Hervorragende Materialsammlung mit ideologischer Schlagseite

Dieser Katalog zur Sonderausstellung des Rosgartenmuseums Konstanz 2023 versammelt eine beeindruckende und wohlgeordnete Fülle von Bildern und Texten zum 175. Jahrestag der Revolution von 1848/49 in Baden. Dabei wird der Schwerpunkt auf die Stadt Konstanz und den berühmten „Heckerzug“ gelegt, der unter Führung von Friedrich Hecker am 13. April 1848 in Konstanz aufbrach, um erst in Baden und dann in ganz Deutschland auf gewaltsame Weise die Monarchie abzuschaffen und eine Republik zu errichten. Der Katalog ist textuell und graphisch ganz analog zur Ausstellung gestaltet, die sich dem Besucher sehr ansprechend präsentierte.

Leider erlagen die Ausstellungsmachern einem typische Denkfehler: Sie gaben der Versuchung nach, ihr Thema enthusiastisch zu überhöhen und kritische Gesichtspunkte herunterzuspielen, während sie gleichzeitig die Gegenseite in rabenschwarzen Farben malen. So etwas erlebt man leider öfter in Ausstellungen.

Welche Revolution?

Eines der Probleme ist der Eindruck, der Heckerzug wäre hauptsächlich die Revolution gewesen. Es wird zwar hie und da eingestreut, geht aber dennoch ein wenig unter, dass es parallel dazu ein ganz anderes, viel wichtigeres Revolutionsgeschehen gab, nämlich die Einberufung der Nationalversammlung in Frankfurt am Main und die Ausarbeitung einer demokratischen Verfassung für Deutschland. Friedrich Hecker und die Seinen waren damals weder die führenden Revolutionäre, noch waren sie die unbestritten „Guten“, sondern sie spielten vielmehr die Rolle der radikalen Fanatiker und Störenfriede.

Es gab Anfang 1848 gewiss keinen Grund für Gewalt, denn mit der Frankfurter Nationalversammlung war ein friedlicher Weg der Revolution eröffnet und im Gange. Die gewaltsame Aktion von Friedrich Hecker hatte vielmehr das Potential, diese friedlichen Bemühungen zu desavouieren, und das wurde von den Frankfurter Abgeordneten auch deutlich zum Ausdruck gebracht. Zumal es völlig utopisch war, mit einem Haufen von Bauern und Bürgern gegen ausgebildetes Militär vorzugehen. Mit Karl Mathy wird nur ein einziger dieser friedlichen Revolutionäre der Frankfurter Nationalversammlung dargestellt. Karl Mathy war entschieden für demokratische Reformen, aber gegen jede gewaltsamen Umsturzpläne. Deshalb unterstützte er auch konsequent das Vorgehen des preußischen Militärs gegen die radikalen Fanatiker in allen Phasen der Revolution.

Obwohl dieser Ausstellungskatalog so reich an Material ist, fehlt darin doch ein markantes Detail, nämlich der kurze Dialog, der sich zwischen Friedrich Hecker und General Friedrich von Gagern vor der Schlacht bei Kandern entspann, in der der Heckerzug dem Militär unterlag. Friedrich von Gagern wollte unnötiges Blutvergießen vermeiden und forderte Hecker zur Kapitulation auf. Als dieser sich verweigerte, sagte von Gagern angeblich den denkwürdigen Satz: „Sie sind gescheit, aber fanatisch!“ – Se non è vero è ben trovato, kann man da nur sagen.

Wer diesen Ausstellungskatalog liest, denkt: Mit der Niederlage von Hecker war die Revolution gescheitert. Die „Reaktion“ hatte mit der Niederschlagung des Heckerzuges gesiegt. Doch weit gefehlt. Die eigentliche Revolution, die Nationalversammlung in Frankfurt am Main, lief weiter. Und die Niederschlagung des Heckerzuges wurde von den Frankfurter Parlamentarieren begrüßt.

Preußen

Die Rolle Preußens und der Hohenzollern wird in diesem Ausstellungskatalog rabenschwarz gemalt. Es bleibt ungesagt, dass die Barrikadenkämpfe in Berlin durch einen einzelnen Schuss ausgelöst wurden, von dem bis heute nicht klar ist, woher er kam. Jedenfalls gab es keinen Befehl zum Schießen und die Kämpfe begannen in jedem Fall ungewollt. Ebenso wurden die Berliner Straßenkämpfe nicht erst beendet, nachdem alle Revolutionäre besiegt waren, sondern der König selbst ließ den ohne Befehl spontan ausgebrochenen Kampf wieder beenden, zeigte sich mit der schwarz-rot-goldenen Fahne und ehrte die Getöteten. Man kann ehrlicherweise nicht behaupten, dass Preußen die Revolutionäre zusammenschießen ließ wie es die Kommunisten am 17. Juni 1953 taten. Alles andere als das.

Man beachte auch, dass die Frankfurter Nationalversammlung dem preußischen Königshaus die deutsche Kaiserkrone antrug. Es war also von den Hauptvertretern der Revolution weder geplant, die Monarchie abzuschaffen, noch scheint Preußen in den Augen der Frankfurter Parlamentarier der Inbegriff alles Bösen gewesen zu sein. Es ist den Ausstellungsmachern auch entgangen, dass Preußen die Kaiserkrone u.a. auch wegen Österreich ablehnen musste, um einen innerdeutschen Krieg zu vermeiden (der dann 1866 doch noch kam). Auch die Erschießung des Abgeordneten Robert Blum war ein Werk der Österreicher, nicht der Preußen. Der ganze Vormärz wurde von den Österreichern und ihrem Staatskanzler Metternich beherrscht. Davon liest man in diesem Ausstellungskatalog aber nicht viel.

Völlig obskur ist die Zeichnung der Hohenzollernherrscher und des Kaiserreiches. Wilhelm I. wird z.B. die Niederschlagung der gewaltsamen Umsturzversuche zur Last gelegt, ohne dabei an den Standpunkt von Karl Mathy (siehe oben) zu erinnern. Das Wahlrecht des Kaiserreiches wird als „stark beschränkt“ beschrieben. Das ist objektiv falsch. Historiker wie Hedwig Richter weisen darauf hin, dass das Wahlrecht des Kaiserreiches demokratischer war als in manchen Demokratien. Auch sei das Kaiserreich „militärisch strukturiert“ gewesen: Das ist mindestens eine Übertreibung. Wir verzichten auf eine Auflistung weiterer Irrtümer, der ideologische Tenor dieses Ausstellungskataloges ist klar.

Der Vogel wird aber ganz am Ende auf S. 148, schon mitten im Bildnachweis, abgeschossen: Dort ist das bekannte Vier-Generationen-Foto der Hohenzollern (Wilhelm I., Friedrich III, Wilhelm II. und Kronprinz Wilhelm als Baby) abgedruckt und mit den Worten versehen: „Diese Drei herrschen bis 1918 über das neue Kaiserreich: … Das Baby Wilhelm dient sich als Kronprinz a.D. schon vor 1933 dem „Führer“ Adolf Hitler als Wahlkämpfer an.“ – Hier wird schamlos die schwarze Legende von einer direkten Kontinuität der deutschen Geschichte im Nationalsozialismus behauptet! Wir sahen schon, dass die Rolle Preußens in der Revolution völlig falsch dargestellt wurde. Soviel also zu Wilhelm I. Von Friedrich III. haben die Autoren dieses Ausstellungskataloges offenbar nie gehört, dass er ein Liberaler war, und dass Deutschland zweifelsohne einen liberalen Kurs eingeschlagen hätte, wäre er nicht viel zu früh an Krebs gestorben. Und Wilhelm II. hat immerhin Bismarcks Sozialistengesetze aufgehoben und die Sozialdemokratie wieder zugelassen, und war auch sonst moderner, als manche meinen. Einer Kooperation mit dem Nationalsozialismus hat sich Wilhelm II. stets verweigert.

Vermutlich muss man diese zynische Bildlegende, die gnadenlos in die Irre führt und zudem einem Baby (!) gewissermaßen eine historische Erbschuld zuschreibt, als eine Reaktion auf die aktuell laufende öffentliche Debatte um die Rolle der Hohenzollern im Nationalsozialismus deuten. Diese Debatte wurde durch Rückforderungsklagen des Hauses Hohenzollern ausgelöst. Kein Historiker sollte sich zu einem solchen kurzsichtigen, politischen und falschen Denken hinreißen lassen. – Ebenso aktuell und zugleich verfehlt ist der Bezug zum sogenannten „Synodalen Weg“ der deutschen katholischen Kirche in diesen Tagen (S. 87). Dieser wird weltweit auch von liberalen Bischöfen und Theologen als zu radikal kritisiert, ganz wie damals der Heckerzug. Aber dieser Ausstellungskatalog hat ganz offensichtlich kein Gespür für die Übertreibung und die Gefährlichkeit von Radikalität. Dass auf dem hinteren Klappentext Friedrich Engels zur Notwendigkeit von Revolutionen zitiert wird, wundert dann schon nicht mehr.

Anderes

Eine Stärke dieses Ausstellungskataloges ist die Beleuchtung zahlreicher Nebenaspekte, die sonst in den Geschichtsbüchern unterbelichtet bleiben, z.B.:

  • Der Aufbau eines Netzwerkes bzw. einer Partei durch Johann Adam von Itzstein durch Treffen auf seinem Weingut in Hallgarten nahe des Klosters Eberbach im Rheingau.
  • Die Rolle von Frauen und die Frage des Frauenwahlrechts.
  • Der Antisemitismus mancher Revolutionäre.
  • Der Abriss der historischen Stadtmauer in Konstanz als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in Zeiten der Not.
  • Die Verfassungsentwicklung in der Schweiz (Sonderbundskrieg) und die Verflechtungen von Schweizer Persönlichkeiten mit Deutschland.
  • Die Dialektik der Revolution und der Schweiz: Schweizer Verleger drucken Revolutionsschriften und schmuggeln sie nach Deutschland. Schweizer Waffenfabrikanten liefern Waffen an die deutschen Revolutionäre. Die Schweiz nimmt fliehende Revolutionäre auf. Es kommt zu den üblichen Migrationsquerelen.
  • Das spätere Wirken zahlreicher Revolutionäre in den USA wird ebenfalls recht ausführlich beleuchtet. So kämpften sie vielfach gegen die Sklaverei, auch als Soldaten im Bürgerkrieg. Oder sie setzten sich gegen die Vertreibung und für die Integration der Indianer in die moderne Gesellschaft durch Bildung ein (was heute in manchen Kreisen auch schon als rassistische Anmaßung gewertet wird; gut, dass dieser Ausstellungskatalog da nicht mitmacht).

Man muss in diesen Tagen auch dankbar sein, dass die Texte nicht gegendert sind.

Fazit

Eine höchst brauchbare und ansprechend gestaltete Materialsammlung, die mancherlei Anregung zu geben vermag. Der Leser sollte allerdings beim Lesen den Verstand nicht ausschalten und die Schlagseite dieser Publikation mitbedenken.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.