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J.D. Vance: Hillbilly-Elegie – Die Geschichte meiner Familie und einer Gesellschaft in der Krise (2016)

Soziale Selbstblockaden und sozialer Aufstieg – ein großes Lehrstück für jedermann und jede Zeit

Der Hintergrund der Hillbilly-Elegie von J.D. Vance ist die soziale Situation der sogenannten „Hillbillies“, d.h. der Nachfahren von iro-schottischen Einwanderern, die aus den Apalachen in die Industriestädte gezogen waren, um dort als Arbeiter ihr Geld zu verdienen – und welches Schicksal sie ereilte, als die Industrie abzusterben begann. Das zentrale Thema des Buches sind aber nicht die äußeren Umstände der Verarmung und sozialen Verelendung der Hillbillies, sondern die Denk- und Verhaltensweisen der Hillbillies, mit denen sie sich selbst in ihrer misslichen Lage gefangen halten.

Hillbillies sind bildungsferne Menschen. Sie erkennen den Wert einer guten Schulbildung nicht und können sich außer einem Industriearbeitsplatz nichts anderes vorstellen. Hillbillies sind außerdem sehr auf die Familienehre bedacht, und sie werden leicht gewalttätig. Damit verbauen sie sich aber oft genug selbst jede Chance auf Aufstieg. Ehen zerbrechen und Kinder wachsen in instabilen Verhältnissen auf. Hillbillies verlassen ihren Wohnort auch nicht, wenn es dort keine Arbeit mehr gibt, sondern bleiben. Soziale Wohltaten des Staates töten zudem jede Motivation, sich anzustrengen. Die Schuld für alle Probleme wird immer bei anderen gesucht. Religion spielt ebenfalls eine Rolle, aber eher im Sinne von Aberglauben. Ein konsequenter religiöser Glaube wirkt in diesem Milieu stabilisierend.

J.D. Vance hatte das Glück, zwei Großeltern gehabt zu haben, die ihm die nötige Stabilität und die nötigen Impulse geben konnten, um sich aus dem Milieu zu befreien. Wir können J.D. Vance dabei zusehen, wie er sich Schritt für Schritt aus dem Sumpf befreit, dabei immer wieder Hilfe von anderen – und durch Zufälle – erfährt, und auch immer wieder umdenken und sich selbst hinterfragen muss. So praktisch und realistisch hat man das noch nicht gelesen. Es ist sehr überzeugend.

Sehr interessant auch zu lesen, wie J.D. Vance bei den Marines die nötige Charakterstärke erlernte. Spätestens hier wird sich auch ein Mittelschicht-Leser fragen: Warum habe ich solche Dinge nicht gelernt? Warum werden solche nützlichen Dinge nicht in der Schule gelehrt? Interessant auch der Werdegang von J.D. Vance an der Universität: Kommunikation und Beziehungen zu Menschen sind das A und O beim Fortkommen, nicht nur an der Uni. Besonders stark sind die Passagen, in denen J.D. Vance auch später noch erkennen muss, dass er immer noch schädliche Charakterzüge der Hillbillies in sich trägt, die je nach Gelegenheit emotional aus ihm hervorbrechen, obwohl er glaubte, bereits alles durchschaut zu haben.

J.D. Vance hat die Probleme seines Milieus in der Wissenschaft analysiert gefunden: Allerdings nicht für die Hillbillies, sondern für gewisse Milieus von Schwarzen in den USA. Es ist verblüffend, wie sich die Probleme gleichen. Als deutscher Leser kann man hinzufügen, dass es vergleichbare Probleme auch mit gewissen Milieus von Zuwanderern in Deutschland gibt. Vielleicht auch mit gewissen Milieus in Ostdeutschland oder generell in ökonomisch abgehängten Regionen in Deutschland, von denen es ja immer mehr gibt.

Welche politischen Lehren und Ratschläge zieht J.D. Vance aus seinen Erfahrungen? Erstens, dass es keine Patentlösungen gibt. Am Ende muss der Wille von den Betroffenen selbst kommen. Was man machen kann, ist, den Betroffenen immer wieder „kleine“ Anstöße und Hilfen zu geben, sich langsam, Schritt für Schritt, aus dem Sumpf herauszuarbeiten. Es gibt aber keine Garantie dafür, dass die Betroffenen die Anstöße und Hilfen auch aufgreifen. Man muss dennoch immer weitermachen mit den Anstößen und Hilfen. – Allzu großzügige soziale Wohltaten des Staates sind natürlich schädlich für die nötige Motivation, sein Leben zu ändern. – Schließlich plädiert J.D. Vance für die soziale Durchmischung von Stadtvierteln: Die Abgehängten dieser Welt brauchen Vorbilder für ein gelingendes Leben, an denen sie sich orientieren können. Leider geht J.D. Vance nicht darauf ein, dass die Mittelschicht kein Interesse an einer sozialen Durchmischung mit der Unterschicht hat, weil sie dabei nur Nachteile erfährt.

Fazit

Mit Hillbilly-Elegie hat J.D. Vance ein großes Lehrstück über das wahre Wesen von sozialen Unterschichten geschrieben, das praktisch überall auf der Welt anwendbar sein dürfte. Dabei zertrümmert J.D. Vance die typischen Mythen von Sozialpolitikern, deren Lösungsvorschläge im wesentlichen darauf hinauslaufen, Geld in die Unterschichten zu pumpen. Es fehlt aber nicht zuerst an Geld, sondern vor allem am richtigen Bewusstsein. Soziale Durchmischung und gute Schulen helfen mehr als jede Sozialhilfe. Ebenso ein enger Zusammenhang von Fördern und Fordern, bei der das Fordern nicht zu klein geschrieben wird.

Speziell für die Probleme der Zuwanderung – über die J.D. Vance sich in diesem Buch nicht äußert – kann man aus den Ausführungen von J.D. Vance schließen, dass man nur so viele Zuwanderer gut integrieren kann, solange eine gute soziale Mischung gewährleistet werden kann. Es gibt also eine Obergrenze für Zuwanderung, und sie wird nicht durch Geld bestimmt, sondern durch das schiere Zahlenverhältnis von Einheimischen und Zuwanderern.

Man würde wünschen, dass jeder Sozialpolitiker und überhaupt jeder Linke dieses Buch liest. Vor allem aber möglichst viele junge Menschen aus der Unterschicht. Doch auch der Mittelschicht-Leser wird im Laufe der Lektüre dazu angeregt, über seinen eigenen Werdegang nachzudenken. Denn wir alle leiden unter falschen Denkmustern, die unser Herkunftsmilieu mit sich brachte, wenn auch nicht so stark wie im Hillbilly-Milieu.

Eine Frage, die J.D. Vance nicht aufwirft, ist die Problematik einer allzu großen Anpassung an ein Aufsteigermilieu. Es ist sicher richtig, dass man mit Kommuikation und Beziehungen nach oben kommt, aber allzu große Anpassung und Aalglattheit bergen natürlich die Gefahr, die eigene Seele zu verkaufen und zu einem Anzug ohne Inhalt zu werden. Über diese Balance hätte J.D. Vance mehr sagen sollen.

Die Hillbilly-Elegie von J.D. Vance ist alles andere als ein typisches Politiker-Buch voller Worthülsen und leerer Euphorie, sondern wahrhaft lesenswert und bereichernd. Ein Grund dafür ist sicherlich, dass J.D. Vance dieses Buch schrieb, bevor er in die Politik einstieg.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

Edith Wharton: The House of Mirth (1905)

Drama eines erwachenden Menschen in einer kalten, langweiligen Gesellschaft

Oberflächlich betrachtet ist dieser Roman ein feministisches Buch, in dem eine Frau daran zugrunde geht, dass Frauen in der Welt von 1900 nur durch Männer an Geld kommen. Doch diese Betrachtungsweise greift entschieden zu kurz. In diesem Roman sind auch Frauen Täter und Männer Opfer, wie explizit gesagt wird. Und die besondere Konstellation der Protagonistin ist ein zeitloses Problem: Ein Mensch wird durch seine Eltern auf ein bestimmtes Gleis gesetzt, doch nach und nach bemerkt dieser Mensch, dass der für ihn vorgesehene Weg falsch und für ihn nicht gangbar ist.

Der Roman spielt im New York um 1900, und es geht um die Gesellschaft des Geldadels von New York. Die High Society trifft sich mal auf diesem, mal auf jenem Landsitz, oder fährt mit der eigenen Jacht nach Monte Carlo. Wer eingeladen ist, ist dabei, und die schöne und intelligente Lily Bart ist ständig eingeladen. Ohne eigenes Vermögen wurde sie von ihrer Mutter auf das Lebensziel hin erzogen, einen Millionär zu heiraten. Doch Lily schreckt immer im letzten Moment zurück. Sie kann es nicht. Sie liebt diese Männer nicht. In Lawrence Selden hat sie einen Komplizen, der die Gesellschaft durchschaut hat. Sie hat Gefühle für ihn. Doch er ist kein Millionär. Und er respektiert ihre Ziele.

Weil sie dauerhaft keinen Mann findet, beginnt Lily Bart „Fehler“ zu machen und sich in dem Haifischbecken dieser „feinen“ Gesellschaft aus Intrigen, Ansprüchen, Neid, Begehrlichkeiten und übler Nachrede zu verlieren. Männer, die ihr finanziell aushelfen, erwarten Gegenleistungen, die sie nicht erbringen will, was sie in Schulden stürzt. Frauen, die sie zur Ablenkung ihrer Männer benutzen, machen sie hinterher zum Sündenbock, was zu ihrer Ausladung aus der Gesellschaft führt. Lily beginnt, die soziale Leiter herabzusteigen, bis zu Armut und Elend. Dabei erkennt sie immer mehr, welchen gedankenlosen Irrtümern sie als Mitglied der High Society unterlegen war.

Lily erhält zwar Hilfe von Freunden, doch es fällt ihr schwer zu erkennen, dass das für sie vorgesehene Lebensziel falsch war. Die Liebe zwischen Lily und Selden kommt bis zuletzt nicht zum Durchbruch, bis es zu spät ist.

Das Buch ist in einer sehr schönen Sprache geschrieben und enthält zahlreiche Dialoge und Situationen, die grundlegende Einsichten mit Esprit gestalten, und zum Merken und Wiederlesen einladen. Es gibt zwar einige Zufälle in diesem Buch, die allzu zufällig sind, aber um der Parabel willen, die das Buch ja sein soll, kann man sich das gefallen lassen. Teilweise werden die Ursachen dafür, dass jemand gesellschaftlich in Ungnade fällt, nur angedeutet, was das Verständnis manchmal etwas erschwert; es ist wirklich eine „hochfeine“ Gesellschaft. Aber allein um einen Einblick in diese Gesellschaft zu erhalten, ist der Roman absolut lesenswert, der sie in allen Details und allen ihren Funktionen und Fehlern beschreibt. Überhaupt handelt es sich um ein wohlkonstruiertes Stück Literatur, ein Drama von antiker Qualität, ein Meisterwerk eigener Art.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 18. September 2019)

Peter Prange: Der letzte Harem (2007)

Übergang der Türkei vom Sultanat zur Republik mit Mord an den Armeniern

Historischer Hintergrund für diesen Roman ist das Ende des Sultanats in der Türkei, die Machtübernahme europäisch orientierter Kräfte, der Erste Weltkrieg und der Massenmord an den Armeniern, unter Anwesenheit von deutschen Verbündeten.

Das alles wird geschildert aus der Perspektive von zwei Frauen, die in den Harem des Sultans verschleppt werden, dort Karriere machen, und dann am Ende der Monarchie ihren eigenen Weg ins Leben finden müssen. Verstrickt darin ist ein fortschrittlicher türkischer Offizier und ein deutscher Mediziner. Das Ende des Romans ist teils melancholisch, teils sehr erfreulich.

Die literarische Qualität ist – wie so oft bei Peter Prange – gehobenes Mittelmaß und schöner Schmalz, der mehr sein könnte, aber leider nicht mehr ist. Worauf es aber wirklich ankommt bei diesem Historienroman ist in der Tat der historische Hintergrund, der durch die Handlung auch tatsächlich gut verlebendigt wird. Gerade deshalb ein lesenswertes Buch!

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 21. Januar 2015)

Elif Shafak: Der Architekt des Sultans (2013)

Erzählter Traum von einer besseren Türkei

Der Roman „Der Architekt des Sultans“ von Elif Shafak ist weniger ein realistischer Historienroman, der die wahre Historie trickreich mit einer spannenden Geschichte hinterlegen würde. Vielmehr ist es ein fast schon märchenhaftes Geschehen, das sich vor dem nur blass gezeichneten Hintergrund der Geschichte Istanbuls im 16. Jahrhundert entfaltet. Im Zentrum steht die Geschichte des Jungen Jahan, der als Elefantenführer nach Istanbul kommt und dort Schüler des berühmten Hofarchitekten Sinan wird.

Zentrale Themen des Buches sind Liebe, Vertrauen und Wohlwollen, dann auch Wissen und Bildung, und als Gegensatz dazu Hass, Verbitterung und religiöse Engstirnigkeit. Da ist zunächst die Liebe des Jungen zu seinem klugen Elefanten. Dann die mordende Geldgier des Kapitäns, der ihn nach Istanbul brachte. Dann der Hofarchitekt, der seine Schüler seltsamerweise danach aussucht, ob sie seelisch heilungsbedürftig sind. Die Sultane, die ihre Konkurrenten um den Thron ermorden lassen. Der schwelende Hass diverser Romanfiguren auf das Osmanische Reich, weil es ihr Land erobert und ihre Familien ermordet hat. Der Forscherdrang des Hofastronomen. Die Engstirnigkeit der Religionsgelehrten. Die Buchhändler voller Weisheit. Die Zusammenarbeit von Menschen verschiedener Religion und Herkunft. Eine islamische Gläubigkeit getragen von Liebe und Barmherzigkeit. Idyllische Zigeuner mit dem Herz am rechten Fleck. Usw. usf.

Shafaks Roman ist im Grunde ein Märchen, das auf die heutige Türkei abzielt, in der dieselben Kräfte wie im Roman immer noch schwer miteinander ringen.

Erzählerisch ist der Roman stark, die Sprache angenehm und gefällig. Man ist durch jede einzelne Episode aufs neue gefesselt. Eine Schwäche ist jedoch, dass der Roman nur einen dünnen roten Faden hat, in den viele kleine Nebenerzählungen eingewoben sind, die nicht dazu beitragen, die Geschichte voranzutreiben, und die teilweise so dramatisch sind, dass man jeweils einen eigenen Roman daraus hätte machen können. Auch die Auflösung diverser Verwicklungen am Schluss des Romans kommt etwas überraschend und hat sich eher nicht im Verlauf des Romans abgezeichnet. Auch die dramatische Eingangsszene wird im Roman dann eher beiläufig abgearbeitet, und auch der Prolog mit dem „Mittelpunkt des Universums“ ist am Ende nicht so zentral für diesen Roman, wie man erwarten könnte. Der Roman krankt ein wenig daran, dass er zu viele „zentrale“ Themen aufmacht, so dass am Ende keines davon mehr wirklich „zentral“ ist.

Eine weitere Schwäche ist eine teilweise zu sehr zur Schau gestellte Freundlichkeit und Rücksichtnahme. Im wirklichen Leben geht es manchmal doch robuster zu, ohne dass es weniger herzlich wäre. Hier ist man versucht, das Wort vom „Frauenroman“ zu bemühen. Schließlich wurde das ganz am Anfang des Romans angeschlagene Gegensatzpaar „Liebe“ vs. „Liebe zum Lernen“ bzw. zur Wahrheit nicht wirklich bearbeitet. Richtig ist, dass Jahan kein Glück in der Liebe hat. Aber der Grund dafür scheint mir keineswegs seine Liebe zum Lernen und zur Wahrheit zu sein, die übrigens nur recht selten im Roman aufscheint. Beide Dimensionen bleiben unverbunden nebeneinander stehen, und stoßen sich nicht gegenseitig. Aus diesem Thema hätte man mehr machen können.

Eine kleine Liste weiterer Themen, die der Roman bearbeitet:

  • Das Verhältnis von Meister und Schüler.
  • Ein Leben voll begeisternder Arbeit, über der das Leben selbst zu kurz kommt.
  • Unerfüllte Liebe. Einsamkeit.
  • Abschied, Tod, Verlust, Verrat.
  • Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft, Verkleidung als Mann.
  • Studienreisen von osmanischen Architekten nach Rom.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 23. Juli 2017)

Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse (2018)

Einsamkeit, asoziale Eigenheiten, Naturverbundenheit, Liebe und Mord

Der Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ erzählt die Lebensgeschichte von Kya, die in einer Hütte im Marschland an der Küste von North Carolina lebt. Der Roman lässt sich grob in vier Phasen gliedern.

Zuerst wird Kya als 6jährige nach und nach von allen Familienmitgliedern verlassen und bleibt allein in der Hütte zurück. Sie muss sich nun allein durchschlagen und bekommt dabei unmerklich Hilfe von verschiedener Seite: Die Verkäuferin rechnet ihr weniger Geld ab als nötig, sie bekommt „zufällig“ alte Kleider, und der etwas ältere Tate bringt ihr Lesen bei und versorgt sie mit Literatur über die Biologie der Marsch, wodurch sie sich autodidaktisch zu einer Expertin für die Biologie der Marsch entwickelt. – Im zweiten Teil geht es um die Liebe zu Tate, der sie jedoch verlässt. Und darum, dass sie sich dem Gecken Chase hingibt, weil sie nicht allein sein will, obwohl der sie nur ausnutzt. – Im dritten Teil ist der Roman ein Gerichtskrimi, denn Kya ist angeklagt, Chase ermordet zu haben. – Im vierten Teil kommt es zu einem Happy End mit Tate, und ganz am Ende gibt es noch einen Paukenschlag.

Der Roman ist dort stark, wo er über die Natur der Marsch und die Verbundenheit von Kya mit ihr erzählt. Auch das Alleinsein von Kya, ihre Einsamkeit, ihre Fähigkeit sich selbst durchzuschlagen, aber auch ihre asozialen, sonderlichen Eigenheiten, die sie sich durch ihr Alleinsein erworben hat, ihr Misstrauen und ihre Naivität gegenüber anderen Menschen, werden überzeugend thematisiert. Das sind die stärksten Aspekte des Buches. Die Liebesgeschichten sind hingegen flacher und nur unter dem Aspekt ihrer Einsamkeit von Interesse. Die erstaunliche Sensibilität von Tate ist das einzig Unglaubwürdige an dem Buch. Der Gerichtskrimi ist ein richtiger Gerichtskrimi zum Mitraten beim Kreuzverhör der verschiedenen Zeugen. Es werden die üblichen Vorurteile der Gesellschaft in den US-Südstaaten thematisiert, aber nicht zu penetrant. Einige Nebenfiguren sind interessant, so z.B. der Vater von Tate, der als Krabbenfischer Gedichte liest und Opernmusik hört.

Das Buch arbeitet viel mit Rückblenden. Während die Lebensgeschichte von Kya voranschreitet, rekonstruieren die Ermittlungen des Scheriffs parallel dazu das Geschehen in der Rückschau. Vor allem aber geben einige Rückblenden zusätzliche Informationen über bereits geschilderte Ereignisse, so dass diese für den Leser plötzlich in einem ganz anderen Licht erscheinen. Auch der Paukenschlag am Schluss ist eine solche Rückblende, die die Perspektive verändert.

Alles in allem ein gutes, berührendes und überzeugendes Buch. Etwa von der Qualität des „Medicus“, aber noch kein Jahrhundertklassiker.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 07. Februar 2021)

Paula Cocozza: How to be human (2017)

About the revival of the joy of life after a break-up – and a fox’s life

The story

Mary had a break-up with Mark some time ago. He had to leave the house, she stayed. Yet Mary is disoriented, does not know what to live for, has no new partner. When seeing the family life of her neighbours, she feels alone, and attracted by their baby. On a (terrible) barbecue party in the neighbours‘ garden, she is content with the baby’s company. (By the way, this is the most beautiful baby ever described in a book: Sweet and honey-like, and never ever crying.)

Then a fox comes into Mary’s life from the wilderness in her backyard. The fox brings her gifts, they start to lay together in the sun. Finally the fox brings the baby of her neighbours who was left in the garden by the sleepwalking mother. The mother does not believe anything, the relation to the neighbours deteriorates. The neighbours fetch a Fox Fixer to catch and kill the fox.

Mary’s ex boy-friend Mark has rented a flat near to her house, and keeps on stalking her. He repeatedly tries to persuade her to let him come back to her, but he obviously has no sense for her needs but only for his needs. Disgusting scenes: Once he almost managed to install himself in her life and house again.

Finally, Mary locks herself up in her house with the fox, whom she simply calls Fox now (after having tried some unsuitable names). Her neighbours leave their house for good, and Mark is rejected on his final attempt to reclaim Mary’s love. Mary and the fox live completely alone in a house with closed shutters, with absolutely no contact to the outside world, for an uncounted number of days.

After they have overcome the neighbours and Mark, they leave the house again. Now, the fox is poisoned by Mark who knew from Mary that her fox likes eggs and where his hiding place for them is. In a dramatic scene, the fox is dying. Though sad this is, it draws a line and makes Mary’s joy of life coming back. But in an unattended moment, the fox’s body suddenly vanishes. Therefore, Mary doubts her previous understanding of friendship with the fox: Did he betray her by a feigned agony? But finally she lets him go, dead or alive, since true friendship does not tell the other what is good for him.

Meaning

Obviously, the whole book is about the feelings after a break-up, the loneliness, the disorientation, about true friendship and being played by a „friend“, and about feeling depressed or joyful again. The fox seems to be a symbol of closing yourself off from the world, and becoming eccentric and outlandish for others, while at the same time, the life with the fox is a kind of school for Mary to learn about true friendship. All these feelings and teachings are deeply human, and Mary learns a good part of what often is called the „human condition“.

The story’s iridescence

On two occasions, the story pretends to be iridescent and that it would not be clear what really happened. First, how the baby came to Mary’s back door. But here, it is absolutely clear by the story itself that the fox did it, and that the baby’s mother left the baby outside while sleepwalking. Nothing is unclear, here. Second, the vanishing of the fox’s body after his death. There is no explanation here, yet the fox’s agony is very real. Also very real is his poising by Mark with all its details (eggs, poison from Mary’s cupboard). And what is more, if the fox should be understood merely as a symbol, there is no motivation why the fox should vanish at this moment. There was no inner turn in Mary’s life, the turn came after the fox was dead. – The fox is not only a symbol but to be understood as a reality. A reality which symbolizes something. But it cannot be reduced to a mere symbol. The fox has his own life.

A fox’s life

The book is very strong in picturing a fox’s life: How important a fox’s scent is, how he listens and smells and watches at several sensual impressions at the same time, how he found his area of living, how he fought for it with an other fox, how he found a fox girl-friend, about the fox’s dreams of food and family, how his pregnant fox girl-friend died being overrun by a car: Very very sad. The fox suffers from loneliness, too. And he behaves with dignity. This fox is a real Gentleman. – The book shows several times the „thinking“ of the fox, and it is always excellent: The animalistic and highly reactive and associative „thoughts“ of a fox are portrayed very convincingly in human words. It is almost poetic.

Citations to be remembered

„F*** Neanderthal hipsters.“ (p. 140).

„He won this country two summers gone, after his first mate passed, and he smelt a vixen here that he liked. Musky and fruity. That was her scent. For all the blackberries she ate.“ (p. 155)

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 16. Dezember 2018)

Jack London: König Alkohol (1913)

Lesenswert: Gesellschaftskritik und Weltschmerz eines Alkoholikers

Das autobiographische Buch „König Alkohol“ (original: „John Barleycorn – Alcoholic Memoirs“) von Jack London beschreibt, wie der Lebensweg des Autors aus verschiedenen Gründen immer von Alkohol begleitet war, bis in die Sucht hinein, die den Autor bald nach der Veröffentlichung des Buches im Alter von 40 Jahren in den Tod führen sollte. Überraschenderweise steht dabei weniger die Alkoholsucht als solche im Zentrum des Buches, sondern vielmehr die „verschiedenen Gründe“ für das Trinken. Diese Gründe lassen sich im wesentlichen in drei Themenbereichen zusammenfassen:

Thema (1): Soziale Akzeptanzrituale, die für sich allein betrachtet sinnlos, albern oder sogar schädlich sind (Gessler-Hut-Rituale): In diesem Buch ist es das gemeinsame Trinken von Alkohol, durch das man als „Mann“ anerkannt wird. Aber es sind andere Beispiele von Ritualen aus unserer heutigen Lebenswelt denkbar, die zur Akzeptanz in gewissen Milieus führen: Vom Reden und Prahlen über Fußball und Autos, über die Verfemung von Microsoft, Wehrdienst und George W. Bush, bis hin zum gemeinsamen Bordell-Besuch. Das Problem ist: Entweder man macht mit, oder man bleibt einsam und erfolglos. Und wer mitmacht, gewöhnt sich daran.

Thema (2): Die Entfremdung des lesenden Menschen von den „normalen“ Menschen durch seine Bildung. Das Problem ist: Der Abgrund zu den weniger gebildeten Menschen ist auch durch ein gewolltes Herablassen auf deren Niveau nicht wirklich überbrückbar. Man bleibt innerlich einsam, und wird nur noch von wenigen, einzelnen Mitmenschen wirklich verstanden, die leider schwer zu finden sind.

Thema (3): Desillusionierungen über Gesellschaft, Mitmenschen, Religion und Weltanschauung, die zu einer verschärften Form der Sinnfrage führen (Weltschmerz, Weltekel). Das Problem ist: Entweder man findet neue, eigene Antworten auf die Sinnfrage, oder man endet in Verzweiflung und Zynismus.

Jack London hatte sich als junger Mann dem Ritual des gemeinsamen Alkoholtrinkens hemmungslos hingegeben, um Abenteuer und Kameradschaft zu erleben, was ihn für die Sucht vorbereite. Später wurde ihm die Herablassung auf das Niveau der weniger gebildeten Menschen durch den Alkohol erleichtert. Er hatte aber auch jene wenigen, einzelnen Menschen gefunden, mit denen er sich ganz ohne Alkohol auf Augenhöhe unterhalten konnte, darunter seine Ehefrau. Bis zu diesem Punkt kann noch nicht von einer Sucht gesprochen werden.

In die Sucht geriet Jack London durch die Sinnfrage. Jack London war Sozialist und vor allem Materialist. Anders als die meisten Materialisten hatte er die Folgerungen dieser Weltanschauung jedoch konsequent zu Ende gedacht, sowie mögliche Alternativen rigoros abgelehnt, so dass er dem Leben keinen Sinn mehr abgewinnen konnte. Alles wurde schal und sinnlos für ihn, und seine Perspektive auf die Welt und die Menschen wurde zynisch. Es gab offenbar nichts mehr, was seinen Geist durch Sinnhaftigkeit in Stimmung bringen konnte: Kein Streben nach Wissen, kein Suchen nach etwas Unbekanntem, keine Anschauung des Schönen, und zuletzt vielleicht auch kein echter Glaube mehr an die Möglichkeit gesellschaftlicher Verbesserungen.

Um sich gegen Pessimismus und Zynismus immer wieder in Stimmung zu bringen, musste Jack London zur Flasche greifen, und verfiel auf diese Weise schrittweise der schleichenden Sucht.

Man könnte es auch andersherum deuten: Möglicherweise führte der langjährige, „soziale“ Alkoholkonsum zu einer Depression, und diese Depression war es, die eine rationale, positive Antwort auf die Sinnfrage verhinderte („Weiße Logik“ des Alkohols), und das wiederum ließ Jack London am Ende freiwillig zur Flasche greifen. Ob nun eher eine kranke Psychologie (Depression wegen Alkoholkonsum), oder eher eine falsche Philosophie (Materialismus mit allen Konsequenzen) die Ursache für das finale Scheitern waren, wird sich wohl nie mehr ganz klären lassen. Das eine schließt das andere ja keineswegs aus.

Am Ende des Buches behauptet Jack London überraschend, dass er die „Weiße Logik“ überwinden konnte, indem er gelernt habe, der Sinnfrage auszuweichen. Trinken würde er allerdings dennoch hin und wieder, weil er sich daran gewöhnt hatte, Alkohol mit der guten Erinnerung an Geselligkeit und Kameradschaft in Verbindung zu bringen. Das ist alles andere als ein überzeugender Schluss! Denn erstens kann man der Sinnfrage nicht auf Dauer ausweichen. Und zweitens befindet sich Jack London damit immer noch in dem Zustand, Alkohol gerne zu trinken, um eine angenehme Stimmung hervorzurufen.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 22. Mai 2018)

Ralf Günther: Der Gartenkünstler – Ein Fürst-Pückler-Roman (2010)

Fürst Pückler in einem köstlich hochnotpeinlichen Schlamassel

Fürst Pückler, der große Landschaftsarchitekt und Gartenbaukünstler war auch in der Realität eine skurrile Type. Dieser Roman baut auf einer fast nicht zu glaubenden, aber dennoch wahren Geschichte auf: Aus einer finanziellen Notlage heraus lassen sich die Pücklers scheiden und Fürst Pückler reist nach England, um sich dort eine reiche Frau zu suchen – seine geliebte Ehefrau verwaltet derweil sein Gut in Muskau.

Aus dieser völlig absurden Idee schöpft das Buch seine teils köstliche Komik; denn in England weiß schon jeder, mit welchen Absichten Fürst Pückler gekommen ist, und so wird er entsprechend empfangen. In dieses oberpeinliche Schlamassel hinein hat der Autor noch eine Kriminalgeschichte verwoben: Die von Pückler umworbenen Frauen kommen eine nach der anderen zu Tode! Dieser Handlungsstrang entwickelt sich allerdings kaum und der Leser kann leider nicht wirklich mitraten, wer der Täter ist. Etwa ab der Hälfte des Buches hätte die Story diesen Drive einer Entwicklung gebraucht, statt dessen dreht die Handlung noch einige Wiederholungsschleifen und alle Dinge kommen erst am Ende und ein wenig zu plötzlich zur Aufklärung. Ein guter Lektor hätte dieses dramaturgische Defizit niemals durchgehen lassen. Deshalb nur 4 von 5 Punkten.

Ansonsten aber eine wirklich amüsante und köstlich peinliche Geschichte, die mit viel Charme, herrlich altmodischem Stil und angemessen schlüpfrigem Witz erzählt wird. Als gehoben-leichte Lektüre für unbeschwerte Stunden bestens geeignet.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 24. August 2012)

Margaret Atwood: Der Report der Magd (1985)

Ein moderner Klassiker der dystopischen Literatur

Margaret Atwoods „Report der Magd“ ist eine Dystopie, die eine post-moderne US-amerikanische Gesellschaft beschreibt, in der christliche Traditionalisten ein totalitäres Regime namens „Gilead“ errichtet haben. Insofern es eine Kombination aus christlich-traditionalistischen Elementen mit bekannten Elementen anderer totalitärer Regime ist, handelt es sich um das exemplarische Beispiel eines totalitären Staates. Dem Alten Testament verdankt sich die Praxis, dass sogenannten „Mägde“ Kinder für ihre unfruchtbaren Herrinnen empfangen und gebären müssen.

Aus der Ich-Perspektive einer solchen „Magd“ beschreibt Atwood die typischen Auswirkungen des Systems, wie wir sie auch von anderen literarischen Dystopien und authentischen Zeugenberichten aus realen dystopischen Staaten (Kommunismus, islamischer Traditionalismus, usw.) kennen: Die völlige Zurückgeworfenheit des Individuums auf sein Inneres, das traumatisierende Im-Kreis-Drehen der eigenen Gedanken, die Flucht in die Phantasie, das Klammern an alte Erinnerungen und an jeden Strohhalm der Hoffnung, die Erfahrung der Sinnlosigkeit des eigenen Daseins und der Gedanke an Selbsttötung, das Alleinsein und das Misstrauen gegenüber jedermann, die Angst und das völlige äußere Anpassen und willenlose Mitlaufen, das Abtöten aller Gefühle und Regungen, die Korruption und Verbiegung von Gefühlen wie Liebe und Vertrauen, schließlich auch das absurde Sich-Einrichten in einer kafkaesken Welt. – Zugleich bilden sich die üblichen informellen Strukturen, die die offizielle Ideologie unterlaufen: Ein Schwarzmarkt für verbotene Artikel wie Zeitschriften, Bücher, Alkohol oder Zigaretten, geheime Zusammenkünfte zwischen Mann und Frau, sogar ein Bordell für die höheren Funktionäre. All diese typischen Eigenschaften einer solchen Dystopie werden von Atwood in sehr eindringlicher Weise vor Augen geführt.

Anders als bei anderen Dystopien stehen bei Atwood die Frauen als Täter und Opfer im Mittelpunkt, weshalb manche von einer „feministischen Dystopie“ sprechen. Das Tun und Leiden der Männer in diesem System wird von der Autorin aber keineswegs vergessen. – Immer wieder wird das Wörtlichnehmen diverser Bibelstellen ad absurdum geführt, indem ihre Realisierung sehr konkret beschrieben wird. Ein kritisches Vaterunser wird formuliert.

In einigen Passagen klingt auch Kritik an manchen Zuständen in unserer modernen, freien Welt an: Der allzu oberflächliche und ignorante Umgang der Geschlechter miteinander, das Alleinsein alleinerziehender Mütter, eine Mode, die raubgierig und auf Beute aus ist, Enttäuschungen bei der Partnersuche und in der Ehe. Dass Atwood unsere Welt und unser Sozialleben in der Dystopie kritisch spiegelt, ist eine der Stärken dieses Werkes, die es über eine bloße Warnung vor totalitären Strömungen hinaushebt.

Zwei Kritikpunkte

Der Leser hat lange Zeit Schwierigkeiten zu verstehen, in welchem geschichtlichen und gesellschaftlichen Rahmen sich die Handlung abspielt, und was überhaupt passiert ist, dass es zu dieser dystopischen Gesellschaft kommen konnte. Wenn der Klappentext nicht einige hilfreiche Hinweise dazu gegeben hätte, hätte dies die Lektüre ernsthaft trüben können.

Die Errichtung einer christlich-traditionalistischen Dystopie in den USA nach einer atomaren Verseuchung ist ein etwas weit hergeholter Plot. Denn zum einen ist diese atomare Verseuchung, die viele Frauen unfruchtbar gemacht haben soll, ein Anlass, ein klein wenig Verständnis dafür aufzubringen, dass eine dergestalt bedrohte Gesellschaft drastisch auf eine demographische Katastrophe reagiert. Wie für alles in Atwoods Roman gibt es auch dafür historische Beispiele, etwa die Erlaubnis der höchst unchristlichen Vielehe in manchen deutschen Staaten nach der Entvölkerung ganzer Landstriche im Dreißigjährigen Krieg. Ohne den Aspekt der atomaren Verseuchung wäre die Absurdität einer christlich-traditionalistischen Dystopie klarer zutage getreten. Hier stehen sich zwei typische Themen Atwoods gegenseitig im Weg herum: Weniger wäre mehr gewesen.

Zum anderen ist der christlichen Rechten in den USA ein solches Vorgehen nicht zuzutrauen. Denn erstens hält die christliche Rechte die Verfassung der USA quasi für heilig. Das mag zwar manchmal holzschnittartige Formen annehmen, garantiert aber doch wesentliche Freiheiten. Und zweitens ist die christliche Rechte in den USA auch nicht so stark, als dass sie eine solche Machtübernahme bewerkstelligen könnte.

Man kann den Plot nur aus der Zeit der Entstehung des Romans und aus dem politischen Denken von Margaret Atwood verstehen: Für Margaret Atwood sind Dinge wie Atomkraft oder konservative Christen der leibhaftige Gott-sei-bei-uns. Das Tragische daran ist, dass diese allzu vehemente, unabgestufte, radikale Ablehnung von Andersdenkenden selbst wiederum in Gefahr ist, totalitäre Züge anzunehmen. Wir sehen heute die Gegenreaktion: Die Präsidentschaft von Donald Trump bedeutet weniger ein Erstarken der christlichen Konservativen als vielmehr einen Protest der gesellschaftlichen Mitte gegen eine kulturelle Hegemonie der Linksliberalen, die oft keinen Raum mehr für Andersdenkende lässt, und die kein Verständnis mehr für die Legitimität von rational oft höchst begründbaren Gegenpositionen aufzubringen vermag.

Dennoch ein Klassiker

Glücklicherweise spielen diese zeitbedingten Aspekte in Atwoods „Report der Magd“ nur am Rande eine Rolle. Atwoods Werk ist eine sehr überzeugende und geradezu exemplarische Darstellung der Zustände in einer dystopischen Gesellschaft jedweder Couleur und der conditio humana in einem solchen Regime. Deshalb hat dieses Werk das Zeug zum Klassiker, und in der Tat wird der „Report der Magd“ immer wieder völlig zurecht ein „moderner Klassiker“ genannt.

Bewertung: 4 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 18. Juni 2018 mit einer Bewertung von 5 von 5 Punkten)

Jane Austen: Stolz und Vorurteil (1813)

Die hohe Schule des menschlichen Beziehungsreigens

In diesem Buch gibt es keine eigentliche Handlung: Kein Kriminalfall wird gelöst, kein Schatz wird gesucht, keine Schlacht wird geschlagen, kein politisches Ziel wird erkämpft, keine Länder werden entdeckt, keine Theorie aufgestellt, kein Buch geschrieben, kein Geschäft gemacht. Es passiert das ganze Buch über nichts nennenswertes an Handlung, absolut gar nichts! Das ganze Buch handelt ausschließlich von den Charakteren seiner Akteure und wie sich deren Beziehungen untereinander entwickeln. Wer liebt oder hasst wen, wer redet und denkt gut oder schlecht über wen, wer verbindet oder löst sich miteinander bzw. voneinander, wer tanzt mit wem, wer bespricht sich mit wem, wer sucht Trost bei wem, wer besucht wen, wer schreibt wem welche Briefe, usw. usf.

Jane Austen vermag es, in die typischen Denkweisen der Menschen in Beziehungsdingen hinein zu sehen: Was man typischerweise vermutet, erwartet, plant, hofft, fürchtet usw. Wie sich Dinge zufällig wenden, wie sie sich typischerweise wenden. Jane Austen kommt damit dem Menschlichen näher als oberflächliche Literatur. Bei aller britischen Förmlichkeit zeigt sich doch das allzu menschlich Menschliche überall, das auch heute noch unverändert überall bei jedem in der ein oder anderen Weise zu beobachten ist. Wenn man Lebenserfahrung hat, kann man sagen: So ist es. Wenn man sie noch vor sich hat, kann man noch etwas lernen.

Fast schon philosophisch wertvoll ist die dramatische Wendung im Zentrum der Geschichte: Die Erkenntnis von Eliza, wie sie sich gründlich irrte, und ihre Bestürzung darüber. Man kennt die Welt nicht, solange man sich nicht bodenlos geirrt hat. Erst dies verschafft die richtige Skepsis und das tiefere Nachspüren.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 01. März 2012)

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