Schlagwort: Edmund Stoiber

Ronald B. Schill: Der Provokateur – Autobiographie (2014)

Tapferer Einzelkämpfer scheiterte an linksliberalen Eliten und „Parteifreunden“

Dieses Buch wurde anlässlich Ronald B. Schills Aufenthalt in einem Fernsehcontainer über zehn Jahre nach seinem politischen Engagement geschrieben. Obwohl dieses Buch – offenbar im Hinblick auch auf ein wenig anspruchsvolles Publikum – in einfacher Sprache geschrieben wurde und teilweise auf Provokation getrimmt ist, ist es doch sehr lesenswert.

Ronald B. Schill beschreibt, wie er als Richter die linksliberalen Missstände in Politik, Justiz und Medien hautnah erlebte. Wie er dagegen vorging. Wie die Medien ihn zu Unrecht verleumdeten. Dass Schill damals tatsächlich kein Kokain nahm. Wie er Reden vor CDU-Ortsverbänden hielt und schrittweise in die Rolle des Politikers rutschte, und schließlich die Gelegenheit ergriff, etwas zu verändern.

Wir lesen von den typischen Problemen beim Aufbau einer Partei: In der AfD ist es heute genau dasselbe. Wir erfahren von der Verfilzung von SPD-Parteimitgliedern in Ministerien und Behörden, und wie sich die Bundesländer gegenseitig in Reformen blockieren: Hätte Schill die Farbe Blau für die Polizei nicht im Alleingang durchgesetzt, gäbe es sie bis heute nicht.

Wir erfahren die Gründe für Ronald B. Schills Scheitern: Schill war als Person ganz auf Hamburg eingestellt, dies war seine Welt. Die Ausdehnung auf die Bundestagswahl wurde ihm von der eigenen Parteibasis aufgezwungen und war eine Überdehnung. Schill fand auch keine Überläufer aus der Elite, die ihn unterstützt hätten, und allein war er auf Dauer chancenlos. Einzig das SPD-Mitglied Walter Wellinghausen sprang ihm als Anwalt und rechte Hand bei. Eigene „Parteifreunde“ verschworen sich schließlich mit Beust gegen ihn. Nachdem die Medien ihn auch nach überstandener Kokain-Verleumdung nicht in Ruhe ließen, habe Schill begriffen, dass er nur scheitern kann, und habe von da an seinen politischen Tod gesucht – schreibt er.

Wir erfahren, dass Schill das Narkosegas aus Russland wollte, um darauf aufbauend etwas besseres zu entwickeln, und wie die Medien die russische Führung wegen des Einsatzes dieses Gases verurteilten, aber bald darauf nicht in vergleichbarer Weise kritisierten, als bei einer weiteren Massengeiselnahme von Schulkindern kein Narkosegas einsetzt wurde und eine viel größere Zahl von Geiseln, wohlgemerkt: Schulkinder, ums Leben kam. Wir denken noch einmal an Schills großartige Weigerung, einen Staatskirchenvertrag mit der evangelischen Kirche zu schließen, der den häufig nichtchristlichen Steuerzahler weitere Unsummen gekostet hätte.

Wir erleben noch einmal mit, wie Schill im Bundestag am 29. August 2002 von den herrschenden Eliten auf verfassungswidrige Weise das Wort abgeschnitten wurde, und wie Beust ihn daran hinderte, eine legitime Verfassungsklage dagegen einzureichen. Schill nennt seine Rede im Bundestag selbst Skandalrede, aber nicht wegen dem abgeschnittenen Wort, sondern weil er sie bewusst provokativ angelegt haben will. Aber eigentlich war die Rede nur wahr – wo Missstände sind, ist die schlichte Wahrheit provokativ. Schließlich hat Ronald B. Schill ungewollt die Kanzlerschaft von Edmund Stoiber verhindert. Die 0,8% überzeugten Schillwähler bei der Bundestagswahl haben das bewirkt. Schill mag es damals nicht gewollt haben, im Rückblick war es aber dennoch ein Erfolg, ein Schlag gegen das eingefahrene Establishment, zu dem Stoiber fest dazu gehörte, wie man spätestens heute weiß.

Schill stellt manches anders dar, als es war

Die Springerpresse, die in Hamburg auch lokal vertreten ist, hatte Schill nämlich zunächst gestützt! Immer wenn andere Medien Vorwürfe brachten, brachte die Springerpresse eine Verteidigung. Ungefähr zwei Wochen vor Schills Sturz jedoch schaltete sie um und griff Schill an, so sagt es jedenfalls die Erinnerung des Rezensenten. Schill selbst hingegen schreibt, Beust hätte schon seit der Bundestagsrede nach einer Gelegenheit für seinen Sturz gesucht. Von einer guten Kooperation mit der Springerpresse schreibt Schill nur ganz kurz im Zusammenhang mit seiner Zeit als Richter.

Gestürzt ist Ronald B. Schill, als Beust ihm seine „rechte Hand“ Wellinghausen wegen einer Lappalie wegnehmen wollte. Der Tipp dazu kam angeblich von der CSU, die wegen der verpassten Kanzlerschaft Rache üben wollte. Schill reagierte damit, Beust vorzuhalten, dass auch er eine „Spezlwirtschaft“ am Laufen hatte (nämlich mit Roger Kusch). Doch Schill betont seltsamerweise nicht den großen Unterschied zwischen einem politischen Unterdrucksetzen wegen einer Spezlwirtschaft (die zufälligerweise eine schwule Spezlwirtschaft ist), und einem politischen Unterdrucksetzen gezielt wegen Homosexualität. Ersteres ist völlig legitim und gehört zum politischen Geschäft. Schill lässt aber den Eindruck bestehen, als habe er Beust damit erpresst, ihn als schwul zu outen. Das war aber nicht der Fall. Beust hat sich schließlich ohne Not selbst geoutet. Um Homosexualität ging es in Wahrheit gar nicht, auch wenn heute alle Medien dies so darstellen, und auch wenn sich ein katholischer Bischof aus Hamburg heuchlerisch gegen Schill stellte, um seine Kirche auf Kosten von Schill als „moderne“ Kirche zu profilieren. Warum Schill das hier nicht klarstellt, bleibt unklar.

Unklar ist auch, warum Schill seine Reaktion auf das Abschneiden seines Wortes im Bundestag selbst als „cholerisch“ bezeichnet. Er hatte dort recht besonnen reagiert, wenn man bedenkt, dass gerade die Verfassung gebrochen wurde. – Schließlich meint Schill, „sein Schwanz“ hätte ihn politisch am Ende zu Fall gebracht. Das ist grober Unfug. Was ihn politisch zu Fall brachte, sind ganz andere Dinge, siehe oben. Schill zeichnet in Teilen ein Zerrbild dessen, was war, und dieses Zerrbild ist nicht immer zu seinen eigenen Gunsten. Warum Schill das tut, bleibt unklar.

Schills unmoralischer Lebenswandel

Tatsächlich schildert Ronald B. Schill ein recht ungehemmtes Sexualleben mit ständig wechselnden Partnern, Ehebruch und Partnertausch. Zudem habe er schon immer die Droge Tavor genommen, um in kritischen Situationen konzentriert zu sein. Das alles ist natürlich unmoralisch. Aber es ist auch seine Privatsache.

Vor allem zeigt es auch, dass Schill eben kein „Ewiggestriger“ war, sondern ein sehr moderner Mensch, im Grunde fast ein „linker“ Mensch, der allerdings begriffen hatte, dass einige Dinge so nicht weiterlaufen können in diesem Staat. Bereits beim Kokainverdacht war klar, dass dieser gut erfunden ist, wenn es auch nicht wahr war.

Nebenbei bekommt man über Schills Eskapaden auch mit, wie es in „höheren“ Kreisen der Gesellschaft bisweilen so zugeht. Man möchte nicht dazugehören. Auch Beust soll es nicht minder wild getrieben haben, doch über dessen Privatleben berichteten die Medien nie.

Schluss

Ronald B. Schill steht für das erste Aufbäumen gegen die immer größer werdenden Missstände und Verfilzungen in Deutschland. Ronald B. Schill trieb die verfilzte Elite vor sich her, so dass diese sogar offenen Verfassungsbruch beging, um ihn und seine Wähler zu stoppen und von der legitimen demokratischen Teilhabe auszuschließen. Ronald B. Schills Name ist auf ewig mit der Ehre verbunden, für Demokratie, Rechtsstaat und das Gemeinwohl Schande, Verleumdung und soziale Ächtung nicht gescheut zu haben.

Gegen alle Verleumdungen, die bis heute darauf abzielen, ihn und seine Politik lächerlich zu machen, steht sein Werk unvergessen wie ein Fels in der Brandung, ein Mahnmal für Kommende. Denn auch das ist wahr: Mit seiner Parteigründung hat Schill den ersten Schritt dazu getan, die Opposition in Deutschland zu organisieren. Mitglieder der Schillpartei gingen später auch zur (kläglich an sich selbst scheiternden) „Freiheit“ und zur AfD. (PS 25.05.2018: die inzwischen auch kläglich an sich selbst gescheitert und zur rechtsradikalen Partei geworden ist.)

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 26. September 2014)

Volker Bräutigam: Die Tagesschauer – Ein Tagesschau-Redakteur berichtet (1982)

Die Tagesschau damals und heute – wie sie wurde, was sie ist

Dieses Buch über die Tagesschau aus dem Jahr 1982 bietet uns die Gelegenheit, Rückschau zu halten: War es früher anders? Ist es wirklich erst heute so schlimm geworden? Warum ist es so gekommen, wie es gekommen ist? Und wusste man damals vielleicht schon, wie man es besser machen sollte?

Die Welt der Tagesschau im Jahre 1982

Der Autor war seit 1975 Redakteur der Tagesschau. Zunächst erklärt er das Notwendige: Woher bekommt die Tagesschau ihre Nachrichten? Wie stellt die Tagesschau ihre Nachrichten zusammen? Wie läuft ein typischer Tag im Leben eines Tagesschau-Redakteurs ab? Man erfährt auch, welchen Restriktionen die Nachrichten der Tagesschau allein schon durch ihre Quellen und durch die knappe Sendezeit unterworfen sind. Gut erklärt wird auch, wie man mit Texten und Bildern manipulieren kann, und dass die Tagesschau das peinlichst zu vermeiden versucht. Ebenso legitim ist die Analyse, dass Tagesschau-Mitarbeiter häufig aus gutbürgerlichen Elternhäusern kommen, was deren Wahrnehmung verzerrt. Damals bedeutete das eine Nähe zu CDU und FDP. Von dem Phänomen „links reden, rechts leben“ der links-grünen Schickeria wusste man damals offenbar noch nichts.

Hochinteressant ist, was die Tagesschau unter „Objektivität“ versteht. Ihren Begriff von „Objektivität“ macht die Tagesschau-Redaktion weniger an inhaltlichen Dingen fest, sondern vielmehr an formalen Kriterien. Objektivität in diesem Sinne wird durch die Beachtung eines Formalismus gewährleistet. Dazu gehören eine feststehende Journalistensprache, die Vermeidung von Adjektiven, eine sture Wiedergabe von Politikerworten oder auch die Beachtung der Autorität von Presseagenturen. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Verfahren natürlich keine „echte“ Objektivität erzeugen kann, sondern eher eine Art von Neutralität oder Fairness. Genau genommen ist es ein Sichheraushalten und ein Abwälzen der Verantwortung auf andere: Die Meldung sah so aus, wie sie aussah, weil der Politiker genau das gesagt hatte, oder weil eine Presseagentur genau das vermeldet hatte, usw. An anderer Stelle kritisiert der Autor, dass die Tagesschau nur Symptome von Problemen berichtet, sich aber bei der Analyse für die Ursachen von Problemen grundsätzlich heraushält.

Die Neutralität der Presseagentur dpa war damals unhinterfragbar. Als Beispiele für fragwürdige Quellen nennt der Autor die katholische Nachrichtenagentur KNA oder die chinesische Agentur Xinhua. Allerdings zitiert der Autor ausführlich eine dpa-Pressemeldung, die eindeutig links verzerrt ist. Ganz so neutral war die dpa also auch damals schon nicht mehr, scheint es.

Ebenso ausführlich wird man über die Durchdringung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten durch die Parteien unterrichtet. Diese achten peinlich auf die Einhaltung des Proporzes. Auch parteilose Redakteure werden ihrer persönlichen Meinung nach in dieses Links-Rechts-Schema eingeordnet. Damals war das Links-Rechts-Schema übrigens noch eine klare Sache: CDU/CSU und SPD standen sich als die zwei großen politischen Kräfte diametral gegenüber und erzeugten so die nötige Spannung im demokratischen Wettstreit. Ebenso waren die gesellschaftlichen Gruppen klar zugeordnet: Katholische Kirche und Vertriebene auf Seiten der Union, die Gewerkschaften und die evangelische Kirche auf Seiten der SPD.

Das Buch ist auch ein wertvolles Zeitdokument für eine Welt ohne Computer und Internet, als man noch mit analoger Technik und Schreibmaschine zu Werke ging. Bilder wurden per Satellit übertragen, Texte auf Zetteln hin- und hergereicht und mit Stift redigiert, und zum Filmschnitt musste man sich persönlich in eine extra Abteilung begeben, wo der Film durch Experten nach Wunsch zugeschnitten wurde.

Der Autor ist bekennender Linker

Im Laufe der Darstellung macht der Autor keinen Hehl daraus, dass er ein Linker ist. Aus seiner Sicht ist die Tagesschau zu rechts. Bereits die Begriffe „soziale Marktwirtschaft“ und „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ werden für manipulativ gehalten. Denn in Wahrheit ginge es um die Besitzstandswahrung der Reichen und um die Zementierung der gesellschaftlichen Zustände. Weitere Beispiele sind:

  • „Friedenstruppen“: Statt Frieden herzustellen, würden sie in Wahrheit Gewalt ausüben.
  • „Freiheitsstrafe“: Das Wort würde suggerieren, man sei zur Freiheit verurteilt.
  • „Finaler Rettungsschuss“: In Wahrheit sei es ein Todesschuss, der das Lebensrecht eines Gewalttäters missachtet.
  • Eine Warnung von Papst Johannes Paul II. an die armen Menschen auf den Philippinen, dass man zwar Gewerkschaften gründen solle, nicht aber zur Gewalt greifen dürfe, und dass man sich vor sozialistischen Ideologien hüten soll, lässt den Autor in Zorn geraten.
  • Israel würde in der Tagesschau immer positiv, die Palästinenser immer negativ dargestellt.
  • Aufgeführte Beispiele für Diktaturen sind immer rechts, aber nie links: Argentinien, Chile, Guatemala, oder die Apartheid in Südafrika.

An einer Stelle weckt der linke Standpunkt des Autors aber auch heute noch Sympathien: Dort nämlich, wo er beklagt, dass jede Kritik an der real existierenden Verfassungswirklichkeit und am Überwachungsstaat schnell als Sympathie für Antidemokraten und Terroristen interpretiert wird. Kritiker werden schnell einem „Sumpf“ zugerechnet und stehen leicht als Verfassungsfeinde da. Solche Zustände sind uns heute nicht fremd, nur dass sie heute politisch von links nach rechts gespiegelt sind.

Klarer Wunsch nach linkem Kurs

Immer wieder wirft der Autor ein, dass es ein erstrebenswertes Ziel für die Tagesschau wäre, „freier“ berichten zu dürfen, wobei „freier“ hier praktisch immer „linker“ bedeutet. So würde er – wohlgemerkt: In der Tagesschau! – gerne von der „unsozialen Marktwirtschaft“ berichten. Stolz berichtet er davon, dass die Tagesschau nicht von Baader-Meinhof-„Bande“, sondern von Baader-Meinhof-„Gruppe“ sprach. Ursache für diese Sprachregelung ist die Unschuldsvermutung, die bis zum erfolgten Gerichtsurteil aufrecht erhalten werden müsse, so der Autor. Eine Unschuldsvermutung, die hier auf eine Bande zur Anwendung kam, die sich ihrer Missetaten in Bekennerschreiben selbst bezichtigte.

Die Theorie der Schweigespirale von Noelle-Neumann wird für unbewiesen erklärt. Dieser Theorie zufolge verstummen die Anhänger einer bestimmten Meinungsrichtung in der Gesellschaft, wenn sie den subjektiven Eindruck gewinnen, dass sie in der Minderheit sind. Außerdem sei Frau Noelle-Neumann natürlich NS-belastet. Es sei vielmehr völlig unbedenklich, das Publikum mit klaren – also linken – Meinungsäußerungen zu konfrontieren, denn das würde keinesfalls manipulativ wirken, so glaubt der Autor, sondern das kritische Nachdenken anregen.

Der Parteien-Proporz in den Sendeanstalten wird verteufelt. Statt dessen sollte der einzelne Redakteur mehr Freiheit haben. Noch lächerlicher findet der Autor es, wenn man anfängt, Strichlisten zu führen, welche politische Seite wieviel Sendezeit bekam. – Aber wie will man in einem öffentlich-rechtlichen System, das die Gesellschaft beherrscht und von jedem Bürger bezahlt und (damals) konsumiert werden muss, demokratische Ausgewogenheit herstellen, wenn nicht durch Proporz? Ohne Proporz geht es nicht! Und damals funktionierte der Proporz auch einigermaßen, weil die politische Welt tatsächlich zwei gleichstarke, gegensätzliche Pole kannte. Dass die Tagesschau international in hohem Ansehen dafür stand, eine objektive Sendung zu sein, referiert der Autor nur mit Sarkasmus.

Die letzten Worte des Buches geben einen Bericht von Peter Kuntze über „China nach Mao“ wieder: Dort würde man nicht von „Meinungsfreiheit“ oder „Meinungsvielfalt“ sprechen, was dem Autor offenbar verdächtig ist. „Sondern von der marxistischen Methode: In Diskussionen die Tatsachen darlegen. Überzeugung mithilfe von Argumenten. Es sei unzulässig, eine andersdenkende Minderheit gewaltsam zum Nachgeben zu zwingen. Vielmehr müsse die Minderheit geschützt werden. Es könne ja auch vorkommen, dass die Wahrheit bei der Minderheit liege. Aber auch, wenn die Minderheit im Unrecht sei, solle sie in ihrer Sache sprechen und ihre Meinung behalten können. Das klingt so einfach. So selbstverständlich. Müsste das nicht jeder einsehen können?“ – Die Naivität dieser Worte verrät sich selbst. Er glaubt ausgerechnet an die „marxistische Methode“ und an das kommunistische China als die bessere Alternative?! Ts.

Erste Anzeichen eines Kippens nach links

Obwohl der Autor der festen Überzeugung ist, dass die Tagesschau zu rechts sei, gibt er doch immer wieder unfreiwillig zu erkennen, dass die Tagesschau auch damals schon begonnen hatte, nach links zu kippen. Dazu gehören Kleinigkeiten wie eine erstaunlich linke dpa-Meldung oder der Umstand, die Baader-Meinhof-Bande eine „Gruppe“ zu nennen.

Dazu gehört aber auch die Umstrukturierung der Tagesschau bei der Entstehung der Sendung „Tagesthemen“, bei der zunächst die CDU die Oberhand zu behalten schien. Doch über die Zeit kippte der Proporz ganz offensichtlich nach links, wie der Autor selbst beschreibt. Außerdem heißt es: „Ein der CDU und der CSU recht wohlgesonnener Wissenschaftler hat vor kurzem behauptet, das ‚Deutsche Fernsehen‘ habe auch mit der Art der Filmdarstellung die Wahlchancen der Union geschmälert. Ebenso wie die Journalisten seien auch die Kameramänner mehrheitlich sozialliberal orientiert.“ Diese Feststellung wird kurzerhand abgebügelt: „Diese Behauptungen (sind) Unsinn und eher Ausdruck einer Art von Verfolgungsangst gewisser kleinmütiger Konservativer“.

Im Wahlkampf des Jahres 1980 wurde die Tagesschau schließlich öffentlich dafür kritisiert, zu links zu sein. Damals war Franz-Josef Strauß Kanzlerkandidat der Union, und Edmund Stoiber als sein Generalsekretär griff die Tagesschau scharf an. Obwohl der Autor als ein Linker alles dafür tut, die Vorwürfe als unbegründet darzustellen, wird doch deutlich, dass sie nur allzu begründet sind. So hat die Tagesschau z.B. kurzerhand aus dem Wort „Initiator“ das Wort „Anstifter“ gemacht. Zwischen beiden Worte liegen Welten, wie derselbe Autor in demselben Buch in einem vorigen Kapitel zur Manipulation mit Worten selbst gut erklärt hatte. Warum er davon in diesem Zusammenhang nichts mehr wissen will, erschließt sich dem Leser nicht.

Fazit

Dieses Buch ist ein wichtiges Zeitdokument über die Tagesschau des Jahres 1982, als der politische Proporz in der Gesellschaft und in den öffentlich-rechtlichen Sendern noch einigermaßen intakt war. Das Buch ist zugleich aber auch ein Zeitdokument für das Kippen dieses Proporzes, wovon die ersten Anfänge bereits damals zu sehen waren.

Wir sehen anhand der Person des Autors in direkten und unmissverständlichen Worten, welcher Ungeist hinter dem Kippen des Proporzes stand: Ein naiver, linker Ungeist, der den Sinn des Proporzes für eine intakte Demokratie nicht mehr verstand und darin eine vermeintlich konservative Hegemonie zu sehen glaubte. Eine solche konservative Hegemonie gab es vielleicht tatsächlich in den 1950er Jahren, aber gewiss nicht mehr in den 1980er Jahren. Indem man eine vermeintlich existierende konservative Hegemonie bekämpfte, schuf man eine linke Hegemonie.

Vor allem aber scheitert der Autor an einer grundsätzlichen, geistigen Leistung, die jeder Demokrat erbringen muss: Es ist kein Fortschritt, eine vermeintliche oder auch reale konservative Hegemonie durch eine linke Hegemonie zu ersetzen. Denn das ist nur derselbe Quark in Tüten, bloß andersherum. Einen echten Fortschritt gibt es nur mit einem höheren Standpunkt, der Fairness und Freiheit zusammendenkt. Die Fairness des Proporzes muss jedem Demokraten einleuchten, jedenfalls in einem öffentlich-rechtlichen System. Zugleich ist aber mehr Freiheit angesagt: Vielleicht ist ein dominantes öffentlich-rechtliches System an sich der Fehler, und die Bürger sollten mehr Freiheit in der Wahl ihrer Medien bekommen? Statt dessen träumt der Autor von chinesischen Zuständen als Utopie.

Dieses Buch ist ein Zeitdokument des sogenannten „Marsches durch die Institutionen“ der 68er. Erschienen ist es in der bekannten Reihe „rororo rotfuchs“ des Rowohlt-Verlages, die „sozialkritische“, um nicht zu sagen: einseitig linke Publikationen veröffentlichte. Das Markenzeichen der Reihe waren die Rotfuchs-Comics von Jan P. Schniebel, die auf der Rückseite der Bücher abgedruckt waren. Büchern wie diesen verdanken wir es, dass der Zeitgeist sich drehte. Besser geworden ist dadurch leider nichts.

Bewertung: 1 von 5 Sternen.