Schlagwort: Migrationshintergrund

Marica Bodrožić: Sterne erben, Sterne färben – Meine Ankunft in Wörtern (2007)

Verwandelt zu neuem Leben in einer neuen Heimat – der deutschen Sprache

Marica Bodrozic hat erneut ein Sprachkunstwerk aus tiefem inneren Empfinden geschrieben. Hauptthema ist diesmal ihr Übergang von der jugoslawischen Sprache ihrer Kindheit hin zur Verinnerlichung der deutschen Sprache als ihrer neuen sprachlichen Heimat. Im Hintergrund steht dabei erneut stets die Grundlegung ihres Lebens in ihrer Kindheit, die sie in Dalmatien mit ihrem Großvater verbrachte, während ihre Eltern in Deutschland lebten.

Wohl selten wurde der Übergang von einer in eine andere Sprache so innig und subtil dargestellt. Herausgekommen ist dabei ganz nebenbei auch eine sehr glaubwürdige Liebeserklärung an die deutsche Sprache, wie man sie in unseren Tagen lange suchen muss. Ist doch die deutsche Sprache in Deutschland kein allgemein akzeptiertes Kulturgut mehr, in Zeiten, da selbst die Deutsche Bank um des lieben Geldes willen damit begonnen hat, auch noch die 3. und 4. Generation von türkischen Migranten (darf man sie noch so nennen?) in türkischer Sprache zu bedienen.

Die Einblicke, die Marica Bodrozic dabei in ihr Innenleben gewährt, sind teilweise sehr intim und in einer Bildersprache wiedergebeben, deren Dechiffrierung man als Außenstehender oft nur erahnen kann. An einigen Stellen fragt man sich als Leser, ob man das überhaupt erfahren sollte oder gar lesen darf, was die Autorin an Gedanken preisgibt.

Es erinnert ein wenig an Kafka, der seine Werke ja nicht für ein Publikum schrieb, sondern in ihnen seine seelischen Zustände wiederspiegelte und verarbeitete, nur für sich. Wie wir bei Kafka Einblick in ein Innenleben nehmen, der vom Autor gar nicht beabsichtigt war, so kommt es einem manchmal auch bei Marica Bodrozic vor.

Wer eine freie und phantasievolle aber einsame Kindheit hatte, die irgendwann einmal mit der „Realität“ zusammenstieß, wird ihr Empfinden gut nachvollziehen können, und auch bei sich selbst so manche Erinnerung, die halb vergessen war, wieder aufleben sehen. Ebenso erklärt sich das Bedürfnis der Autorin, ihr Erleben schriftstellerisch zu verarbeiten. Dies sollte nun zum Nutzen der deutschen Literatur auch gut gelungen sein, und man wartet gespannt auf ihr nächstes Werk, in dem die bekannten Topoi nun ganz verwandelt wiederkehren müssen und von allen Fesseln der Vergangenheit befreit auch völlig neue Wege beschritten werden können.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 10. Juni 2007)

Saša Stanišić: Herkunft (2019)

Idealistischer Romantiker verstrickt sich tragisch-wunderbar in seiner Herkunft

In diesem Buch arbeitet sich Sasa Stanisic an der Herkunft seiner Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien, ihrer Flucht nach Deutschland und seiner Integration in Deutschland ab. Er „arbeitet sich ab“, denn er versucht ein Ding namens „Herkunft“ zu fassen zu bekommen, mit dem er eigentlich nicht viel anfangen kann. Für ihn ist Herkunft rein zufällig. Herkunft sei ein übergestülptes Kostüm und hätte nichts mit Eigenschaften und Talenten zu tun (S. 32, 284). Er wehrt sich gegen die Fetischisierung von Herkunft (S. 221). Herkunft wird in diesem Buch zum lächerlichen Nostalgiekitsch (S. 34), oder zum bösen Nationalismus, wo die Bilder von Kriegsverbrechern auf Häkeldeckchen in der Vitrine stehen (S. 49).

Und doch hat Sasa Stanisic ein ganzes Buch über Herkunft geschrieben. Wie das?

Zunächst: Gefunden hat Sasa Stanisic seine Herkunft vor allem in Menschen (Vgl. S. 64): Das ganze Buch zeichnet immer wieder größere und kleinere Portraits wunderbarer Menschen. Allen voran seine Großmutter, aber auch seine Eltern und andere Verwandte, seine Freunde von der Aral-Tankstelle, wo er über Rollenspiele zum Erzählen und zur Literatur fand, die gebildeten Eltern seines Freundes Rahim, diverse Lehrer, ein serbischer Kellner, oder auch sein Zahnarzt mit dem sprechenden Namen Dr. Heimat. In Menschen – und in den Sprachen – hat Sasa Stanisic seine Herkunft und seine Heimat gefunden. Diese literarischen Portraits von Menschen sind es, die dieses Buch lesenswert machen. Dass Sasa Stanisic unfreiwillig noch viel mehr gefunden hat, dazu gleich mehr.

Die Sprache von Sasa Stanisic ist sehr modern und sehr direkt. Teilweise experimentiert er mit Sprachformen der Zeit, wie WhatsApp oder Soziolekt. Das letzte Kapitel ist sogar wie ein FantasyAbenteuerSpielBuch gestaltet. Der Erzählstrang ist sehr sprunghaft und assoziativ. Dadurch bauen sich Pointen oft sehr überraschend und witzig auf. Viele Pointen enden allerdings in einem recht trockenen Sarkasmus. Sasa Stanisic ist ein großer Beobachter. Er beschreibt viel lieber, als darauf aufbauend theoretische Gedanken zu entwickeln.

Rührend und treffend ist die Einbeziehung von Flucht, Vertreibung und Spätaussiedlung aus dem deutschen Osten, namentlich Schlesien und Danzig (S. 162, 165 f., 177).

Kritik

Sasa Stanisic ist ein Idealist reinsten Wassers. Er ist definitiv ein guter Mensch, jemand, dem man jenseits aller Meinungsverschiedenheiten jederzeit seinen Geldbeutel oder auch sein Leben anvertrauen könnte, jemand, dem es nicht egal ist, wenn Böses geschieht. Stanisic geht es um die Menschheit. Sein verlorener Traum ist das Zusammenleben der verschiedenen Völker im ehemaligen Jugoslawien. Nichts davon ist falsch. Und dennoch ist so vieles daran so unglaublich falsch.

Das Grundproblem von Sasa Stanisic ist sein ungeläuterter Idealismus. Ideale sind schön und gut, aber die Realität sieht oft anders aus. Es bedarf einer Übersetzung in die Realität. Einer Abstufung der Ideale. Einer realistischen Sicht auf die Dinge. Und beim Blick in die Realität würde man vielleicht auch manches Ideal entdecken, das man bisher übersehen oder gar verachtet hatte.

Beginnen wir mit Jugoslawien. Die Verklärung von Jugoslawien als einem multiethnischen Paradies geht in diesem Buch – trotz einer kurz eingeschobenen Kritik (S. 93, 96) – entschieden zu weit (S. 14, 93 f., 102). Jeder weiß doch, wie das in solchen multiethnischen Ländern läuft: Eine Volksgruppe gibt den Ton an, die anderen leiden. In diesem Fall gaben die Serben den Ton an. Das Bestreben der Völker, sich von Serbien abzulösen, kam doch nicht aus dem Nichts! Diese Menschen hatten bittere Erfahrungen gemacht, die in diesem Buch leider nicht vorkommen. In rücksichtsloser Multikulti-Manier wischt Sasa Stanisic die Existenz von verschiedenen Nationen, Völkern und Kulturen in Jugoslawien beiseite: Auf dem Balkan seien doch alle Völker mal durchgekommen, nichts sei so multikulturell wie der Balkan, meint er flapsig (S. 99 f.). Dass er mit diesem historischen Relativismus auf der gegenwärtigen Identität von Menschen herumtrampelt, ist ihm offenbar nicht klar.

Dass Sasa Stanisic den Begriff „nationale Interessen“ verachtet (S. 64), spricht Bände. Denn auch in der besten Demokratie vertreten die Politiker natürlich die Interessen ihres Wahlkreises oder ihres Bundeslandes! So funktioniert die Welt nun einmal. Kommt denn in dem Eid der jugoslawischen Pioniere, den Sasa Stanisic wohlwollend zitiert (S. 93), nicht auch das Wörtlein „selbstverwaltet“ vor? Aha! An nationalen Interessen ist nichts falsches, solange sie nicht in Nationalismus überschlagen. Es ist völlig legitim, erst einmal Selbstbestimmung erlangen zu wollen, bevor man sich dann – auf Augenhöhe – vielleicht wieder zusammenschließt, z.B. in der EU. Sehr vorbildlich, nämlich völlig friedlich, haben sich z.B. Tschechien und die Slowakei voneinander getrennt, und beide sind heute in der EU.

Sasa Stanisic kann von jedem Spieler der jugoslawischen Nationalmannschaft die Volkszugehörigkeit nennen (S. 14). Ein „melting pot“, den er selbst hier sehen will, sähe anders aus. Es erinnert an den Witz, in dem der Generalsekretär der KPdSU den US-Präsidenten fragt: „Im Moskauer Staatsorchester gibt es drei jüdische Geiger, zwei jüdische Trompeter usw., also können wir keine Antisemiten sein! Und wieviele Juden gibt es im New York Philharmonic Orchestra?“, worauf der US-Präsident die geniale Antwort gibt: „I don’t know!“ – Auch bei seinen Freunden von der Aral-Tankstelle kennt Stanisic die Herkunft von jedem einzelnen sehr genau. Sie war wohl doch nicht egal.

Ganz unfreiwillig gibt Sasa Stanisic auch zu, dass Herkunft auch ein Ort sein kann, sogar ein kultureller Raum. Also ein Ort, der sich durch die dort vorherrschende Kultur definiert. Denn genau das war das ehemalige Jugoslawien bzw. das war sein Heimatort Visegrad. Diese Orte gibt es heute noch, aber die Kultur, die damals dort herrschte, ist verloren. Die Kultur des ehemaligen Jugoslawien war zwar – wie schon gesagt – eine fragile und unehrliche Kultur; der Punkt ist aber, dass Sasa Stanisic diesem verlorenen kulturellen Raum definitiv nachtrauert, und damit unfreiwillig zugibt, dass kulturelle Räume Herkunft und Heimat sein können. Man verletzt Menschen, wenn man ihnen ihren kulturellen Raum wegnimmt und zerstört. Da kann Stanisic seine Großmutter noch so lange sagen lassen „Es zählt nicht, wo was ist.“ (S. 337) Es zählt eben teilweise doch: Manche Dinge können nur an bestimmten Orten geschehen.

Das gilt nicht nur für den Kulturraum einer einzelnen Kultur, sondern auch für die friedliche Begegnung verschiedener Kulturen an einem Ort. Denn ohne die entsprechenden Rahmenbedingungen geht weder das eine noch das andere. Meistens ist es ja so, dass Orte, an denen sich verschiedene Kulturen friedlich begegnen, in Wahrheit durch eine Monokultur eingerahmt sind. Das trifft z.B. bei den multikulturellen Metropolen der Welt zu: Ob New York oder Frankfurt am Main, ohne die Einrahmung in die jeweilige Nationalkultur würden diese Orte sofort in unverbundene Parallelgesellschaften zerfallen, die sich im Extremfall auch bekriegen würden, Stadtviertel um Stadtviertel, Häuserzug um Häuserzug. Sasa Stanisics Idee, dass für das Zusammenleben der kleinste gemeinsame Nenner genüge (S. 222) ist grober, idealistischer Unfug. Das funktioniert nur für Touristen und Gastarbeiter auf Zeit ohne Familie. Auch seine Klage, dass man bei den Vilen (Wilen, weibliche Naturgeister) nur nach deren Sinn integriert ist, nämlich weder gleichberechtigt noch frei (S. 353), zeugt von utopischem Multikulti-Denken. Die Gesellschaft fordert von jedem Anpassung. Auch „Urdeutsche“ sind in der deutschen Gesellschaft nicht gleichberechtigt und frei, wenn sie vom Mainstream abweichen.

Ganz unfreiwillig gibt Sasa Stanisic auch zu, dass Herkunft eben doch Einfluss auf unsere Eigenschaften und Talente hat. Die Erzählkunst soll er von seinem Großvater haben (S. 87 f.). Die Angst vor Schlangen hat er von seinem Vater geerbt (S. 339). Am Ende dankt Sasa Stanisic seinen Eltern, Großeltern, Freunden: Wofür, wenn er von ihnen nichts bekommen hat? (S. 363) – Die Idee des „blank slate“, der Sasa Stanisic in diesem Buch frönt, ist genauso falsch wie die Idee, dass ein Mensch qua Geburt völlig festgelegt wäre. Den richtigen Weg zwischen den Extremen hat Sasa Stanisic noch nicht gefunden. Die Frage ist auch, warum Sasa Stanisic an der nichtdeutschen Schreibweise seines Namens festhält. Bedeutet sie ihm am Ende doch etwas?

Auch Religion sieht Sasa Stanisic extrem einseitig (S. 117, 120, 211 f.). Sie spielt im Grunde immer die Rolle des Bösen. Das kam auch in seiner Dankesrede zum Deutschen Buchpreis heraus, als er sarkastisch anmerkte, dass die katholische Kirche Peter Handke schon zum Literaturnobelpreis gratuliert habe. Aber könnte man das nicht auch als eine Geste der Versöhnung sehen? Immerhin sympathisierte die katholische Kirche mit den katholischen Kroaten, während Handke mit den orthodoxen Serben sympathisierte. Wie sieht Stanisic eigentlich die historische Rolle des katholischen Humanisten Erasmus von Rotterdam, oder des islamischen Humanisten Averroes? Und wie sieht Stanisic die Rolle des Katholiken de Gaulle und des Katholiken Adenauer, die sich in der Kathedrale von Reims trafen, um die deutsch-französische Freundschaft zu besiegeln, und damit den Grundstein für die EU zu legen? Diese radikale Ablehnung von Religion ist nicht nur historisch und philosophisch falsch, sondern auch extrem unrealistisch und politisch völlig unklug. Man kann Religion besser oder schlechter machen, man kann sie aber nicht einfach abschaffen. Dass Sasa Stanisic am Ende nicht selbst das Kreuz zur Beerdigung seiner Großmutter trug, ist hingegen sehr verstehbar: Das ist seine ganz persönliche Entscheidung (S. 331, 360).

Sasa Stanisic zeigt sich offen linksradikal: Er zitiert Karl Marx mehrfach und lässt die Zitate unkommentiert stehen, was ohne Zweifel Zustimmung zum Ausdruck bringt. So z.B., dass Religion der Geist geistloser Zustände sei, oder dass Arbeiter kein Vaterland hätten, oder dass Karl Marx gute Ideen gehabt hätte; alles ohne jede Einschränkung dem Leser präsentiert (S. 120, 176). Bei Wahlen stört ihn nur, dass die AfD gute Werte erzielt, aber dass die SED-Nachfolgepartei ebenfalls gute Werte erzielt, stört ihn offenbar nicht (S. 102). Schließlich kritisiert Stanisic den Satz von Czaja: „Antifaschisten sind auch Faschisten“ (S. 142). Zugegeben: Vor „Antifaschisten“ hätte das Wörtlein „sogenannte“ gehört, um den Satz wirklich korrekt zu machen. Aber Sasa Stanisic weiß natürlich auch so, wie Czaja es meinte. Wenn Sasa Stanisic wirklich glaubt, dass die Antifa antifaschistisch ist, dann glaubt er auch, dass Zitronenfalter Zitronen falten.

Unfreiwillig zeigt Stanisic das Scheitern der deutschen Integrationspolitik (z.B. S. 132, 151): Die in großer Zahl ins Land kommenden Ausländer werden erst einmal in ein Ausländerviertel abgeschoben. Sowas gibt es also auch im schönen Heidelberg. Nach einer Schule, auf der es überhaupt nur Ausländer gab, ging er dann auf die „Internationale Gesamtschule Heidelberg“. Die Unehrlichkeit des Systems zeigt sich in dem euphemistischischen Namen der Schule: Bei „international“ denkt man an eine Privatschule, wo die Kinder von Gastprofessoren, ausländischen Managern und den oberen Zehntausend von Heidelberg unterrichtet werden. Es ist aber nur die Schule vom Viertel. In manchen Klassen seien die Deutschen in der Minderheit gewesen. Stanisic meint, das sei sicher eine gute Erfahrung, auch mal in der Minderheit zu sein. Was es bedeutet, im eigenen Land ungefragt in die Minderheit zu geraten, reflektiert er nicht.

Grenzen hält Sasa Stanisic offenbar für überflüssig. Jedenfalls meint er, dass er Grenzen nichts verdanke (S. 217). Was für ein Unsinn! Denn warum flüchtet ein Flüchtling über eine Grenze, wenn sie keine Bedeutung hätte? Die Grenze bietet Schutz, denn die Verfolgung endet an der Grenze. Irgendwie hat Stanisic nicht verstanden, dass Grenzen einen geschützten Raum konstituieren. Er meint auch, dass seine Flucht aus Jugoslawien heute an einem ungarischen Grenzzaun enden würde (S. 123). Auch das ist falsch. Damals kamen in 2-3 Jahren rund 350000 zumeist echte Bürgerkriegsflüchtlinge nach Deutschland. Das ist gar kein Vergleich zu den 1,5 Millionen Migranten von 2015, unter denen mehr Trittbrettfahrer als echte Flüchtlinge waren. Wieso hätte Ungarn damals die Grenzen schließen sollen? Die Situation war eine völlig andere! Wie man Horden junger Männer mit Smartphone und Designerklamotten in einen Topf werfen kann mit echten (Bürger-)kriegsflüchtlingen, nämlich eher Frauen und Kinder ohne Männer (wie meine schlesische Großmutter z.B.!), werde ich nie verstehen. Wieviel Energie zum Selbstbetrug muss jemand haben, um so zu denken? Stanisic übernimmt ja auch vorgegebene Sprachregelungen und redet konsequent von „Geflüchteten“, nicht von „Flüchtlingen“ (S. 125, 129, 152, 185, usw.). Man muss ja froh sein, dass Stanisic nicht mit Binnen-I schreibt.

Ganz im Stil der maßlos übersteigerten EU-Ideologie, mit der sich die EU tragischerweise gerade selbst zerstört, wettert Stanisic auch gegen die „Kleinstaaterei“ (S. 64). Haben kleinere Staaten nicht ihren eigenen Charme? Etwa die Schweiz? Oder Norwegen? Sind große Staaten nicht eher unpersönliche Machtblöcke ohne Individualität, denen jeder Charme fehlt?

Fazit

Sasa Stanisic ist literarisch und menschlich auf einem guten Weg. Er hat ein lesenswertes Denkmal für seine Herkunft aus Jugoslawien und seine Ankunft in Deutschland gesetzt. Auf tragisch-wunderbare Weise, denn manches an diesem Denkmal konterkariert, was er an anderer Stelle sagt. Leider ist Sasa Stanisic ein unaufgeklärter Idealist und politisch völlig auf dem Holzweg. Er steckt beim Thema Herkunft in einigen Selbstwidersprüchen fest, und er hat nicht verstanden, dass er die Dämonen selbst heraufbeschwört, die er so gerne bannen möchte. Er ist ein guter Beobachter, aber ein schlechter Denker.

Der Deutsche Buchpreis ging an dieses Buch, weil es den Zeitgeist der Eliten in Politik, Medien und Kultur traf, aber nicht, weil es ein Stachel im Fleisch wäre. Zu einem Stachel im Fleisch zu werden, dorthin muss Stanisic erst noch kommen. Man möchte ihm eine Midlife Crisis wünschen, in der er gegen das dumme öffentliche Geschwätz eine bessere Vereinbarkeit von Ideal und Wirklichkeit findet, in der er seine radikalen Einseitigkeiten zugunsten eines großen Sowohl-als-Auch fallen lässt.

Sasa Stanisic ist seit 2013 deutscher Staatsbürger, und mit Heidelberg-Romantik, Multikulti-Romantik und dem Romantiker Eichendorff steckt er mitten drin im deutschen Wald und Sumpf. Deutsch sein hieß aber schon immer auch, Wälder zu roden und Sümpfe trocken zu legen, um gutes Ackerland zu gewinnen, auf dem dann tausendfältige Frucht wachsen kann. Dazu muss man aber die Romantik fallen lassen, und sich für die Aufklärung öffnen.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 03. November 2019)