Schlagwort: Physik

Tibor Rode: Das Rad der Ewigkeit (2013)

Gelungene historische Schnitzeljagd mit noch ungehobenem Potential

Der Hintergrund dieses Historienromans ist in der Tat spannend und gut ausgesucht: Es geht um den Erfinder Orffyreus, der im 17. Jahrhunderts angeblich ein Perpetuum Mobile erfunden haben soll, und damit die damalige Fachwelt um Newton und Leibniz in Aufruhr versetzte. In Deutschland sind diese Geschehnisse weitgehend vergessen, in England jedoch sollen sie auch heute noch bekannt sein. In der Tat sind diese Geschehnisse es wert, beleuchtet zu werden.

Das schafft dieser Roman ganz ausgezeichnet, indem er auch den historischen Bergpark in Kassel mit seinem berühmten Herkules auf glaubwürdige Weise damit in Verbindung setzt, denn Orffyreus lebte damals in Kassel: So muss gute Literatur mit Geschichte umgehen: Nicht verfälschen, sondern so ergänzen, dass das bestmögliche dabei herauskommt.

Rund um diese historischen Geschehnisse entfaltet der Roman eine historische Schnitzeljagd in der Gegenwart, die von verschiedenen, teils jahrhundertealten Interessengruppen getrieben wird. Dazwischen wird in Rückblenden die Geschichte von Orffyreus Stück für Stück enthüllt, Gegenwart und Vergangenheit verzahnen und kommentieren sich … – perfekt!

Der Roman ist ein Debut und leidet deshalb an einigen wenigen Stellen unter gewissen erzählerischen und sprachlichen Schwächen, die aber angesichts der Gesamtleistung nicht weiter ins Gewicht fallen. Schon schwerer wiegt der allzu offene Schluss des Romans: Zwar sind die beiden Hauptpersonen den „Bösewichtern“ zunächst glücklich entkommen und auch sehr reich geworden, aber die „Bösewichter“ sind immer noch in der Welt und werden sie weiter jagen, davon muss der Leser ausgehen. Eine Lösung ist das nicht.

Auch die Verzahnung von Vergangenheit und Gegenwart passte nicht immer. Teilweise liefen die beiden Handlungsstränge unverbunden nebeneinander her. Deshalb ein Punkt Abzug. Bei Behebung solcher Schwächen ist von diesem Autor aber noch einiges zu erhoffen.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 18. Februar 2014)

Randall Munroe: what if? – Serious Scientific Answers to Absurd Hypothetical Questions (2014)

Komische und lehrreiche Absurditäten, die in ihrer unpolitischen Harmlosigkeit politischer sind, als es scheint

Randall Munroe, Autor der Nerd-Comic-Reihe xkcd, hat mit „what if?“ eine Sammlung von herrlich absurden Fragestellungen vorgelegt, die er mit ebenso absurder Konsequenz zu beantworten versucht – darin liegt die Komik. So geht es z.B. um die Frage,

  • ob man in einem Abklingbecken für Atombrennstäbe gefahrlos schwimmen könnte (ja, könnte man),
  • ob man eine Mauer in Form des bekannten Periodensystems der Elemente errichten könnte, wobei jeder Mauerstein tatsächlich aus dem entsprechenden Element des Periodensystems gefertigt ist (nein),
  • ob man den Mond rot färben könnte, wenn jeder Mensch einen Laserpointer auf den Mond richten würde (nein),
  • ob man ein Steak braten könnte, indem man es aus hoher Höhe auf die Erde fallen lässt (nein),
  • was geschehen würde, wenn das sprichwörtliche Glas plötzlich tatsächlich halb leer wäre (Vakuum-Implosion führt zu Scherben),
  • wann das Internet eine größere Bandbreite haben wird als eine Postsendung mit Datenträgern (niemals),
  • ob die Beschreibungen antiker Schlachten wahr sind, dass die Pfeile der Bogenschützen die Sonne verdunkelten (nein).

Der konsequente Versuch, diese Fragen zu beantworten, führt zu originellen Überlegungen und bringt einen immer wieder zum lachen. Da viele Möglichkeiten zu einem Versagen oder auch zum Tod führen, ist Sarkasmus die vorherrschende Form des Humors. Alle Fallbeispiele sind reichlich mit Grafiken im xkcd-Stil garniert.

So nutzlos die besprochenen Beispiele auch sind, so kann man doch eine Menge lernen: Man lernt vor allem, Möglichkeiten und Plausibilitäten abzuschätzen, mit Statistik umzugehen, und um die Ecke und out-of-the-box zu denken. Und nicht zuletzt die Dinge mit ein wenig Humor zu nehmen. Das ist nicht wenig.

Kritik

Die Auswahl der Themen ist konsequent harmlos: Es geht um rein naturwissenschaftliche Fragen, vor allem aus Physik und Astronomie, um den Büroalltag, um Sport, Freizeit und Urlaub – es geht durchweg nicht um „gefährliche“ Themen wie Politik und Religion. Das ist sehr unglücklich.

Denn erstens kommen gerade bei diesen „gefährlichen“ Themen die oben genannten Kompetenzen voll zum Tragen: Kann das überhaupt stimmen, was die Medien uns erzählen? Kann das überhaupt funktionieren, was die Politiker planen? Da ist es schon seltsam und auffällig, gerade diese Fragen auszuklammern. Nur die Frage, ob man in einem Abklingbecken für Atombrennstäbe schwimmen könnte, ist ein wenig politisch, aber auch nur für deutsche Verhältnisse. Denn in den USA, wo das Buch entstand, ist auch dies offenbar eine völlig unpolitische Frage.

Es ist aber zweitens auch deshalb unglücklich, weil damit eine Geisteshaltung des Vermeidens „gefährlicher“ Themen eingeübt wird. Der aufrechte Demokrat will aber keine „gefährlichen“ Themen vermeiden, sondern diese vielmehr unerschrocken ansprechen und rational diskutieren. In diesem Sinne ist dieses Buch ein Beitrag zu einer mindestens undemokratischen, wenn nicht gar antidemokratischen Gesinnung. Man erinnert sich an „Generation Golf“ von Florian Illies, wo es für unprofessionell gehalten wurde, sich politisch zu äußern. Für den humanistisch gesinnten Bildungsbürger ist das keine akzeptable Position. Ein Teil unserer heutigen Probleme mit der Demokratie geht definitiv auf solches Denken zurück.

Es gibt auch etwas zuviel Sarkasmus in diesem Buch, so dass die Stimmung manchmal in Zynismus hinübergleitet. Zynismus ist aber keine erstrebenswerte Geisteshaltung. Sarkasmus und Zynismus korrespondieren mit der festgestellten undemokratischen Gesinnung: Man hält es für klug, sich rauszuhalten, und lacht dann sarkastisch oder zynisch, wenn die Dinge den Bach heruntergehen. Was fehlt ist Optimismus, Mut zum Ausprobieren und auch Bereitschaft, Kritik zu kassieren, sowie die Freude am Gelingen.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.