Stefan Zweig en miniature
Dieses schmale Insel-Bändchen versammelt einige kurze Texte, die Stefan Zweig in seinen letzten Lebensjahren verfasste, die aber bislang nirgendwo greifbar veröffentlicht worden waren. Es handelt sich um einige weitere Perlen aus der Feder des Verfassers, ganz im Stile der „Welt von gestern“, an der er zur selben Zeit arbeitete.
Einige Texte sind Charakterstudien und Beobachtungen menschlichen Verhaltens. Da ist der Habenichts Anton in Salzburg, der sich aber nützlich zu machen weiß und sich dadurch Dank und Anerkennung verdient, mehr noch als materielle Gegenleistungen, die er souverän nur nach Bedarf in Anspruch nimmt. Die Schilderung der Erlebnisse mit diesem Lebenskünstler gab dem Büchlein den Titel. Ein anderer Text reflektiert die Beobachtung, dass menschlicher Zuspruch spontan und sofort erfolgen sollte. Da ist auch die wunderbare Begegnung mit dem Künstler Rodin, bei dem Stefan Zweig lernte, dass wahre Kunst nur aus der völligen Versenkung in Konzentration auf die Sache erwächst. Oder es ist die tröstliche Geschichte von den Anglern an der Seine, die uns zeigt, dass kein Mensch das Geschehen in seiner Gegenwart ständig mit voller Anteilnahme verfolgen kann, sondern dass ein „Abschalten“ und der Rückzug ins Private hin und wieder eine innere Notwendigkeit sind. Die Inflation lehrte Zweig, dass Geld an sich keinen Wert hat, sondern nur das, was wir sind. Auch die Totenrede auf Alfonso Hernández-Catá ist enthalten, von der es im Nachwort heißt, dass sich Stefan Zweig in dieser Rede auch unfreiwillig selbst portraitiert habe.
Schließlich sind noch drei Stücke zum Nationalsozialismus von 1940, 1941 und 1942 enthalten. Stefan Zweig macht darauf aufmerksam, dass Diktatur Schweigen bedeutet, und wie bedrückend dieses Schweigen ist, und dass er sich anstelle derer zum Reden verpflichtet fühlt, die schweigen müssen. Er verteidigt auch die deutsche Sprache und die deutsche Kultur gegen ihre Beschmutzung durch den Nationalsozialismus. Schließlich weist Stefan Zweig darauf hin, dass der Schriftsteller Vicente Blasco Ibáñez schon 1916 in seinem Roman „Los cuatro jinetes del apocalipsis“ mit der Romanfigur Hartrott einen Charakter erschuf, dessen wahnwitzige Ideologie die Ideologie Hitlers vorwegnahm. Was als absurde Satire gedacht war, traf die kommende Wirklichkeit nur zu gut.
Es fällt auf, dass in allen drei Stücken kein Wort über die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden zu finden ist. Obwohl Stefan Zweig in Freiheit lebte und die westliche Presse nicht damit sparte, dem Feind jedes nur erdenkliche Übel zuzuschreiben, wusste damals offenbar niemand von diesem Verbrechen. Auch Hannah Arendt hielt 1945 die ersten Berichte von US-Korrespondenten aus befreiten KZs für alliierte Propaganda, bis sie begriff, dass es die Wahrheit ist.
Bewertung: 5 von 5 Sternen.
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