Schlagwort: einfaches Leben

Ernst Jünger: Am Sarazenenturm (1955)

Tradition vs. Fortschritt: Ernst Jüngers Lamoryanz ohne Synthese

Das Büchlein „Am Sarazenenturm“ von Ernst Jünger gibt ähnlich wie die „Italienische Reise“ von Goethe einen unmittelbaren Einblick in das Denken des Autors, denn es ist ein Tagebuch. Darin werden viele kleine Beobachtungen aus dem Urlaub in einem verschlafenen Nest auf Sardinien festgehalten. Immer wieder verdichten sich die Gedanken zu einer bemerkenswerten These. Und die Lebenserfahrung von Ernst Jünger fließt ein. Es ist sehr lesenswert. Geistige Entspannung im Urlaub auf hohem Niveau.

Im Zentrum von Jüngers Denken steht hier die Beobachtung einer von der Moderne noch weitgehend unverfälschten Lebensweise von Hirten und Fischern, und die ständig dräuende Vorahnung, dass die Moderne dieses idyllische Leben schon bald zerstören wird. Wer vom Wert der Tradition und der Vormoderne erfahren möchte, wird hier reichlich mit Gedankensplittern bedient.

Aber leider fehlt das Entscheidende: Der Versuch einer Lösung des Problems. Denn wie auch Ernst Jünger an wenigen Stellen einsieht, ist der Fortschritt nicht aufzuhalten. Es geht also darum, ihn so zu gestalten, dass eine vernünftige Synthese von Tradition und Fortschritt entsteht. Dazu hat Jünger aber praktisch nichts zu sagen. Und das ist ein Problem.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 09. März 2017)

Per Petterson: Pferde stehlen (2003)

Reiches, atmosphärisches Buch über Väter, Einsamkeit, das Leben schlechthin

Es ist die Geschichte eines Jungen und seines Vaters, die beide 1948 einen Sommer auf einer Hütte in der norwegischen Provinz nahe der schwedischen Grenze verbringen. Es ist ein Sommer voller Abenteuer für den Jungen, ein Leben in und mit der Natur, einsam, arbeitsam und einfach, ein Leben mit glücklichen und tragischen Momenten. Vater und Sohn kommen sich dabei so nahe wie nie, und der Sohn beginnt zum Mann zu werden.

Doch was der Sohn nicht weiß: Sein Vater war schon einmal hier, im Krieg, und hatte Flüchtlingen über die Grenze nach Schweden geholfen. Und sich dabei verliebt. Es ist der letzte Sommer, den Vater und Sohn gemeinsam verbringen, bevor der Vater die Familie endgültig verlassen und ohne Wiederkehr zu seiner Geliebten gehen wird.

Die Geschichte wird aus der Perspektive des Sohnes erzählt, wie er nun seinerseits als alter Mann erneut in eine Hütte in derselben Gegend zieht, um seine letzten Jahre in jener arbeitsamen Einsamkeit zu verbringen, die er damals von seinem Vater kennengelernt hatte. Auch jetzt sind Glück und Tragik nahe beieinander: Ehefrau und Schwester sind gestorben, aber seine Tochter besucht ihn überraschend. Die Einsamkeit tut gut und wird mit der Lektüre von Charles Dickens abgerundet, sie wird aber auch als Risiko empfunden. Aber da ist noch sein Hund Lyra, und ein guter Nachbar, den er noch aus dem Sommer 1948 im Zusammenhang mit tragischen Ereignissen kennt.

Per Petterson ist ein sehr atmosphärisches, ruhiges Buch gelungen, das den Leser teilhaben lässt an den Gedanken und Gefühlen der Protagonisten. Ein Buch über Väter und Söhne, über Einsamkeit und Freundschaft, über Liebe und Verlassenheit, über Stadt und Land, über Krieg und Frieden, über Jugend und Alter, über unmittelbares Erleben und späteres Erinnern, über das Leben schlechthin, kurz: Es ist ein sehr reiches Buch.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 17. August 2018)