
Eine persönliche Aufarbeitung, die in die Irre führt
Dies ist leider kein gutes Buch geworden. Es ist grundsätzlich legitim und zu begrüßen, wenn Angehörige von NS-Verbrechern ihre Familiengeschichte aufarbeiten und daraufhin befragen, was in der Familie falsch gelaufen ist. Aber wenn sich eine solche persönliche Aufarbeitung ohne gute Belege in direkten Widerspruch zur Geschichtsforschung setzt, wird es sehr problematisch. Denn dann entsteht der falsche Eindruck, hier würde jemand als Familienangehöriger aus erster Hand und authentisch berichten – was aber nicht der Fall ist, denn die Autorin ist nur eine späte Verwandte, die genauso wie jeder Historiker auf Quellen angewiesen ist. Sie hat als Verwandte keinen Erkenntnisvorsprung und kein Erkenntnisprivileg.
Zentral ist die Frage nach dem Vater von Heinrich Himmler.
Spätestens seit dem Buch „Der Vater eines Mörders“ von Alfred Andersch steht die Frage im Raum, ob Heinrich Himmler wegen seines Vaters zum Mörder wurde. Bei Alfred Andersch wird die Schuld in dem autoritären Wesen und – hanebüchen – in der klassisch-humanistischen Bildung des Vaters gesehen. Erstaunlicherweise wird das Buch von Alfred Andersch und die sich daran anknüpfende Kontroverse nirgendwo erwähnt. Nur in einer Bildunterschrift im Bildteil (ohne Seitenzahl) kommt es dann doch vor. Das allein ist schon sehr seltsam.
Ohne auf Alfred Andersch einzugehen, wird die Frage zudem allzu kurz und auf seltsame Weise abgehandelt. Auf S. 105 wird in wenigen Zeilen ausgeführt, dass es zu der Zeit, als sich Heinrich Himmler in der NSDAP engagierte, zwischen Vater und Sohn Himmler „erregte Gespräche“ über Politik gab. Es wird die Vermutung (!) geäußert, dass es dabei um ein Thema ging, „das ihnen allen am Herzen lag: die ersehnte nationale Wiedergeburt und Größe Deutschlands.“ Diese Aussagen führen den Leser völlig in die Irre. Denn in Wahrheit werden es Streitgespräche gewesen sein!
In Wahrheit hat die Geschichtsforschung klar herausgearbeitet (und sogar Alfred Andersch schreibt davon), dass Vater Himmler keineswegs glücklich damit war, dass Sohn Heinrich sich der NSDAP angeschlossen hatte. Davon schreibt auch die Autorin – aber nur im kleingedruckten Anmerkungsteil auf S. 311! Dort spricht die Autorin dann aus, was sie im Buchtext unterschlägt (wo es aber hingehört hätte): Dass die Eltern ihren Sohn als „verlorenen Sohn“ ansahen, und dass Heinrich Himmler bei den Eltern als „Versager“ galt, weil er sich der NSDAP angeschlossen hatte. Solches kann man sogar bei Alfred Andersch nachlesen. Aber die Autorin setzt sich über die Forschung kurzerhand hinweg, indem sie meint, die bloße Tatsache, dass Heinrich Himmler immer noch die Familie besuchte, zeige das Gegenteil. Außerdem habe Heinrich Himmler „begeisterte Zusprüche und Ermunterungen“ für sein nationalsozialistisches Engagement von der Familie bekommen. – Von seinem Vater jedenfalls sicher nicht, und darauf kommt es an! Und warum diese zentrale Diskussion nur im Kleingedruckten?!
Dieses Buch versucht die schwarze Legende, die duch das Buch von Alfred Andersch in die Welt kam, dass Heinrich Himmler durch seinen Vater zum Mörder wurde, noch schwärzer zu malen als ohnehin schon. Dieses Buch konstruiert den Vater nicht nur als autoritär wie bei Alfred Andersch, sondern versucht vor allem eine direkte Linie vom nationalkonservativen und katholischen Standpunkt des Vaters zum nationalsozialistischen Geist des Sohnes zu konstruieren. Dabei waren es gerade diese Standpunkte, die den Vater in Gegensatz zum Sohn brachten! Die Autorin hat immer wieder sichtlich Schwierigkeiten, nationales, konservatives und religiöses Denken von nationalsozialistischem Denken zu unterscheiden. Bei ihr ist das alles irgendwie dasselbe. Und das ist nun einmal grottenfalsch.
Zudem wird die Frage nach der klassisch-humanistischen Bildung von Vater Himmler, die bei Alfred Andersch eine wichtige Rolle spielt, weitgehend unterschlagen. Wäre die Autorin offen für alle Fragen gewesen, ohne eine spezielle Absicht zu verfolgen, hätte auch dies prominent diskutiert werden müssen. Aber es geschieht nicht. Denn die Autorin hatte offenbar eine spezielle Absicht mit diesem Buch, zu der das nicht passte. Also ließ sie es weg. – Interessanterweise taucht das Motiv der klassisch-humanistischen Bildung in den zustimmenden Amazon-Rezensionen auf, obwohl es im Buch gar nicht in dieser Weise vorkommt. Die Rezensionen feiern das Buch als Entlarvung der gutbürgerlichen, klassisch-humanistisch gebildeten, national gesinnten, konservativen und katholischen Familie als der insgeheimen Brutstätte des nationalsozialistischen Denkens. So bekommt es der Leser in diesem Buch tatsächlich auch vorgeführt. Und unkritische Leser glauben es.
Wie Vorwort und Nachwort deutlich machen, war ein gewisser Michael Wildt vom „Hamburger Institut für Sozialforschung“ maßgeblich beratend an der Entstehung des Buches beteiligt. Dieses Privatinstitut ist bekannt dafür, einen gewissen politischen Linksdrall zu haben. Und so schreibt denn Michael Wildt prominent im Klappentext des Buches, dass – angeblich – „an dieser ’normalen‘ deutschen Familie Himmler“ das Netz der Verbrechen deutlich würde, „an dem so viele Deutsche auf ganz unterschiedliche Weise mitgeknüpft haben. Heinrich Himmler konnte sich des Einverständnisses dieser Familie sicher sein.“
Und das ist nun einmal völlig falsch und komplett ahistorisch.
Bewertung: 1 von 5 Sternen.
(Erstveröffentlichung auf Amazon am 18. November 2018)
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