Wie sich eine kollektive Weltanschauung Schritt für Schritt durchsetzt
Der Film „Agora“ ist gut, sehr gut sogar – verstörend gut. Er zeigt, wie eine kollektive Weltanschauung X – in diesem Fall das Christentum – sich in einer Gesellschaft Zug um Zug durchsetzt, und andere kollektive Weltanschauungen Y oder Z – in diesem Fall Serapis-Kult und Judentum – dabei schrittweise an Boden verlieren. Nebenbei kommen Freidenker, die mit den bisherigen kollektiven Weltanschauungen ein Arrangement gefunden hatten, unter die Räder, weil sie ein solches Arrangement mit der neuen kollektiven Weltanschauung eben noch nicht gefunden haben.
Der Film zeigt sehr gut, dass guter Wille allein nicht genügt, um widerstreitende kollektive Weltanschauungen zu befrieden. Denn die Dinge schaukeln sich hoch und haben eine Dynamik, die nicht beherschbar ist. Es nützt nichts, auf die Vereinfacher und Hetzer zu schimpfen – sie sind nun einmal immer da, man muss sie mitdenken, sonst hat man kein volles Bild der Wirklichkeit. Man sieht, wie auch vernünftige Menschen auf allen Seiten – auch wenn sie Macht haben – gegen die Neigung zur Dummheit, die in jeder kollektiven Weltanschauung angelegt ist, nichts ausrichten können.
Das Dumme an der Dummheit ist, dass man sie vollkommen gleichberechtigt mit der Realität behandeln muss, wenn sie nur gesellschaftliche Macht hat. Man muss mit ihr verhandeln. „Seit wann gibt es in Alexandria so viele Christen?“ lautet einer der Schlüsselsätze im Film. Dass in den Verfassungstexten einer Gesellschaft irgend etwas kodifiziert ist, spielt dann keine Rolle mehr – das wird alles gnadenlos Bestandteil der Verhandlungsmasse, wenn die Gewichte in der Gesellschaft sich verschieben.
Und dann gibt es noch die Möglichkeit, mit den Wölfen zu heulen, nur lauter. Im Film scheitert dieser Weg, weil der Protagonist nicht laut genug „mit den Wölfen heulte“ (der Moment, wo Orestes sich nicht niederkniet).
Natürlich denkt man bei all dem an das derzeitige Erstarken von Formen des Islams, die fern von der Vernunft sind (womit gesagt sein soll, dass der Islam auch vernünftig sein kann). Man kann die Sache aber auch tiefer hängen. Welcher Politiker z.B. könnte es sich leisten, Kohlendioxid als Verursacher des Klimawandels anzuzweifeln? Wer könnte es wagen, gegen das gedankenlose Multikulti und den Softsozialismus in der Gesellschaft anzugehen? Usw. usf.
Auch dies: Noch nie jedenfalls habe ich das Christentum so hinterfragt gesehen. Die meisten von uns sind ja mit einem „lieben“ Bild von Christentum aufgewachsen, und auch wenn wir alle es längst hinterfragt haben: So krass wie in diesem Film hat man es noch nie gesehen, und der Eindruck ist gerade auch deshalb so stark, weil der Film nicht übertreibt, sondern glaubwürdig bleibt: Auch wenn die wahre Story um Hypatia nicht exakt genau so gewesen ist, so kann man sich dennoch nur zu gut vorstellen, dass das Christentum diese üble Rolle auf diese Weise spielen kann und auch oft genug gespielt hat. „Halleluja“ statt „Allahu akbar“ – das kann man sich nur zu gut vorstellen.
Der Film war fast zu perfekt. Sogar die Aussprache von „Agora“ war richtig. Die meisten sagen ja „Agoora“, aber es heißt natürlich „Agoraa“ 🙂
Bewertung: 5 von 5 Sternen.
(Erstveröffentlichung auf Amazon am 27. März 2010; die Rezension ist dort inzwischen verschwunden.)