Stark in der Beschreibung der Probleme, schwach in der Analyse

Ralf Schuler befasst sich in seinem Buch „Generation Gleichschritt“ mit der Frage, wie es dazu kommen konnte, dass sich die Gesellschaft in unseren Tagen immer mehr „gleichschaltet“, obwohl wir doch mitten in einer Demokratie leben. Denn eigentlich ist es ja gar keine „Gleichschaltung“ im klassischen Sinn, sondern vielmehr eine Art Selbstgleichschaltung, ein Hineinsozialisieren der ganzen Gesellschaft oder doch wenigstens ihrer Eliten in kollektive Irrtümer. Der Autor nennt es „Gleichschritt“. Leider ist dabei am Ende doch nur ein typisches Journalisten-Buch ohne größeren Tiefgang herausgekommen und die Frage, wie es dazu kommen konnte, bleibt weitgehend unbeleuchtet.

Das Buch ist auf jeden Fall ein höchst taugliches Zeitdokument: Denn es werden nicht nur sämtliche wichtigen Anekdoten der letzten Jahre durchgesprochen, die als Symptome des Gleichschritts wahrgenommen werden konnten, sondern der Autor ist als Journalist in der Nähe von Angela Merkel auch selbst Zeitzeuge. Es werden auch durchaus Ansätze einer tieferen Analyse versucht. Aber sie bleiben in Ansätzen stecken. Im folgenden wollen wir eine tiefere Analyse versuchen, die in diesem Buch leider fehlt.

Der Gleichschritt ist schon lange mit uns

Ganz grundsätzlich muss bemerkt werden, dass der zu beobachtende Gleichschritt nicht neu ist. Im Gegenteil. Dieser Gleichschritt ist schon länger mit uns, als viele meinen. Diese klare Erkenntnis fehlt in diesem Buch.

Schon vor 1989 war z.B. der Gedanke an die deutsche Wiedervereinigung in Westdeutschland in ganz ähnlicher Weise verpönt. Viele hielten eine Wiedervereinigung für obsolet. Ein bekannter öffentlich-rechtlicher Moderator sagte: „Deutschland? Wir wollen doch Europa!“ Die Diktatur der DDR wurde verharmlost, es gab sogar ein gemeinsames Papier von SPD und SED, in dem die DDR als Demokratie bezeichnet wurde. Der Politologe Konrad Löw hat diesen Verrat der Freiheit allüberall in der westdeutschen Gesellschaft minutiös protokolliert. Später publizierten Hubertus Knabe u.a. die Stasi-Unterwanderung Westdeutschlands, soweit sie noch rekonstruiert werden konnte. Auch der spätere russische Präsident Vladimir Putin war damals Agentenführer für Agenten in Westdeutschland.

Wie heute ging es damals weit über das Politische hinaus. Es ging so weit, dass sogar westdeutsche Kalendermacher den gesetzlich gültigen Feiertag zum Gedenken an den Aufstand vom 17. Juni 1953 nicht mehr als „Tag der deutschen Einheit“, sondern nur noch als namenlosen Feiertag in ihren Kalendern abdruckten, in vorauseilendem Gehorsam gegenüber dem Zeitgeist. Das kommt uns heute sehr bekannt vor. Schon damals wurde also eine wahnwitzige Idee gegen den Geist und den Buchstaben von Verfassung und Gesetzen gesellschaftlich penetrant.

Als dann mit dem Zusammenbruch des Ostblock-Kommunismus die Realität unerwartet hereinbrach, durfte die deutsche Einheit keinesfalls eine nationale Angelegenheit sein: Sie wurde nur als Vorstufe zur Vereinigung Europas akzeptiert, im Grunde nur lieblos geduldet und nie wirklich gutgeheißen. Geistig setzte man einfach die alte BRD fort. Seitdem hängt Deutschland im Geist der 80er der alten BRD fest. Noch immer dominieren Jürgen Habermas, Claudia Roth und Heiner Geißler (letzterer starb erst kürlich, 2017). Erst das erneute Hereinbrechen der Realität am Ende der Ära Merkel (pointiert durch den Ukrainekrieg) markiert wohl den Anfang vom Ende dieses Ungeistes.

Ein anderes Beispiel für frühen Wahnwitz war der Umstand, dass es in den 1990ern völlig angesagt war, den Wehrdienst zu verweigern. Wer den Wehrdienst bejahte, weil es gesetzlich vorgeschrieben war und aus Gründen der Wehrfähigkeit und Wehrgerechtigkeit Sinn machte, wurde als Depp betrachtet. Wer sich auf der Höhe der Zeit wähnte, verweigerte. Ganz klar. Wer doch zum Militär ging, rechtfertigte dies bei Strafe der sozialen Ächtung nicht mit dem guten Sinn der Wehrpflicht, sondern mit Ausreden: Dass z.B. der etwas längere Ersatzdienst nicht mit dem Termin des Studienbeginns zusammengepasst hätte. Oder dass der Verdienstausfall hier am geringsten war. Es wurden damals auch grundsätzlich alle Verweigerungen durchgewunken. Sogar per Postkarte konnte man verweigern. Der Staat selbst war es, der die Wehrpflicht gegen den Geist und den Buchstaben der Gesetze in eine Wahlfreiheit zwischen Wehr- und Ersatzdienst umwandelte. Bis heute glauben viele, dass sie tatsächlich diese Wahlfreiheit gehabt hätten. Das Bewusstsein von Gesetz und Pflicht sowie der Sinn für die Realitäten der Wehrnotwendigkeit und der Wehrgerechtigkeit im Ernstfall wurde für ganze Generationen korrumpiert. Unser Staat handelte also schon damals zeitgeistgeleitet und nicht gemäß den Gesetzen. Es ist nichts neues.

Als dann in den Jugoslawien-Kriegen Flüchtlinge kamen (oder waren es gar keine Flüchtlinge?) war ihre dauerhafte Aufnahme als Zuwanderer eine ausgemachte Sache. Hinterfragen war verboten. Nur böse Rechtsradikale taten das, hieß es. Damals spielten die rechtsradikalen „Republikaner“ die Rolle des Buhmanns, geführt von dem bräunlichen Schönhuber. Migranten wurden und werden grundsätzlich als potentiell diskriminierte Minderheit wahrgenommen, die vor jeder (!) Kritik zu schützen ist, so berechtigt sie auch sei. Dass Zuwanderung dazu führen könnte, dass die Gesellschaft kippt, liegt außerhalb des Vorstellungsvermögens dieses Zeitgeistes. So schrieb der Urgrüne Winfried Kretschmann noch 2018, dass es sich an der Veränderungsbereitschaft des Islam entscheide, ob dieser in unserer Gesellschaft mitspielen dürfe. Dass der Islam mitzuspielen anfängt, auch ohne dass man ihm dies „erlaubt“, kam ihm offenbar nicht in den Sinn.

Schon in den 1990ern begann man in gewissen Kreisen Gendersprache mit Binnen-I zu schreiben. Es wurde nicht weiter ernst genommen und durchgewunken: „Wir sind ja liberal!“, so hieß es. – Ebenfalls schon länger geistert in linken Kreisen die Vorstellung umher, dass Menschen sich allein aufgrund ihrer Umwelt zu dem entwickeln, was sie sind. Jeder könne Abitur machen! Im Jahr 2010 wurde Thilo Sarrazin für das simple Aussprechen der Tatsache, dass Intelligenz teilweise auch erblich ist, als Rassist verfemt. Der heutige Transgender-Hype ist qualitativ also nichts neues, es ist nur eine quantitative Steigerung desselben Wahnwitzes. Wenn sich die Intelligenz allein den Umwelteinflüssen verdankt, wieso dann nicht auch das Geschlecht?

Und dann der Antiamerikanismus. Die ganze deutsche Gesellschaft lachte über den „dummen Cowboy“ George W. Bush und seinen Irakkrieg. Die unglaublichsten Lügen wurden über den Irakkrieg und George W. Bush verbreitet und geglaubt, bis heute. Die Deutschen bemerkten gar nicht, dass sie sich mit Franzosen und Russen ausgerechnet mit den Hauptwaffenlieferanten von Saddam Hussein gegen die USA verbündeten, der seine Waffenlieferanten mit Ölizenzen bezahlt hatte. Es wird auch nicht zwischen der Politik verschiedener Präsidenten differenziert. Immer sind es „die“ Amerikaner. Die Irrtumsverstrickung der Deutschen ist in Sachen USA besonders groß.

Und dann der Antikapitalismus. Diese völlige ökonomische Unbedarftheit und Naivität vieler. Dieses ewig unsägliche Nichtbegreifen, dass unperfekte Zustände nicht das System an sich infrage stellen. Antikapitalisten fragen nie nach der Verbesserung des Systems und dem Schließen von Schlupflöchern, sondern immer nur nach der Überwindung des Systems. Ohne dass sie eine bessere Alternative benennen könnten. Sie sind Schwurbler und Realitätsleugner allesamt.

Und dann die katholische Kirche: Dass sie trotz Zweitem Vatikanischen Konzil immer noch rückständig wäre und sich gefälligst nach liberalistischen Gesichtspunkten radikal zu reformieren hätte, galt überall als gesetzt. Als die Nachricht, dass mit dem konservativen Reformtheologen Ratzinger ein Deutscher zum Papst gewählt worden war, in eine deutsche Talkshow platzte, gab es betretene Gesichter. Nur ein anwesender Ostdeutscher freute sich spontan, wie man es von vernünftigen Menschen hätte erwarten können. Ein sehr bezeichnender Moment.

Es gab auch eine Liberalisierung für Homosexuelle in der Gesellschaft, was im Grundsatz eine gute Sache war, aber auch eine Abwertung der Normalfamilie und liberale Tendenzen in Sachen Pädophilie, Stichworte: Grüne Vergangenheit, Odenwaldschule und Entkriminalisierung im Strafrecht. Die damalige Liberalität, an die sich heute keiner mehr erinnern will, fällt heute der katholischen Kirche auf die Füße. Paradoxerweise stehen heute die „Erzkonservativen“ im Fokus der linksgrünen Kritik am Pädophilie-Skandal der katholischen Kirche (während man gleichzeitig zum Nationalismus und Traditionalismus mancher islamischer Gemeinden dröhnend schweigt, es ist eine einzige Heuchelei).

Überhaupt sind wir ja angeblich ein reiches Land, und wir können uns angeblich alles leisten. Wir können auch Griechenland und ganz Südeuropa gegen die Naturgesetze der Ökonomie „retten“ und auch sonst alle Probleme mit Geld zuschütten. Wunschdenken und Träumerei beherrschten das Feld. Es ist der Ungeist der Schmuddelkinder von 1968, der sich gesellschaftlich durchgesetzt hat. Nicht zuletzt auch in den Medien. Frühe Seismographen des Gleichschritts waren z.B. Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger, Henryk M. Broder oder Seyran Ates.

Was ist heute anders?

Was ist der Unterschied zu damals? Warum hatten viele bislang nicht das Gefühl der „Gleichschaltung“, heute aber doch? Die Antwort ist einfach: Bislang spitzten sich die Probleme noch nicht zu, heute tun sie es, und es sind viele Probleme:

  • Gescheiterte Euro-Politik mit Inflation und unerschwinglichen Immobilien und Mieten. (Nein, es ist nicht der „Kapitalismus“, es ist die Politik.)
  • Gescheiterte Europapolitik (Brexit, der Rest der EU über D verärgert).
  • Gescheiterte Zuwanderungspolitik mit unkontrollierter Massenzuwanderung spätestens ab 2015, im Verbund mit gescheiterter Integration von Migranten mit hohen sozialen Folgekosten in Form von Geld, Kultur und Menschenleben.
  • Gescheiterte Klimapolitik. Energiepolitik. Wirtschaftspolitik.
  • Gescheiterte Außenpolitik (Russland, China).
  • Gescheiterte innere Integration Deutschlands (Der „Osten“, neuerdings auch: der „Süden“).
  • Gender-Gaga und Trans-Hype in heilloser Übertreibung. Weniger wäre mehr, gerade auch für die Betroffenen.
  • Ein Krieg vor unserer Haustüre, während die Bundeswehr kaum wehrfähig ist.
  • Das teilweise fragwürdige politische Handeln in der Corona-Pandemie nicht zu vergessen.

Immer mehr Bürger bemerken, was denkende Menschen beginnend (spätestens) in den 1980er Jahren voraussehen konnten, je mehr linksliberaler Unsinn hinzukam: Es passt nicht zusammen, es kann nicht gutgehen. Die Konflikte, denen man viele Jahre lang aus dem Weg gegangen war, sie verlangen nun nach Entscheidungen. Und indem sie dies langsam bemerken, bemerken die Menschen auch den Gleichschritt, der eigentlich schon länger da war.

Und in Reaktion auf dieses langsame Erwachen von Vernunft und Widerstand gebärden sich die Vertreter des alten linksgrünen Denkens, die überall dick drinsitzen, nur umso unerbittlicher und radikaler, denn sie sehen ihre Macht und Meinungshoheit in Gefahr. Die Grenzen des Sagbaren werden aus Angst immer enger gezogen. Die Politisierung wird in immer mehr Bereiche hineingetragen, die bislang tabu waren. So gibt es heute z.B. eine politische Indoktrinierung der Belegschaften von Unternehmen durch die Unternehmensleitungen, die wiederum auf die ESG-Anforderungen der Finanzindustrie reagieren. Die Cancel Culture wiederum geht heute nicht mehr nur an das politische Ansehen, sondern immer gleich an die ökonomische Existenz eines Menschen. Immer mehr staatliche Institutionen, Medien und Unternehmen unterwerfen sich politisch immer einseitigeren Ansichten, obwohl sie in einer Demokratie Neutralität wahren sollten (bzw. es wenigstens versuchen sollten).

Es ist ein politischer Kampf um sachliche Konflikte, der eng verwoben ist mit einem gesellschaftlichen Kulturkampf, der dieselben Sachkonflikte auf einer symbolischen Ebene verhandelt. Heute stehen wieder viele Gesslerhüte auf der Stange, die gegrüßt werden wollen. Von Verfechtern der Gendersprache hört man nicht selten, dass ihre Hauptmotivation darin besteht, dass sie damit „Konservative“ ärgern können. Ein Reformdenken aus gesellschaftlicher Verantwortung ist also oft gar nicht mehr die Motivation, sondern nur noch Mitmachen, sich klug und modern fühlen, und das Bashen der „anderen“ Seite. Wie jämmerlich.

Übrigens erwacht die Kritik an der politischen Marschrichtung derzeit immer noch nur punktuell. Während der ökonomische und gesellschaftliche Wahnsinn von Klima, Transgender und Migration vielen langsam dämmert, verstehen viele immer noch nicht, dass Militär mitsamt Wehrpflicht notwendig ist, dass die katholische Kirche sich treu bleiben muss, oder dass nicht immer die USA schuld sind, wenn in der Welt etwas schief läuft. Auch der Zusammenhang von Inflation und Eurokrise ist vielen nicht transparent.

Ein ganz anderer Grund für den Gleichschritt ist natürlich der Umstand, dass es immer weniger „Gründer“ gibt und immer mehr „Erben“. Die Generation, die Deutschland nach dem Krieg aufbaute, war sehr realitätsbezogen und voll von Erfahrung, wohin Flausen im Kopf führen können. Spätere Generationen kannten keine Not mehr und hatten Flausen im Kopf. Auch das ist ein Grund für den zunehmenden Gleichschritt. Es gibt zu wenig bittere Realitätserfahrung und damit zu wenig Nachdenken über die Realität bei den weniger gebildeten Menschen. Man nennt es Dekadenz.

Eine solche Analyse, oder etwas Vergleichbares, hätte man sich gewünscht, doch sie fehlt in diesem Buch.

Merkels Motive

Eine Besonderheit dieses Buches ist der Umstand, dass der Autor als Chefjournalist eine besondere Nähe zu Kanzlerin Angela Merkel hatte und sie z.B. auf Auslandsreisen im Regierungsflieger begleiten durfte. Dort gab es Hintergrundgespräche, in denen man dem wahren Denken von Angela Merkel näher kam als anderswo. Der Autor spricht also als unmittelbarer Zeitzeuge.

Der Autor berichtet, dass Angela Merkel sich immer vollauf bewusst war, dass ihre Maßnahmen teils rein symbolisch aber sachlich sinnlos waren, teils schwierige Konsequenzen nach sich ziehen würden. Völlig richtig hat der Autor erkannt, dass Merkels Politik oft schlicht darin bestand, einfach den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Dabei kam es allerdings weniger auf den Widerstand der Menschen an, sondern auf den Widerstand der Journalisten und Linksintellektuellen. Angela Merkel war in diesem Sinne eine begnadete Populistin, allerdings nicht dem Staatsvolk gegenüber, sondern dem Völkchen der Journalisten und linken Intellektuellen gegenüber. Probleme wurden auf diese Weise nie wirklich gelöst, sondern immer nur vorläufig ruhiggestellt und vertagt.

In einigen Punkten hätte Merkel allerdings auch unpopuläre Maßnahmen durchgeboxt, meint der Autor. Der Autor vermutet, dass Angela Merkel Europa retten wollte: Das Projekt Europa war ihr wichtiger als Deutschland. Um einen Rückstau auf der Balkanroute zu vermeiden, ließ sie die Migranten 2015 einfach nach Deutschland hinein, um den osteuropäischen Staaten Belastungen zu ersparen. Und um Griechenland im Euro zu halten, wurde Griechenland kurzerhand „gerettet“.

Doch diese Erklärung verfängt nicht. Denn es waren die osteuropäischen Staaten, die am Ende selbst die Grenze schlossen, gegen den erklärten Willen von Merkel. Auch der Brexit kam als Reaktion auf Merkels Politik zustande und war ein Schlag gegen die europäische Idee. Und die Griechenland-„Rettung“ hat die Stabilität des Euro zerstört. Am Ende hat Angela Merkel Europa also gar nicht zusammengehalten, sondern vielmehr unfassliche Spreng- und Fliehkräfte entfesselt, also das genaue Gegenteil dessen, was Schuler vermutet. Nur unglaubliche Kurzsichtigkeit, die man dann ohne Umschweife als Inkompetenz bezeichnen müsste, würden noch zu der Erklärung passen, dass Merkel Europa retten wollte.

Entweder war Angela Merkel also hochgradig inkompetent und tatsächlich so knödelig dumm wie sie manchmal erscheint, im Amt gehalten durch eine kurzsichtige Bauernschläue und eine linksgewickelte Presse, die sie hochschrieb – das würde auch mit der schlichten Erklärung zusammenpassen, dass Merkel auch in Sachen Europa immer nur den Weg des geringsten Widerstandes ging, und nicht etwa unpopuläre Maßnahmen durchboxte, wie der Autor meint, denn unpopulär waren diese Maßnahmen nur beim Volk, nicht bei den Eliten in Politik und Medien. – Oder Angela Merkel tat das alles aus kluger Berechnung und mit voller Absicht, um Europa zu sprengen und Deutschlands Kraft zu schwächen und eine geheime Agenda von wem-auch-immer durchzusetzen (Putin? Davos? China? …?). Wie man es auch dreht und wendet: Der Autor hat bei dieser Frage nicht genau genug hingeschaut.

Exkurs: Bis heute hat die deutsche Öffentlichkeit den wahren Grund für die Balkanroute 2015 nicht erfahren dürfen: Es war nicht der Syrienkrieg. Denn der tobte 2015 schon mehrere Jahre. Es waren auch nicht Rationskürzungen der UN in den Flüchtlingslagern. Denn die Rationen waren schon immer knapp, und die meisten syrischen Flüchtlinge sind auch nach 2015 in ihren Lagern geblieben und nicht nach Deutschland gekommen. Sie hätten auch gar nicht kommen können, egal wie stark die UN die Rationen gekürzt hätte, denn die griechische Grenze war fest geschlossen. Sondern es war natürlich der Amtsantritt der linksradikalen Regierung von Ministerpräsident Tsipras in Griechenland Anfang 2015. Wir erinnern uns: Der linksradikale Tsipras wurde von den Griechen gewählt, weil diese unter dem Euro-Diktat von Merkel verzweifelten. Vor Tsipras (und nach Tsipras, wie wir heute wissen) bewachten die griechischen Grenzschützer die europäische Außengrenze scharf. Der Linksradikale Tsipras öffnete die Außengrenze der EU 2015 mit Absicht. Und zuvor war er noch in Moskau, um sich mit Putin abzusprechen. Und Merkel spielte das Spiel ganz wunderbar mit, wie wir gesehen haben. Gekommen sind dann nur zu einem kleineren Teil Syrer, die Mehrheit der Migranten auf der Balkanroute kam anderswoher.

Nebenbei erfahren wir auch, dass sich die Führer der deutschen Wirtschaft in lächerlicher Weise unterwürfig gegenüber Kanzlerin, Zeitgeist und China aufgeführt haben. Freies, selbständiges Unternehmertum in einer freien Marktwirtschaft auf der Grundlage von demokratischen Überzeugungen kann man von unserer derzeitigen Wirtschaftselite wohl kaum erwarten. Demokratisch und marktwirtschaftlich gesinnte Politiker und Journalisten würden eine solche Wirtschaftselite in Grund und Boden kritisieren. Leider geschieht es nicht, was Rückschlüsse auf den Grad der demokratischen Gesinnung in Politik und Medien ermöglicht.

Rezepte gegen den Gleichschritt

In einem kurzen Kapitel versucht der Autor herauszufinden, was Menschen dazu bringt, sich dem Gleichschritt zu versagen. Leider sind seine Befunde recht entmutigend. Am Ende ist es der individuelle Charakter des Einzelnen. Dieser formt sich aber individuell. Der Autor vermutet zwar richtig, dass man auch über die Erziehung etwas erreichen kann, aber wenn sich der Gleichschritt erst einmal eingeschlichen hat, ist es für Erziehung zu spät, denn Erziehung erfolgt dann längst im Sinne des Gleichschritts.

Man hätte sich gewünscht, dass der Autor Ratschläge gibt, wie z.B., dass der kleine Mut oft wichtiger ist als der große Mut: Eine nüchterne Differenzierung freundlich ausgesprochen hilft oft viel, während es illusorisch ist, mit großem Mut vor Fürstenthronen etwas zu erreichen: Das können nur wenige, die in der richtigen Position sind. – Oder der Ratschlag, dass Humor oft weiterhilft. Das Kuriose spöttisch auf die Schippe zu nehmen, hilft oft mehr als tausend Argumente. Immerhin, der Autor empfiehlt „fröhlichen Ernst“.

Leider haben sich die Vertreter des träumerischen, linksliberalen „Denkens“ vor allem in Milieus etabliert (und ziehen dort auch ständig grässlichen Nachwuchs heran), die uns in Politik, Journalismus, Wirtschaft und Kultur beherrschen. So möchte die übergroße Mehrheit z.B. keine Gendersprache, doch die Eliten drücken sie mit eiskaltem Lächeln durch.

Es wäre eine eigene Diskussion wert, wie dieses Problem zu lösen ist, wenn die Elite eines Staatsvolkes auf breiter Front anders denkt als das Volk selbst. In einer reibungslos funktionierenden Demokratie würde es zu einem teilweisen Austausch der Elite kommen, entsprechend der Mehrheitsverhältnisse. Aber die alten Eliten sind so beherrschend, dass der demokratische Prozess schwer behindert wird. Es kommt zu Verklemmungen und Polarisierungen.

Der Bürger hat oft das Gefühl, dass er nur die Wahl zwischen Pest und Cholera hat, zwischen Links- und Rechtsradikalen. Die Linken freuen sich insgeheim über die Rechtsradikalen und schreiben sie hoch, weil sie die besten Buhmänner zur Rechtfertigung der Alternativlosigkeit der linken Politik darstellen. Die Rechtsradikalen von der rechtsradikal gewordenen AfD, sie sind „Merkels beste Jungs“! Vernünftige Bürgerliche hingegen werden heruntergeschrieben oder als Rechtsradikale verleumdet (was aber nicht so gut funktioniert, denn die Wähler bemerken den Unterschied, ob einer tatsächlich rechtsradikal ist oder nur als solcher verschrieen wird). Es ist möglich, dass an diesem Konflikt die Demokratie zerbricht.

Es gilt, bürgerliche, liberalkonservative Kräfte zu stärken, die einerseits konsequent sind, aber gleichzeitig Radikalismus vermeiden. Nur so kann das Umdenken und Umsteuern demokratisch gestaltet werden. Auch wenn es schwierig ist.

Fazit

Am Ende ist es leider doch nur das typische, tagesaktuelle, politjournalistische Buch geworden, ohne den nötigen Tiefgang. Der Autor ist überzeugend in seinen Ausführungen, ein guter Beobachter und Seismograph der Gesellschaft, mithin also ein guter Journalist, aber er ist offenbar kein Denker. Oder er wollte mit Absicht nicht zu tief in eine Analyse einsteigen. Vielleicht würde das seinem Selbstverständnis als Journalist widersprechen? Wie auch immer: Denken muss der Leser dann schon selbst. Das sollte er allerdings sowieso tun. Diese Rezension will dabei behilflich sein.

Bewertung: 3 von 5 Sternen.