Die Engführung des grün-linken Zeitgeistes endet in antidemokratischem Denken

Ulrike Guérot steht fest auf dem Boden des grün-linken Zeitgeistes. Das ist allgemein bekannt, wird aber auch in diesem Büchlein am Rande immer wieder sehr deutlich: Sie träumt von einer Welt ohne Staaten und Grenzen (S. 68), und wünscht sich die Verbindung von Demokratie und Sozialismus (S. 66 f.). Der Kapitalismus ist das Böse. Die „Zivilgesellschaft“, die sie in linken NGOs realisiert sieht, gefällt ihr sehr (S. 31 f.). Der britische Brexit ist ihrer Meinung nach ein Weg in einen neuen Totalitarismus (S. 25). Demokratie ist für Guérot immer „liberale“ Demokratie (S. 28 f.). Dass in einer Demokratie auch konservative Politiker Mehrheiten erringen können, scheint bei ihr eher nicht vorgesehen zu sein. Guérot glaubt, dass z.B. ein Fleischverbot oder ein Verbot der Weihnachtsbeleuchtung sinnvoll und machbar seien, und auch die Abschaltung der Atomkraftwerke nach Fukushima sei problemlos möglich gewesen, meint sie (S. 29, 47).

Last but not least glaubt sie an die „worst case“ Apokalypse des menschengemachten Klimawandels: Sie glaubt fest daran, dass die ganz große Katastrophe in allernächster Zukunft bevorsteht, wenn die Menschheit nicht dramatisch umsteuert (z.B. S. 26). Das nennt sie die „posthume Kondition“ unserer Zeit.

Demokratie sei das Problem

Davon ausgehend stellt Ulrike Guérot die Frage, ob die „liberale“ Demokratie in der Lage ist, die nötigen vernünftigen Entscheidungen zu treffen, um das Überleben der Menschheit angesichts der Klima-Apokalypse zu treffen (S. 28 f.). Die „liberale“ Demokratie ist für sie grundsätzlich nicht dazu in der Lage, Verbote auszusprechen, weil Liberalität für Guérot automatisch Laschheit bedeutet (S. 37). Zudem sind die Bürger der „liberalen“ Demokratie für Guérot eher dekadente Konsumenten als Bürger, die sich zu keinem vernünftigen, moralischen Ziel mehr aufraffen können (S. 37).

Daran knüpft Ulrike Guérot eine ausführliche Demokratiekritik an: Churchills Diktum, dass die Demokratie die am wenigsten schlechte Staatsform ist, stellt sie infrage (S. 50). In Wahrheit wäre unsere Demokratie eine konstitutionelle Oligarchie (S. 30 f.). Die Gesetzgebung in einer Demokratie wäre immer willkürlich, weil das Wahlvolk nicht wirklich handlungsfähig wäre (S. 33). Bis auf Ausnahmen seien demokratische Beschlüsse immer ungerecht und gegen das Gemeinwohl gerichtet (S. 34). Die beiden Lager Links und Rechts würden sich immer gegenseitig blockieren (S. 34). Ein Volk wisse nicht, was gut für es ist (S. 50). – Es sind die altbekannten Halbwahrheiten des antidemokratischen Denkens.

Welche Alternative zur Demokratie schlägt Guérot vor? Losverfahren und Räterepublik werden als Alternativen geprüft und verworfen (S. 35). Guérot wird nicht völlig deutlich, worauf sie hinaus will, und zündet eine Nebelkerze: Sie problematisiert den Begriff „Souveränität“. Angeblich würde Souveränität auf Herrschaft über andere und auf Zwang hinauslaufen. Echte Freiheit gäbe es aber nur ohne das (S. 33 Fußnote 14, S. 67 f.). Hier träumt wieder einmal jemand von einer paradiesischen Staatsform, in der alle in völliger Freiheit friedlich und vernünftig zusammenleben. Guérot hätte gerne eine Welt ohne Staaten und Grenzen, eine „legitimierte, und selbststeuerungsfähige Organisation einer globalen Allmende“. Wie das gehen soll, verrät sie nicht.

Jedenfalls hat Guérot zu ausführlich über das Unvermögen der Demokratie, Verbote auszusprechen, geklagt, um nicht deutlich werden zu lassen, worum es wirklich geht: Nämlich um genau das, was sie angeblich nicht will: Um die Souveränität, schwerwiegende Entscheidungen zu treffen, Verbote auszusprechen und Zwang gegen Andersdenkende auszuüben. Am Ende träumt sie von einer „(hoffentlich freiwillig hervorgebrachte[n]) Kultur der Selbstbegrenzung“ (S. 68). Mit diesem „hoffentlich freiwillig“ deutet sie erneut an, dass es im Notfall eben auch ohne Freiwilligkeit gehen muss. Ebenfalls ein deutlicher Hinweis auf Guérots Gesinnung ist der Umstand, dass sie am Anfang noch mit Aufklärung und Vernunft als Zielen und Grundlagen guten und richtigen Lebens argumentiert, doch weiter hinten rutschen Aufklärung und Vernunft zusammen mit der Demokratie auf die Anklagebank („führen Aufklärung und Demokratie … in einen Bürgerkrieg“ S. 36; „Die Aufklärung und mit ihr die liberale Demokratie haben versagt“ S. 50; „Liberaldemokratisch dürfte dies nicht aufzulösen sein“ S. 64; „Wo … die Vernunft als Ausdruck des Kant’schen Gewissens versagt hat“ S. 68).

Auf der anderen Seite erkennt Guérot richtig, dass der Mensch an sich selbst arbeiten muss, und nicht nur an der Technologie (S. 52 f., 65). Aufklärung und Vernunft werden zumindest am Anfang noch als erstrebenswerte Ziele genannt. Später hofft sie auf eine „aufgeklärte oder zumindest abgeklärte Menschheit“ (S. 68). Aber auch Meditation als Schulfach wird von Guérot befürwortet (S. 52). Dass die sieben Todsünden in der Konsumwelt zu Tugenden geworden sind, hält Guérot mit Recht für falsch (S. 48).

Kurz: Guérot lässt der Menschheit zwar die Chance, es freiwillig, vernünftig und demokratisch zu schaffen, aber sie ist offenbar bereit, Aufklärung und Demokratie zu opfern, falls die Dinge sich nicht so entwickeln, wie sie sich das vorstellt.

Typisch antidemokratisches Denken

Das Denken von Ulrike Guérot ist ein exemplarischer Fall von antidemokratischem Denken: Man versteift sich fanatisch auf irgendein Problem als der ganz großen Katastrophe – Klima, Demographie, Integration, Euro-Krise, was immer – und sieht, dass die Demokratie das Problem anscheinend nicht zu lösen vermag. Daraus schließt man messerscharf, dass die Demokratie nicht die beste Staatsform sein kann, und beginnt an eine andere Staatsform zu glauben, von der man sich einredet, dass es in ihr besser zugehen würde.

Dieses Denken beruht auf grundlegenden Denkfehlern:

(1) Oft ist der fanatisch aufgeblasene Problemfall nicht ganz so dramatisch, wie man sich einbildet. Statt die Demokratie zu hinterfragen, sollte man besser seine Annahmen hinterfragen. Beim Klima ist es gewiss nicht so dramatisch, wie behauptet wird. Das ist leicht zu sehen. Ulrike Guérot ist viel zu sehr dem grün-linken Zeitgeist und seinen Hysterien verhaftet.

(2) Es ist ein Irrglaube, eine andere Staatsform sei besser. Auch wenn es tatsächlich gelingen sollte, ein Problem durch die Abschaffung der Demokratie zu lösen, würde man sich dafür zahlreiche andere Probleme einhandeln, die nicht weniger schwer wiegen.

(3) Die Korrekturfähigkeit von Demokratie wird oft unterschätzt. Demokratie kann zwar träge sein und Probleme lange ignorieren. Aber spätestens wenn Probleme akut werden, wacht die Demokratie auf. Das ist oft leider spät, aber besser spät als nie. Andere Systeme wachen womöglich selbst dann nicht auf. Es ist jedenfalls vollkommen falsch zu glauben, Demokratie sei zu Verboten und moralischem Handeln nicht fähig. Eine Demokratie ist zu schlichtweg allem fähig, wenn nur die Stimmung im Volk entsprechend ist. Guérot selbst zählt ja viele historische Beispiele auf, in denen sich Demokratien als handlungsfähig erwiesen haben (S. 41). Dass Guérot es als etwas völlig neues und mit der Demokratie unvereinbares anpreist, dass sich die Menschen vom „anything goes“ verabschieden müssen, ist Unsinn (S. 64).

Kurz: Churchill behält Recht. Die Demokratie ist die schlechteste von allen Staatsformen, außer allen anderen, die jemals ausprobiert worden sind. Man muss einen Blick für das Machbare, das Realistische und das Wünschenswerte haben. Ulrike Guérot hat diesen Blick nicht. Demokratie ist höchstens dann nicht machbar, wenn zu viele Bürger keine Demokraten sind, oder sich die Bürger in unversöhnliche Lager aufspalten.

Zweites großes Thema: Verstrickung in der digitalen Welt

Das zweite große Thema, das Guérot in diesem Büchlein bearbeitet und ebenfalls zur „posthumen Kondition“ rechnet, ist die zunehmende Verstrickung des Menschen in die digitale Welt: Wir werden immer abhängiger von Computern und Netzen. Wir überlassen den Algorithmen immer mehr Entscheidungen. Wir verlernen, ohne sie zu leben. Wir machen keine echten Erfahrungen mehr. Das Irrationale sei das Menschliche.

Das alles sind reale Probleme, aber Ulrike Guérot überzieht auch diese Probleme ins Maßlose: Denn natürlich machen wir immer noch Erfahrungen. Natürlich gibt es auch Anfänge einer Gesetzgebung zur Regulierung des Netzes. Es ist auch ganz falsch zu glauben, dass Algorithmen rational, perfekt und unmenschlich seien, sondern dahinter stehen immer Menschen, mit höchst menschlichen, irrationalen, kommerziellen und politischen Interessen. Die Digitalisierung ist mitnichten das Ende der Geschichte, als das sie Guérot beschwört.

Es ist auch befremdlich, dass Guérot sich statt der Nationalstaaten die „legitimierte, und selbststeuerungsfähige Organisation einer globalen Allmende“ wünscht (S. 68), während sie gleichzeitig beklagt, dass der Einzelne in der durchalgorithmisierten Welt keinen Einfluss mehr habe. Denn die Orte, an denen der Einzelne Einfluss nehmen kann, sind natürlich vor allem die gewohnten Demokratien der menschlich gewachsenen Nationalstaaten, während eine anonyme, internationale „selbststeuerungsfähige Organisation“ sich eher nach jenem unbeeinflussbaren Moloch anhört, den Guérot fürchtet.

Schwaches Denken

Ulrike Guérot ist zum Opfer ihres eigenen ungenauen Denkens geworden, das sich die Argumente zur Erreichung vorgefasster Ergebnisse zurechtbiegt. Es finden sich in ihrem Text viele falsche und schräge Argumente, die noch nicht genannt wurden. Einige davon wollen wir hier aufzählen.

Wenn man Politiker per Los statt per Wahl bestimmt, würde die Repräsentation wegfallen, meint Guérot (S. 35). Das stimmt natürlich nicht. Die Repräsentanten würden dann nur auf eine andere Weise bestimmt, es wären aber immer noch Repräsentanten. – Wie viele, so glaubt auch Guérot, dass Links und Rechts heute verwechselbar geworden sind (S. 37). Das ist keineswegs so. Vielmehr wird das normale demokratische Wechselspiel von Rechts gegen Links aus verschiedenen Gründen behindert. Insbesondere dadurch, dass allzu viele Menschen zu der undemokratischen Überzeugung gelangt sind, man dürfe konservative Positionen aus dem erlaubten Spektrum der „liberalen“ Demokratie ausschließen. – Es ist auch völlig übertrieben, dass die Bürger heute willenlose Konsumenten seien (S. 39 f.). Ganz so schlimm ist es nicht. In diesem Zusammenhang ist es auch unverschämt, wenn im Zusammenhang mit der friedlichen Revolution in der DDR die Banane als Symbol der wahren Motivation der Menschen beschworen wird (S. 40). Hier zeigt sich wieder, dass Ulrike Guérot eine in der Wolle gefärbte Linke ist, die bis heute innerlich nicht verwunden hat, dass die Menschen den real existierenden Sozialismus nicht mittragen wollten. – Guérot meint, das Projekt der ersten Aufklärung sei das Begreifen gewesen, dass es keinen Gott gibt (S. 61). Das ist Unsinn. Die Aufklärer glaubten bis auf wenige Ausnahmen alle an einen Gott. Nur radikale Materialisten und Linke nicht. Dies ist ein weiterer Fingerzeig auf das denkerische Milieu von Guérot. – Völlig falsch ist auch ein Seitenhieb gegen Donald Trump: Dieser hätte das atomare Armdrücken mit Nordkorea wieder aufgenommen, meint Guérot (S. 64). In Wahrheit hat Trump Nordkorea an den Verhandlungstisch gebracht. Wie viele, so begreift auch Guérot nicht, dass das notorische Verbreiten von hysterisch aufgeblasenen Unwahrheiten über den politischen Gegner nicht zur eigenen Glaubwürdigkeit beiträgt. Aber auch das ist nichts neues. Das war schon bei Ronald Reagan so.

Sehr blauäugig ist Ulrike Guérot in Bezug auf die Bewegungen „Fridays for Future“ und Extinction Rebellion (S. 65 f.): Es ist zwar richtig, dass diese Bewegungen ein Ziel jenseits des Konsum haben, aber das allein genügt nicht. Denn das Ziel wird durch pseudowissenschaftlichen Fanatismus definiert. Andersdenkende werden nur noch als Radikale wahrgenommen. „Follow the Science“ ist hier längst zu einem Demokratie-zerstörerischen Slogan geworden, der mit Wissenschaft nichts mehr zu tun hat. Und es gibt eine verborgene Agenda: Es finden sich in diesen Bewegungen, die keinesfalls Graswurzelbewegungen von Jugendlichen sind, altbekannte antikapitalistische und linksradikale Motivationen wieder, die die wahren Antriebe sind. So geht es diesen Bewegungen immer nur ums Abschalten und Dichtmachen und Blockieren. Um den Aufbau einer ökonomisch tragfähigen Energie-Infrastruktur nach durchdachten Gesamtplänen geht es hingegen sichtlich nicht.

Guérot versucht ihre Argumentation durch mehrere Verweise auf Hannah Arendt abzusichern, um ihnen den Anstrich der Klugheit und der Legitimität zu verschaffen. Doch die meisten Zitate sind rein beschreibend, nicht unterstützend (S. 44, 67, 69). An einer Stelle wird die Aussage von Hannah Arendt jedoch klar überzogen: Guérot behauptet, dass Hannah Arendt in letzter Konsequenz für eine Räterepublik gewesen wäre (S. 33 Fußnote 14). Das ist zumindest übertrieben. Die angeführte Quelle berichtet u.a. von Hannah Arendts Bewunderung für die Verfassung der USA, in der der Anspruch auf Souveränität eliminiert sei. „Souveränität“ wird hier im Sinne von unkontrollierter Herrschaft verwendet. Das ist etwas ganz anderes, als Ulrike Guérot in diesem Büchlein unter dem Stichwort „Souveränität“ bespricht, denn die US-Verfassung gehört für Guérot offensichtlich zu den demokratischen Verfassungen, die sie kritisiert.

Last but not least hat Ulrike Guérot die zutreffende Beobachtung gemacht, dass die Rechtspopulisten heute zu den wenigen gehören, die tatsächlich bereit sind, für ihre Überzeugungen einen Preis zu bezahlen. Gerade sie handeln also nicht wie verdummte Konsumenten. Ein Beispiel ist für sie der Brexit. (S. 42) – Leider denkt Guérot an dieser Stelle nicht weiter, weshalb sie nicht erkennt, dass diese Rechtspopulisten zumindest einen Zipfel der Wahrheit in der Hand halten, für den Guérot aber völlig blind ist. Der Brexit war tatsächlich notwendig, um die Demokratie in Großbritannien vor dem unbelehrbaren Brüsseler Moloch zu retten. Und der Widerstand gegen die Klimahysterie ist ebenfalls nicht nur ein dummes Blaffen von verwöhnten Konsumenten, sondern die warnende Stimme von wissenden Menschen:

  • Was Ihr da sagt stimmt nicht!
  • Was Ihr da wollt, funktioniert nicht!
  • Auf diesem Weg macht Ihr die Demokratie kaputt!

Bewertung: 1 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 29. März 2022)