
Tricks und Taktiken erkennen und durchschauen lernen
Die Welt ist oft nicht so, wie sie uns erscheint. Speziell dort, wo verschiedene Kräfte miteinander ringen, kommen auch Listen, Tricks und Täuschungen zum Einsatz. Das ist natürlich vor allem in der Politik so, aber auch im ökonomischen Wettbewerb, im Ringen um philosophische oder theologische Standpunkte, im real existierenden Wissenschaftsbetrieb, im persönlichen Wettbewerb um Posten und Karriere, bis hin zum Gerangel im Ehe- und Familienleben. „Strategem“ ist der Fachbegriff für Listen, Tricks und Täuschungsmanöver. Professor Christian Rieck, ein Ökonom mit Spezialgebiet Spieltheorie, hat dazu einiges zu sagen, unterfüttert durch seine wissenschaftliche Sicht.
Das Buch
Auf der Grundlage historischer Sammlungen von Strategemen, speziell der chinesischen „36 Strategeme“, die dem General Tan Daoji (gestorben 436 n.Chr.) zugeschrieben werden, aber auch der „Strategemata“ des Römers Sextus Iulius Frontinus (ca. 40-103 n.Chr.), hat Christian Rieck eine Sammlung von Strategemen vorgelegt. Dazu werden immer zuerst die traditionellen Titel und Geschichten der Strategemata präsentiert, wozu auch Fabeln und Sinngeschichten gehören. Danach zeigt der Autor auf, wo diese Strategeme im modernen Leben zu beobachten sind.
Hauptzweck des Büchleins ist die Sensibilisierung für das Erkennen von Strategemen. Der Leser soll seine Naivität verlieren, Skepsis gewinnen, und geübt darin werden, hinter die Kulissen zu schauen. Das gelingt dem Autor in überzeugender Weise, nicht zuletzt durch eine ganze Reihe von hochaktuellen Fallbeispielen (das Buch wurde offensichtlich in späteren Auflagen aktualisiert). Die Einschätzungen des Autors zu Vorgängen unserer unmittelbaren Zeitgeschichte sind hochgradig zustimmungsfähig. Wer schon etwas älter ist, wird vieles finden, was er sich schon selbst gedacht hatte. Speziell jüngere Leser dürften durch dieses Buch schneller auf die Sprünge gebracht werden, besser zu erkennen, in was für einer Welt sie leben.
Interessant, aber weniger gelungen, ist der Ansatz, eine Krise als einen Akteur von Strategemen zu begreifen: Wie wenn uns eine Krise als handelnde Person mit List und Tücke begegnen würde. Das ist als Denkfigur zwar geeignet, um das Denken in Strategemen zu üben, ist aber in der Realität nicht so. Eine Krise handelt nicht. Sie vollzieht sich. Hier hat der Autor versucht, sein Buch als Ratgeber für aktuelle Krisen (Corona, Finanzkrise, was immer) aufzuhübschen und Leser mit der Idee zu ködern, von Krisen profitieren zu können. Strategeme sind aber nicht nur ein Thema für Krisenzeiten, sondern beherrschen auch den Alltag.
Kritik
Kritik muss an formalen Aspekten geübt werden. Das Buch ist teils schlampig zusammengestellt. Speziell die Einleitungen der verschiedenen Kapitel knallen dem Leser ohne Zusammenhang erst den chinesischen Titel des Strategems, dann z.B. eine Fabel von Aesop, dann vielleicht auch eine Anekdote aus der römischen Geschichte, und zuletzt auch die traditionelle chinesische Geschichte zum jeweiligen Strategem vor die Nase. Hier fehlen Einleitungen, Überleitungen und Einordnungen. Man hätte sich jeweils auch einen modernen Untertitel zu jedem Kapitel gewünscht, der die Essenz jedes einzelnen Strategems für moderne Leser besser auf den Punkt bringt. Dann wäre auch das Inhaltsverzeichnis des Büchleins „sprechender“ geworden.
Speziell von einem Wissenschaftler hätte man sich noch etwas mehr Abstraktion erwartet: Die 36 traditionellen Strategeme überlappen sich häufig gegenseitig, wie der Autor immer wieder mit Recht bemerkt. Hier hätte man sich den Versuch gewünscht, die 36 Strategeme auf eine noch kleinere Zahl von Elementarstrategemen einzudampfen. Wünschenswert wäre auch eine Tabelle gewesen, die aufzeigt, welche Strategeme mit gleichen Mitteln arbeiten. Ein kleines Literaturverzeichnis hätte nicht geschadet. Etwas mehr historischer Hintergrund wäre nicht schlecht gewesen. Nicht einmal der Name des chinesischen Generals Tan Daoji als Autor der „36 Strategeme“ fällt.
Immer wieder sind Worte in blassblauer Farbe gedruckt: Es handelt sich um Weblinks, die in der gedruckten Fassung des Buches natürlich nicht funktionieren und auch nirgendwo ausgeschrieben vorliegen (etwas in Fußnoten oder einem Anhang). Rechtschreibfehler kommen vor, jedoch nicht allzu häufig. Der aktuelle Preis von 9,99 EUR für die Kindle-Ausgabe und 18,- EUR für Softcover ist zu hoch. 6,- bzw. 12,- EUR wäre angemessener gewesen.
Fazit
Das Buch erfüllt seinen Zweck und lohnt zu lesen, ist aber etwas zu schlampig gemacht.
Bewertung: 4 von 5 Sternen.