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Wolfgang Koeppen: Der Tod in Rom (1954) – Teil 3 der Trilogie des Scheiterns

Erdenschwere Auseinandersetzung um Täter, Schuld, Söhne, Bewältigung

Der dritte Roman „Der Tod in Rom“ aus der „Trilogie des Scheiterns“ von Wolfgang Koeppen befasst sich mit weiteren Gruppen von Deutschen: Den Tätern, den willigen Mitläufern, deren Söhnen und deren Bewältigungsstrategien, aber auch mit Opfern. Im ersten Roman ging es noch um die kleinen Leute, im zweiten Roman um die Politiker und Journalisten des Wiederaufbaus.

Im Zentrum des Romans steht die Familie Pfaffrath-Judejahn, deren Teile sich durch Zufall alle in Rom aufhalten und dort treffen. Wieder laufen verschiedene Handlungsfäden nebeneinander her, bis sie sich immer mehr berühren und verstricken.

Judejahn, der alte NS-General, arbeitet inzwischen für ein arabisches Regime, für das er als Waffenhändler mit Diplomatenpass, Limousine und Chauffer in Rom ist. Im Nürnberger Kriegsverbrechertribunal wurde er in Abwesenheit zum Tod verurteilt. Judejahn ist der uneinsichtige Nazi, ignorant, befehlsgewohnt, aber auch alt geworden und leidet daran, dass er nicht mehr befehlen kann. Psychologisch wird immer wieder auf den infantilen kleinen Gottlieb angespielt, der in dem General steckt. Literarisch werden ihm die Symbole von Tod und Teufel zugeordnet.

Friedrich Wilhelm Pfaffrath war vor dem Krieg Oberpräsident, als der er dem Dirigenten Kürenberg die Scheidung von seiner jüdischen Frau aus der Kaufhausfamilie Aufhäuser nahegelegt hatte. Kürenberg lehnte ab und emigrierte. Heute ist Pfaffrath demokratisch gewählter Bürgermeister. Er sieht die Verbrechen der Nazis als „Fehler“, meint aber, man könne danach weitermachen wie bisher, wiederaufbauen, evtl. sogar einen weiteren Krieg zum Ausgleich führen.

Seine Frau ist die Schwester von Eva, der Ehefrau Judejahns. Eva ist NS-gläubig und versteht die Welt nicht mehr. Sie wollen sich mit Judejahn treffen, zum ersten Mal nach dem Krieg, und über eine mögliche Rückkehr Judejahns beraten, dem Pfaffrath einen Beamtenposten verschaffen möchte.

Dietrich Pfaffrath ist Sohn von Friedrich Wilhelm Pfaffrath, und ein Karrierist. Er bemisst alles und alle nur danach, ob es ihm auf dem Karriereweg nützen kann. Friedrich Wilhelm und Dietrich Pfaffrath sind eigentlich die zwei Charaktere, die den Leser am meisten verzweifeln lassen, denn sie sind zwar definitiv keine Nazis, aber eben doch willige Mitläufer, Karrieristen, deren Ideologie das Mitmachen und das Erfolghaben ist. Die Plage aller Zeiten.

Siegfried Pfaffrath ist Sohn von Friedrich Wilhelm Pfaffrat und hat sich komplett von der Familie losgesagt. Als Kind hat er mitbekommen, wie sein Vater Kürenberg die Scheidung von Ilse Aufhäuser nahelegte, wie das Kaufhaus Aufhäuser brannte, und später stöberte er in der geplünderten Bibliothek der Aufhäusers. Siegfried war auf einer NS-Ordensschule, ist Komponist geworden, und zu einem Musikkongress in Rom, auf dem Kürenberg seine Symphonie aufführen wird, ein Stück voller Verzweiflung und Zerstückung des Geistes. Siegfried Pfaffrath ist zum Päderasten geworden. Ein Menschenleben in dieser Welt zu zeugen ist ihm ein Greuel.

Adolf Judejahn ist der Sohn von Judejahn, der Priester wurde. Er war zusammen mit Siegfried auf einer NS-Ordensschule, und liefert sich im Laufe des Romans zwei hochinteressante Gespräche um die Verstrickung und um das Entkommen daraus, welches Handeln Sinn hat, und wie es weitergehen soll. Beide sind ratlos und wissen um die Brüchigkeit der rationalen Legitimation ihres Weges. Sie fragen sich, ob sie es sich nicht zu einfach machen usw.

Die Klimax des Romans ist mehrfach: Alles trifft sich im Konzert zur Aufführung der Symphonie von Siegfried. Danach trifft sich alles in den Künstlerräumen hinter der Bühne. Dann trifft sich alles in einer Schwulenbar. Zum Schluss erschießt Judejahn Ilse Kürenberg, und stirbt an einem Schlag.

Kritik

Wolfgang Koeppen malt auch hier zu schwarz. Für ihn ist die ganze Geschichte eine Orgie von Macht und Sinnlosigkeit. Ganz so verdorben ist die Menschheit dann doch nicht. Außerdem gerät Koeppen durch diese Sicht in Gefahr, das Besondere der NS-Verbrechen zu relativieren. Würde Koeppen seine Verzweiflung über die Menschheit konsequent zu Ende denken, würde er beim Pfaffrathschen Denken herauskommen: Fehler sind geschehen, aber nichts besonderes, und jetzt muss wieder aufgebaut werden – das ist eben zu einfach gedacht.

Koeppen beobachtet vieles richtig, repräsentiert aber dennoch eine extreme Überreaktion auf den Nationalsozialismus. Dies wird auch deutlich an seiner für ihn selbst fragwürdigen Vision einer Nation ohne jedes nationale Pathos. Lösungen bietet dieses Buch gar keine. Nur Zweifel und Verzweiflung.

Für einen Menschen wie Koeppen, der in einem Interview mit Marcel Reich-Rarnicki angab, doch lieber an Gott zu glauben, und sich auch sonst versöhnlicher zeigte, ist das eigentlich erstaunlich. Vielleicht ist es mit seinen Büchern wie mit seinem Interview: Erst auf Nachfrage relativiert und präzisiert Koeppen eine anfänglich allzu harte, allzu einseitige Aussage. Ein Buch lässt sich leider nicht befragen.

An einer Stelle blitzt kurz doch so etwas wie die Idee eines anderen, besseren Weges auf. Dort nämlich, wo ausgerechnet Friedrich Wilhelm Pfaffrath an eine Zeit vor dem Nationalsozialismus zurückdenkt, an seine Jugend, wo er einen besseren Weg ging, den er aber verließ (S. 562, als Judejahn aus der Schwulenbar wieder herauskommt).

Zusammenfassung

Wolfgang Koeppen thematisiert die Uneinsichtigkeit der Täter und ihr Davonkommen ohne Urteil, und wie sie nach dem Krieg in Luxus leben. Dann die Fortsetzung ihrer Schlechtigkeit in der nächsten Generation. Die hilflosen Versuche der Nachgeborenen, sich von ihren Täterfamilien zu lösen, und ihre Zweifel, ob es gelingt und welchen Sinn ihr Dasein hat.

Noch mehr als sonst in der „Trilogie des Scheiterns“ malt Koeppen schwarz, was nur als extreme Überreaktion auf den Nationalsozialismus gedeutet werden kann. Man nimmt es dem guten Koeppen nicht ganz ab.

Literarisch ist das Buch wieder besser gelungen als der zweite Roman, es gibt wieder mehr gelungene überraschende Effekte und Übergänge von einer Szene zur nächsten, aber es reicht nicht an den ersten Roman heran.

Nebenbei

Der Roman klappert alle bekannten touristischen Orte Roms ab, und verknüpft so die Fragen von Schuld und Bewältigung mit einem Sehnsuchtsort der Deutschen. Der Name „Judejahn“ ist wohl eine Anspielung auf den General Guderian, dessen Namen berlinerisch ausgesprochen „Judejahn“ nahe kommt.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 21. Oktober 2018)

Hans Erich Nossack: Das Testament des Lucius Eurinus (1964)

Problemanalyse einer aufkommenden Religion – ohne angemessene Lösung

Das Testament des Lucius Eurinus von Hans Erich Nossack ist eine genaue Selbstanalyse der eigenen, persönlichen Situation des spätrömischen Politikers Lucius Eurinus. Zentrales Problem seiner Zeit ist das Aufkommen des Christentums. Dieses wird unter allen Gesichtspunkten beleuchtet: Die tieferen und durchaus verschiedenen Motivationen von gebildeten und ungebildeten Menschen, von Männern und Frauen, sich dem neuen Glauben anzuschließen; die Schwäche der eigenen Kultur; die Einfalt der meisten Christen; die Unmöglichkeit, mit Christen rational zu diskutieren; die Hilflosigkeit ihrer Borniertheit gegenüber; deren Heroisierung des Leidens und Opferseins, der Hang zum Beleidigtsein, und deren Habitus des Unterdrückten; deren Kollektivismus („wir“). Schließlich die Möglichkeiten, politisch darauf zu reagieren.

In einem Gespräch mit einem gebildeten Christen wird die Widersprüchlichkeit der neuen Bewegung deutlich: Wie der gebildete Christ selbst immer wieder die Irrtümer und Dummheiten der meisten seiner Glaubensbrüder verurteilen und tadeln muss. Wie er also einem Ideal von Christentum anhängt, das in der Realität schlicht nicht stattfindet. Es wird die Perspektive eröffnet, was es für das Christentum bedeuten wird, wenn es sich gesellschaftlich durchsetzt: Die Anpassung an die Notwendigkeiten, die Gestaltung des Glaubens nach dem Politischen. Am Ende wird das Christentum vielleicht dieselbe Funktion erfüllen wie seine Vorgängerkulte. Der gebildete Christ hat nicht mehr zu bieten als ein Erschrecken über dieser Perspektive.

Die Reflexion des Lucius Eurinus geht aber noch tiefer ins Persönliche hinein: Seine eigene Frau ist – fast beiläufig – Christin geworden, und für den römischen Beamten bricht damit eine Welt zusammen. Wie sich diese scheinbar kleine Veränderung gewaltig auf dessen Konzeption von Leben auswirkt, bis ins Privateste hinein, ist ebenfalls Thema. Die Ehe und das Verhältnis von Ehemann und Ehefrau werden unter einer seltenen Perspektive in den Blick genommen, was wertvoll ist. Am Ende seiner Überlegungen zieht Lucius Eurinus den Schluss aus seinen Überlegungen: In Stille aus einem Leben zu verschwinden, das nicht mehr das Seine ist.

Als Nossack diesen Text 1963 schrieb, dachte er wohl kaum an das Aufkommen des Islam in Deutschland, doch genau diese Perspektive gibt dem Büchlein heute (2012) eine Aktualität, die aufhorchen lässt. Schritt für Schritt begegnen dem heutigen Leser Gedanken und Probleme, die er aus seiner Gegenwart kennt.

Sehr problematisch ist die vorschnelle Resignation und Lebensverneinung, die in Nossacks Werk zum Ausdruck kommt. Auch wenn eine Lage schwierig ist, zum Davonlaufen ist sie deshalb nicht unbedingt. Man hätte gerne erfahren, welcher Philosophie und Weltanschauung Lucius Eurinus selbst anhängt, aus der er seine eigene Kraft schöpft; eine solche muss es doch offensichtlich geben, denn auf welcher Grundlage würde Lucius Eurinus die neue Religion sonst kritisieren? – Wenn Lucius Eurinus wirklich von seiner eigenen Weltanschauung überzeugt ist, dann würde er der neuen Religion gegenüber geistig standgehalten haben, und daran geglaubt haben, dass sich das Wahre und Gute langfristig durchsetzen wird – oder aber: dass sich das Wahre noch nie durchgesetzt hat und niemals durchsetzen wird, sondern immer eine Sache von Wenigen war. Also in jedem Fall kein Grund für Weltuntergangsstimmung. Lucius Eurinus denkt teilweise wie ein heutiger ungebildeter Islamkritiker, der vor lauter Jammern über den Untergang seiner Kultur und das Aufkommen einer „unbehauenen“ Kultur nicht zu einer konstruktiven Bewältigung der Situation kommt.

Wir finden hier also eine gute Aufbereitung eines Problems, aber keine befriedigende Antwort darauf. Das ist für gute Literatur zu wenig. – Richtig störend ist, dass Lucius Eurinus die Christen ständig als „religionslos“ und „Atheisten“ anredet, weil sie seine römische Religion ablehnen. Für den modernen Leser ist das kaum verständlich, dass hätte Nossack anders machen müssen.

Fazit: Sehr interessant und lesenswert, aber nicht gut genug.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 22. November 2012)