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Meist gelungene dichterische Aufrufung antiker Themen mit einem bedauerlichen Drall in Richtung Wokismus von Rechtsaußen
Die Gedichtsammlung „Hesperische Gedichte“ von Ludwig Lehnen versammelt eine Reihe von Gedichten zu vorwiegend antiken Themen. Ludwig Lehnen sieht sich offenbar in der Tradition von Stefan George. So sehen die Gedichte dann auch aus, im Guten wie im Schlechten.
Geist und Geschmack
Die Gedichte sind sprachlich anspruchsvoll, ebenso die gewählten metrischen Schemata. Aber auch inhaltlich können die Gedichte oft überzeugen. Teilweise sind die Gedichte sehr voraussetzungsreich. Vorkenntnisse in antiker Geschichte und Geisteswelt sind für das Verständnis häufig unerlässlich. Der Dichter weiß jedenfalls, wovon er spricht: Wer von den Bleitäfelchen von Dodona zu dichten weiß, ist tief in die Materie eingedrungen.
Verwirklicht wird immer wieder eine dichterische Aufrufung antiker Sachverhalte und Charaktere und ihrer speziellen Eigenschaften, die teilweise nur implizit, teilweise aber auch explizit auf moderne Zeiten bezogen werden. Am gelungensten sind wohl jene Gedichte, die eine solche Aufrufung ohne allzu viele Anspielungen auf die Gegenwart durchführen. Hier wird ein antikes Thema verlebendigt, ohne es durch eine moderne Perspektive allzu sehr einzuschränken. Die Frage stellt sich dann ganz automatisch und in offener Weise, wo dieses Thema eigentlich in unserer Gegenwart geblieben ist. Solche Gedichte sind geschmack- und geistvoll. Ein Beispiel ist das Gedicht „Dodona“ über das Orakel von Dodona:
Wenn die schwarzen tauben der aphrodite
Nochmals auf den zweigen sich niederlassen
Bei verstreuten tafeln aus blei · die treue
Hände beschrieben:
Dann gebiert die Nacht wieder Tag: die eiche
Rauscht noch voller fruchtender ströme · urkraft
Dringt hervor und Zeus-Achelóos glänzt und
Weibliches beugt sich.
Thematisch widmen sich die Gedichte oft der Metaphysik jenseits der materiellen Welt, d.h. dem Göttlichen und Numinosen hinter den Dingen, das die Welt in einem großen Sinnzusammenhang vereinigt. Das gelingt meistens gut. Speziell die unberührte Natur wird als Ort dieses Zaubers gesehen. Angerufen werden immer wieder Ge und Apoll. Ein zweites Thema ist die (angebliche) nordische Herkunft unserer europäischen Kultur und von Apoll, der deshalb auch Baldur-Apoll genannt wird. Ein weiteres Thema ist der Untergang Europas und seiner Kultur.
Ambivalentes
Manche dieser Themen könnten radikal gedeutet werden, doch die Verfremdung im Dichterischen verbietet oft eine solche Überziehung, und das tut diesen Themen gut. Eine Warnung vor und Klage über Überfremdung durch maßlose Einwanderung ist durchaus im Rahmen des Akzeptablen. Auch ein Lobeshymnus auf die Musik von Guillaume de Machaut, ohne zu erwähnen, dass er das antisemitische Klischee der brunnenvergiftenden Juden verbreitete, mag hingehen: Das eine hat mit dem anderen nicht unbedingt etwas zu tun. Eine tolerable Kritik an der vermuteten Oberflächlichkeit der amerikanischen Kultur könnte z.B. aus diesen Zeilen sprechen:
Unter der last den blick auf goldne äpfel
Von Hesperien die aus dumpfer einfalt
Der titan hervorzeigt: entwertet liegen
Mythische gaben.
Kritik könnte hier vor allem daran geübt werden, dass die Gedichte zuwenig Hoffnung machen, zu wenig konstruktiv sind, zu sehr auf Trotz und Vergangenheit ausgerichtet sind. Das Leichte und Spielerische der Antike fehlt: Die Lust zu leben.
Entgleisungen
An einigen Stellen wird allerdings ein allzu rechter Ungeist unabweisbar deutlich. Dort, wo es um Norden und Blut geht, und gegen die Vernunft. Hier muss dann deutliche Kritik einsetzen. Denn dieses Verständnis unserer europäischen Kultur ist sachlich falsch.
Germanisches kriegerblut lebt in mir fort.
Ich will für meine götter kämpfen bis zum schluss.
So wie einst die dorer aus dem norden kamen
… … Die letzten europäer sammeln sich zur schlacht.
Es beginnt schon damit, dass die nordische Herkunft von Apoll uns nur durch die Antikenbegeisterung von Humanismus und Aufklärung bekannt wurde. Mit der Antike wurde auch die Majestät der Vernunft wie auch die antike Mythologie wiederentdeckte, und nur so konnte – über eine historisch-kritische Rekonstruktion – der Bogen von Apoll zurück zu Baldur gespannt werden. Ohne Vernunft, Antike und historische Kritik wüssten wir gar nicht, dass Baldur und Apoll verwandt sind, und wir würden über diese Mythen nur lachen, während wir gleichzeitig an ganz anderen Mythen als der geglaubten Wahrheit festhalten würden, in dumpfer Einfalt.
Es bleibt auch unverständlich, wie jemand, der sich auf Antike und Apoll beruft, Zeilen wie diese schreiben kann:
Damals kam die Zeit der Redegewandten · der eulen-
Klugen · die zeit der vernunft… zwang und gesellschaftsgewalt…
… … Wir mehr kind und tier · wir im fanatischen Ich:
Unsere zeit · die zeit der Assassinen · kehrt wieder:
Ungebundener rausch · selbst sich vergötternd und blind!
Wir stehen hier vor einem Widerspruch in sich. Es ist die Aufrufung des ewigen Irrtums von allzu rechten Denkern, dass die Vernunft eine falsche Schlange sei, die zu linker Unterjochung führen würde. Doch in Wahrheit ist die Vernunft eine urmenschliche Naturkraft, die in uns allen angelegt ist. Sie beschützt uns vor linken Dummheiten und führt uns auf den rechten Weg. Ein moderner Konservativismus kann nur vernünftig gedacht werden. Der ungebundene Rausch der Assassinen gehört nicht zu unserer Kultur.
Auch eine Reminiszenz an Julius Evola über das „Reiten auf dem Tiger“ bleibt unverständlich, denn Julius Evola war zwar nicht der schlimmste unter den rechtsradikalen Denkern, doch zweifelsohne sehr verwirrt. Kritik an einer Moderne, die alles Alte abräumt, könnte man auch intelligenter üben. Eine Moderne, die alles Alte abräumt, ist nämlich – sieh an! – gar nicht wirklich „modern“, da sie schlicht unvernünftig handelt. Kein vernünftiger Mensch würde alles Alte einfach abräumen wollen. Eine solche „Moderne“ ist in Wahrheit eine völlig unmoderne Romantik des Gegenwärtigen und eine abergläubische Vergötterung des Irrationalen, Todestrieb inclusive.
Die Gedichtsammlung nennt sich „hesperische Gedichte“, doch Hesperien kommt nur ein einziges Mal vor, als Inbegriff dumpfer Einfalt, siehe oben. Ansonsten ist einige Male von Europa die Rede, vor allem aber von dessen Untergang. Offenbar wird „Hesperien“ in diesen Gedichten als negativer Begriff verwendet. Also nicht als positiver Zielbegriff wie im „Hesperialismus“ von David Engels. Hesperien, der Westen, das Westliche, wird als eine dumpfe Einfalt gezeichnet, die in den Untergang führt. Wieder sehen wir einen allzu rechten Kulturpessimismus, der nicht versteht, dass eine Kultur der Vernunft Kraft und Leben und Wahrheit bedeutet, und nicht Untergang.
Aber auch die Aufrufung der schwarzen Tauben von Dodona erzeugen einen inneren Widerspruch in dieser Gedichtsammlung. Denn wie wir von Herodot wissen, symbolisieren die schwarzen Tauben von Dodona eine Einwanderung aus Nahost nach Europa, genauer: Die Einwanderung eines Kultes. Diese sehr mythisch anmutende Geschichte wurde von Professor Heinz-Günter Nesselrath sehr überzeugend historisch-kritisch rekonstruiert (Heinz-Günther Nesselrath, Dodona, Siwa und Herodot – ein Testfall für den Vater der Geschichte, in: Museum Helveticum Vol. 56 (1999) Heft 1; S. 1-14). Es ist ein Triumph der Philologie und der Geschichtswissenschaft, und damit von Humanismus und Aufklärung, mithin der Vernunft, die Verhältnisse in Zeiten zu rekonstruieren, als der Nahe Osten weiter entwickelt war als Europa, und Europa sich gerne von der Kultur des Nahen Ostens befruchten ließ. Soviel Weite des historischen Horizontes fehlt in dieser Gedichtsammlung leider.
Wokismus von Rechtsaußen
Mit „dem Schwarzwälder“ wird Heidegger beschworen, diese dünkle Figur, dieser Vordenker der schrecklichen Postmoderne und des grässlichen Wokismus. In einer Klage über den Raubbau an der Natur kommen wir zum Tiefpunkt der Gedichtsammlung. Das Schlimmste ist nicht, dass hier über einen Raubbau an der Natur geklagt wird, wie es vielleicht in den 1980er Jahren berechtigt war, heute aber nicht mehr. Nein. Es ist nicht diese frappierende Ähnlichkeit zum linksgrün versifften Zeitgeist. Das Schlimmste ist dieses:
Heiliger als der mensch ohne natur ist natur
Ohne dies mördergeschlecht
Es handelt sich um lupenreinen Extinktionalismus! Also der Gipfelpunkt allen postmodernen und woken Denkens: Der Mensch selbst wird zum Problem erklärt („Mördergeschlecht“), und die Beseitigung des Menschen wird im Zweifelsfall für erstrebenswert erachtet. Das ist nun wahrlich Antihumanismus in Reinform. Das Böse selbst. Man kann es nicht anders sagen.
Philosophisch ist die Aufgabe der menschlichen Perspektive völliger Unsinn und gefährlich. Der Mensch kann sich nicht aus seiner eigenen Perspektive lösen. Eine Landschaft wird immer nur durch das Auge des Betrachters schön. Ohne das Auge des Betrachters ist niemand da, der eine Landschaft schön finden könnte. Der Mensch kann sich nicht selbst aus dieser Rechnung herausnehmen. Diese Welt hat entweder einen Sinn mit und für den Menschen, oder sie hat eben keinen Sinn für den Menschen. Wozu sollte ein Mensch Rücksicht auf die Natur nehmen, wenn er selbst aus dem Spiel herausgenommen wird? Ohne den Menschen ist die Natur eine öde Gegebenheit ohne Sinn und Schönheit.
Man fragt sich auch, wie man einen metaphysischen Sinnzusammenhang der Welt in der Gestalt Apolls beschwören, doch gleichzeitig den Menschen, einen nicht unwesentlichen Teil der sinnhaften Weltwirklichkeit, als „Mördergeschlecht“ abqualifizieren kann? Und wie man eine sinnhafte Natur ohne den Menschen denken kann? Bei Platon und Aristoteles geht es noch darum, dass der Mensch Gott ähnlich werden möge, weil das seine Bestimmung ist, hier jedoch ist der Mensch plötzlich der letzte Dreck. Man kann nicht beides haben. Der Sachverhalt führt zu einem deutlichen Punktabzug für dieses Buch.
Formales
Es stört, dass manche Gedichte eine Überschrift haben, manche jedoch nicht. Teilweise weiß man deshalb nicht, ob ein überschriftloses Gedicht als Fortsetzung des vorangegangenen Gedichtes gemeint ist, oder als eigenständiges Gedicht gelten soll. Besser wäre es gewesen, jedem Gedicht einen Titel zu geben. Teilweise hätte man sich eine größere Schrifttype gewünscht. Ein Lesebändchen wäre dem Niveau des Buches angemessen gewesen.
Fazit
Meist gelungene dichterische Aufrufung antiker Themen mit einem bedauerlichen Drall in Richtung Wokismus von Rechtsaußen.
Bewertung: 3 von 5 Sternen.
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