniger gebildete Leser werden so manchen Rat der Torheit ernst nehmen und ihn entweder als Provokation empfinden oder sogar gutheißen! Das zynische Klischee des Weisen, der am Leben vorbeilebt und von den Frauen verschmäht wird, das Klischee von den Frauen, für die man sich zum lächerlichen Narren machen müsse, um sie zu gewinnen, das Klischee vom erfolgreichen Toren und dem erfolglosen Weisen (leidvolle Erfahrungen von Erasmus?): Sie sind wenig hilfreich und polarisieren die Leser, statt zu differenzieren.

Teilweise ist so manches, was die Torheit als Torheit hinstellt, in Wahrheit gar nicht töricht, wodurch das Werk schiefe und halbwahre Aussagen trifft. Witz, Ironie und Höflichkeit als Dummheiten hinzustellen, ohne die die Welt nicht funktionieren würde, ist irrig. Ebenso irrig ist es, das „Ich weiß dass ich nichts weiß“ des Sokrates für töricht zu halten.

Gegen Ende des Werkes kommt Erasmus auf die Vernunftlogik des Glaubens zu sprechen, die in den Augen der Nichtgläubigen Torheit ist (Paulus: Wir sind Narren um Christi willen; Gott lässt die Weisheit der Weisen zuschanden werden und offenbart sich in Torheit). Dass die Worte des Paulus nicht vernunftfeindlich gemeint sind, sondern lediglich besagen, dass man mit derselben Vernunft zu anderen Schlüssen kommt, wenn man von anderen Voraussetzungen ausgeht (Jesus lebt, oder eben auch nicht), kommt nicht zum Ausdruck. Die Verwirrung zwischen Torheit und Vernunft ist perfekt.

Der eigentliche Wert des Werkes liegt vermutlich weniger in dieser oder jener Aussage, sondern in der Provokation selbst. Diese ist zweifelsohne in mehrfacher Hinsicht gelungen. Die Frage ist, ob Erasmus es mit der Provokation nicht übertrieben hat, und wohin die Provokation führen soll, da es doch teilweise an Klarheit mangelt. Unter diesem Gesichtspunkt verliert das Werk stark an Wert. Das „Lob der Torheit“ ist ein Querschläger, der schief und krumm in der Landschaft herumsteht, und viel Nebel verbreitet. Auch die heutigen Interpreten sind sich nicht völlig einig darin, was Erasmus eigentlich wollte, jeder sieht es wieder ein wenig anders.

Teilweise ist der Mangel an Klarheit auch dem Umstand geschuldet, dass Erasmus mit diesem Werk die politische Korrektheit seiner Zeit unterlief und unter der Maske der Torheit Dinge aussprach, die man nicht ungestraft sagen konnte. Erasmus soll durch dieses Büchlein das Aufbrechen von Tabus gelungen sein, so dass er als Wegbereiter der Reformation gilt.

Es finden sich interessante Reformgedanken zum Christentum, bis hin zu historisch-kritischen Denkweisen: Zum einen in der Feststellung, dass die Apostel einst kaum über das theologisch spitzfindige Wissen der Theologen aus Erasmus‘ Zeit verfügt haben werden, und was für einen Sinn es dann haben sollte? Zum anderen z.B. in der Feststellung, dass auch der Apostel Paulus die Altarinschrift für den unbekannten Gott in Athen zu seinen Gunsten zurechtbog. Beides erstaunliche Gedanken, die das scholastische Christentum massiv hinterfragen.

Die Anzahl der antiken Anekdoten, die Erasmus einbaut, ist erstaunlich. Die Interpreten sagen, die Torheit würde mit ihnen nur so um sich werfen, weil sie selbst sage, dass die Toren mit Zitaten nur so um sich werfen. Aber gleichzeitig kann Erasmus so seine Belesenheit beweisen, ohne selbst als töricht zu gelten.

Fazit

Eine geschickte und wirkmächtige, aber leider auch teils undurchsichtige Provokation, die das mittelalterliche Denken ordentlich durchschüttelte und bis an seine Grenzen in Richtung der Moderne dehnte. Nebenbei auch mancher Ratschlag, manche Einsicht der Lebensklugheit und Menschenkenntnis, die auch heute noch von Wert ist.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 11. Januar 2014)

« Ältere Beiträge