Schlagwort: Friedrich Christian Delius

Friedrich Christian Delius: Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus (1995)

Ein „Ausflug“ aus der DDR in den dekadenten, linksliberalen Westen

Friedrich Christian Delius ist wie immer ein Meister der Introspektion: Man sieht bei ihm, wie „es“ im Menschen denkt. Das macht die Lektüre allerdings auch anspruchsvoll. Diesmal geht es um einen DDR-Bürger, der ohne politische Absichten einfach nur auf den Spuren Seumes nach Italien reisen und dann wieder zurückkehren möchte.

Die erste Hälfte des Buches über erlebt man mit, wie die Flucht geplant wird, wie dabei ein Gedanke den nächsten jagt, wie das Denken vorwärts auf das eine Ziel hin drängt. In der zweiten Hälfte des Buches erlebt man die Begegnung mit dem Westen. Das völlige Unvermögen der dekadenten, linksliberalen Wessis, den unpolitischen Ossi zu verstehen, ist sehr gut getroffen. Erst in Italien fühlt sich der DDR-Bürger als Deutscher und Diktaturopfer ernst genommen.

Das Buch wäre in besagtem dekadenten Westen vor 1989 wohl ein Skandalbuch geworden; da es aber erst in den 90er Jahren geschrieben wurde, winken viele heute nur ab: Stasi und Mauer gelten als ferne Vergangenheit. Sie begreifen nicht, dass das dekadente, linksliberale Denken, das vor 1989 im Angesicht der DDR-Diktatur versagte, auch heute noch herrscht, und immer wieder aufs neue an immer wieder neuen Themen versagt; oder sie begreifen es, und wollen nicht mit Kritik belästigt werden.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 06. August 2012)

Friedrich Christian Delius: Die Frau, für die ich den Computer erfand (2009)

Einblick in den Geisteshaushalt eines Genies

Das Bedeutsame am Roman „Die Frau für die ich den Computer erfand“ von F. C. Delius ist nicht so sehr die Lebensgeschichte von Konrad Zuse, dem Erfinder des Computers, noch dessen platonisch-historische Liebschaft zu Ada Lovelace, sondern vielmehr ganz allgemein der Einblick in den inneren Geisteshaushalt eines Genies. Es könnte irgendein Genie sein.

Wie sieht es aus im Kopf eines genialen Menschen? Was treibt ihn an? Was denkt er über seine nichtgenialen Mitmenschen? Die Fiktion des Romans ist, dass Konrad Zuse seine Gedanken einen ganzen Abend und eine ganze Nacht lang frei fließend und assoziierend auf das Tonband eines Journalisten spricht. Dabei kommt man der wirklichen Denkökonomie eines Genies sehr nahe.

Folgende Elemente finden sich in den geäußerten Gedanken: Eine Angetriebenheit durch die Defintion des Dichters nach Rilke, das „Ich muss“ des echten Dichters umgemünzt auf den echten Erfinder. Ständige höchst eigenwillige aber durchaus treffende Selbstvergleiche zu Goethes Faust und den zugehörigen Mephisto. Eine autosuggestive, „hinan“ ziehende platonisch-historische Liebe zur mutmaßlich ersten Programmierin Ada Lovelace, die 150 Jahre vor Zuses Zeit lebte. Dann Deutschsein in Form von Pflicht, Verwurzeltheit, Ordnung, Bescheidenheit, Zurückhaltung. Außerdem ein überlegenes Herabsehen insbesondere auf den beschränkten Verstand von Journalisten und Politikern. Eine realistische Amerikafreundlichkeit. Vergleiche, wie schwer man es damals hatte, wie leicht es andere heute haben. Stolz auf das Erreichte, Schöpfen von Lebenskraft aus Anerkennung, Enttäuschung über fehlende Anerkennung. Vorsicht, wegen unverstandener Genialität nicht von den gewöhnlichen Menschen für verrückt gehalten zu werden. Einsamkeit.

Alles in allem ein einziger Lesegenuss für Menschen, die Idealismus, Realismus und Eigenwilligkeit schätzen, die Ingredienzien von Genialität. Dieses Buch ist nichts für Träumer ohne Bodenhaftung und bildungsferne Computerfreaks.

Bewertung: 5 von 5 Sternen.

(Erstveröffentlichung auf Amazon am 06.08.2012)